Der Dialog mit dem Islam wird fortgesetzt

Gespräche mit Vertretern aus Pakistan, Marokko und Tunesien – und eine Liveschaltung nach Kabul…
In den vergangenen Tagen musste ich – neben meinen eigenen terminlichen Verpflichtungen – auch die Termine von unserem Fraktionsvorsitzenden Martin Schulz wahrnehmen. Er musste aufgrund einer Grippe das Bett hüten.
Ich habe den Vorstand geleitet, die Sitzung des Vorstandes mit den DelegationsleiterInnen, die Fraktionssitzungen und auch das Gespräch mit den sozialdemokratischen KommissarInnen. Hinzu kam die Leitung der Koordinatorensitzung zur Vorbereitung der Plenarsitzung, die kommende Woche in Straßburg stattfindet. Diesem Gremium sitze ich ohnehin aus meiner Funktion heraus vor.

Gespräch mit Pakistan

Hinzu kamen einige besonders interessante Begegnungen, die für mich den Dialog mit der islamischen Welt fortgesetzt haben. Gestern besuchte eine Delegation aus Pakistan, mit dem Religionsminister an der Spitze sowie einigen Abgeordneten, das Europäische Parlament. Es war ein moderates Gespräch, in dem sich die Delegationsteilnehmer zunächst über die aktuelle Diskussion auf europäischer Ebene informierten. Sie berichteten uns, dass die Demonstrationen in ihrem Land erst begonnen hätten, nachdem in anderen Ländern schon demonstriert worden war. Sie vertaten die Meinung, dass es wichtig ist, zu demonstrieren, wobei die meisten Demonstrationen friedlich verlaufen und nur einige gewaltsam gewesen seien.
Nach einer kurzen Darstellung der Position der sozialdemokratischen Fraktion gaben sie sich zufrieden. Etwas ambivalent gaben sich die pakistanischen Besucher hinsichtlich der Meinungs- und Pressefreiheit. Sie wollten diese zwar nicht eingeschränkt sehen, aber sie regten an, ein klares Signal an die Medien auszusprechen, Karikaturen und ähnliche Darstellungen, die letztendlich die Unruhen in der islamischen Welt ausgelöst haben, nicht zu veröffentlichen.

Gespräch mit Marokko

Heute Mittag traf ich den marokkanischen Regierungschef Driss Jettou in dem Hotel, in dem er in Brüssel abgestiegen war. Wir führten ein Gespräch über die Notwendigkeit des Dialogs zwischen der islamischen Welt und Europa und waren uns einig, dass auch innerhalb Europas ein Dialog mit den hier lebenden Islamen, die vielfach schon Europäer geworden sind, geführt werden muss.
Marokko ist ein tief religiöses Land. Die Position des Königs leitet sich von Mohammed ab und ist zugleich eine religiöse Führungsrolle. Marokko hat aber durch seinen Ministerpräsidenten Driss, der vor einiger Zeit zum Regierungschef nominiert wurde, auch eine Reihe von wichtigen Reformen durchgeführt, zum Beispiel im Bereich der Menschenrechte.

Positive Bewegungen

Es wurde auch eine relativ offene Diskussion über die vergangene Praxis, unliebsame Gegner des Königshauses verschwinden zu lassen, sie zu langjährigen Gefängnisstrafen zu verurteilen oder sie einfach ohne Urteil einzusperren, geführt. Es wurden zudem viele Reformen im Sozialrecht durchgeführt und ein neues, fortschrittliches Familienrecht, vor allem hinsichtlich der Rolle der Frau, erarbeitet. Es gab also in diesem Land einige bemerkenswerte und äußerst positive Bewegungen.
Wir diskutierten außerdem einige Ansätze der wirksamen Bekämpfung von illegaler Migration. Dieses Problem betrifft sowohl die Europäische Union als auch Marokko. Die meisten der MigrantInnen kommen eher aus den Ländern südlich Marokkos, wo in der Bevölkerung eine besonders hohe Armut und Ausweglosigkeit herrscht.

Problem West-Sahara

Dennoch habe ich in diesem Gespräch einige Punkte kritisch hinterfragt, in erster Linie die Situation in der West-Sahara. Meine Kollegin Karin Scheele engagiert sich in dieser Frage ganz besonders. Auch ich habe große Sympathie für die Polisario und das Volk der West-Sahara. Vor einigen Jahren habe ich Tindouf besucht, jene algerische Stadt, in deren Umgebung sich sehr viele Flüchtlinge aus der West-Sahara befinden.
Für Marokko ist die West-Sahara eine Vereinigung von südlichen Provinzen. Es erkennt die Unabhängigkeitsansprüche nicht an, sondern geht davon aus, dass es sich ohnehin um marokkanisches Territorium handelt. Insgesamt handelt es sich einmal mehr um das Erbe eines Kolonialreiches, im konkreten Fall der Franzosen und zuletzt der Spanier. Viele Fragen wurden nicht gelöst und stehen offen im Raum.

Blockaden

Über die West-Sahara gab und gibt es einen Streit, insbesondere zwischen Algerien und Marokko. Algerien würde gerne eine unabhängige West-Sahara sehen, zumal diese auch reich an Bodenschätzen ist. Marokko lehnt das hingegen völlig ab. Die UNO und vor allem der UNO-Beauftragte, der frühere Außenminister James Baker, vermitteln seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten – bisher allerdings ohne Aussicht auf Erfolg.
Besonders ärgerlich ist, dass Marokko sich erst nach langem Zögern dazu durchgerungen hat, dem Besuch einer Delegation in den südlichen Provinzen prinzipiell zuzustimmen – bisher war das immer abgelehnt worden. Der bei dem Gespräch mit Regierungschef Driss anwesende Botschafter meinte allerdings, die vorgesehene Delegation bestehe aus zu vielen TeilnehmerInnen, die sich für die Polisario aussprechen. Ein Land kann sich aber erstens die Delegationen, die aus dem Europäischen Parlament kommen, nicht aussuchen. Und wenn Marokko derart von der Richtigkeit seines Standpunktes überzeugt ist, dann wäre es zweitens sinnvoll mit jenen Menschen zu sprechen, die nicht von Marokkos Position überzeugt sind.

Dilemma

Ich verstehe, dass Marokko insgesamt nicht negativ beurteilt werden möchte. Das Land bringt außerdem dem Vorsitzenden dieser potentiellen Delegation des Europäischen Parlaments, dem zypriotischen Kollegen Kasoulides, Vertrauen entgegen – es hat aber trotzdem noch kein konkretes Datum für den Besuch genannt.
Der Premierminister versprach, sich um dieses Problem zu kümmern. Er meinte, er sei für den Besuch dieser Delegation offen. Ich persönlich weiß nicht, wie wir aus diesem Dilemma herausgekommen. Es wäre jedenfalls wünschenswert. Und besonders wünschenswert wäre eine Gesamtlösung dieses Konfliktes.

Gesamtlösung ist notwendig

So sehr ich für die Unabhängigkeit der West-Sahara eintrete, so sehr könnte ich mir auch eine tiefe und tragfähige Autonomie dieser Region durch ein gemeinsames Band mit dem König vorstellen. Ich fürchte allerdings, dass der marokkanische Nationalismus, wenngleich er nicht stärker als in vielen anderen Ländern ist, trotzdem zu stark ausgeprägt ist, um eine weitgehende Autonomie zu ermöglichen.
Dennoch wäre es im Interesse des Landes Marokko, im Interesse einer engeren Zusammenarbeit mit Algerien und nicht zuletzt im Interesse der Zusammenarbeit zwischen der EU und dem nördlichen Afrika, wenn es in dieser Frage zu einer Lösung käme.

Gespräch mit Tunesien

Zwei Stunden später traf ich gemeinsam mit meiner Kollegin Pasqualina Napoletano den tunesischen Außenminister, der ebenfalls mit einer Delegation nach Brüssel gekommen war. Auch dieses Gespräch kreiste um die Situation in Nordafrika. Wir streiften Fragen des Fundamentalismus, konzentrierten uns aber vor allem auf die Menschenrechtssituation in Tunesien.
Tunesien hat große wirtschaftliche Fortschritte gemacht. Es gibt soziale Errungenschaften, die Stellung der Frau etwa ist für eine islamische Gesellschaft äußerst fortschrittlich. Aber in der Frage der Menschenrechte und der Kritik am politischen System gibt es große Mängel.

Mängel bei den Menschenrechten

Ich verstehe, dass man in einem Land, das von Fundamentalismus und Terrorismus bedroht ist und angesichts der prekären Situation in der Nachbarschaft besonders vorsichtig ist. Durch das Einsperren von kritischen Anwälten und Menschenrechtsaktivisten gelangt man aber sicher nicht zu mehr politischer Stabilität. Diese kritischen Stimmen frei agieren zu lassen wäre hingegen ein Zeichen der Stärke der Regierung und des politischen Systems.
Uns wird immer wieder gesagt – so auch heute vom tunesischen Außenminister – dass es eine Frage der Zeit ist, bis es hier zu Veränderungen kommt. Ich kann nachvollziehen, dass ein solcher Prozess nicht von Heute auf Morgen vollzogen werden kann. Aber ich habe schon mehrmals im Europäischen Parlament und auch in Tunesien selbst gesagt, dass ich mir doch größere Fortschritte wünschen würde – bei der Transparenz, bei der Medienfreiheit und beim freien Agieren der Menschenrechtsorganisationen.

Mittlerrolle im Nahen Osten

Ich befragte den tunesischen Außenminister zu seiner Einschätzung der Situation im Nahen Osten und wollte wissen, wie sich das Verhältnis Europas zu einer möglichen Hamas-Regierung in Palästina gestalten sollte. Prinzipiell weiß ich, dass Tunesien in dieser Hinsicht einen pragmatischen und friedensorientierten Standpunkt vertritt. Tunesien ist kein radikales Land, sondern ein arabisches, islamisches Land mit einer langen friedlichen Tradition. Gerade auch vor diesem Hintergrund propagiert Tunesien die friedliche Entwicklung im Nahen Osten und animiert die Hamas, die Realitäten – zum Beispiel die Existenz Israels – anzuerkennen.
Mir ist nicht bekannt, wie stark sich Tunesien in dieser Frage tatsächlich engagiert. Es dürfte aber in den nächsten Tagen zu einem Gespräch zwischen einem Vertreter der palästinensischen Hamas und der tunesischen Regierung kommen. Aus meiner Sicht ist es äußerst wichtig, dass gerade Tunesien dazu beiträgt, dass sich die Hamas bei ihren Aktivitäten jeglicher terroristischer Handlungen enthält und versucht, mit Israel zunächst einen Modus vivendi und letztendlich eine generelle Friedenslösung zu finden.

Der falsche Weg

Knapp vor diesem Gespräch hatte ich einen Disput mit einer Vertreterin der israelischen Botschaft, die zu einer der Spitzen-LobbyistInnen im Europäischen Parlament zählt. Sie forderte mich auf, einen Brief gegen eine potentielle Unterstützung der Hamas-Regierung in Palästina an die Außenminister, die am kommenden Wochenende in Salzburg beim Außenministertreffen zusammenkommen, zu verfassen.
Ich versuchte ihr klarzumachen, dass diese Forderung aus meiner Sicht grotesk ist. Die VertreterInnen des heutigen Israel, dessen Regierung Mitverantwortung für die Malaise in der Region trägt, möchten jetzt nicht nur die Hamas, sondern letztendlich die Bevölkerung dafür bestrafen, dass sie die Hamas gewählt hat, weil sie mit den Korruptionsmethoden der Fatah-Bewegung nicht einverstanden war.

Auf die Hamas einwirken

Die israelische Regierung hat ihrerseits, wie ihre Vorgängerregierungen, die Fatah-Bewegung und Arafat unterminiert. Sie hat nichts dazu beigetragen, der Fatah einen Erfolg zu ermöglichen. Vielleicht wollten die PalästinenserInnen durch die Wahl der Hamas auch eine härtere Sprache gegenüber Israel sicherstellen, ohne dabei allerdings den Wunsch zu haben, dass mit der Hamas ein fundamentalistisches Regime an die Macht kommt, geschweige denn Israel zu vernichten.
Die Debatte über die Hamas und die weitere Entwicklungen wird uns in nächster Zeit intensiv beschäftigen. Je mehr Menschen wir in der islamischen Welt dazu bewegen können, auf die Hamas einzuwirken, desto erfolgreicher können wir mittel- bis langfristig das erreichen, was wir bei der Fatah – wenngleich nicht vollständig – erreicht haben: die Anerkennung Israels und die unmissverständliche Ablehnung des Terrorismus.

Liveschaltung nach Kabul

Noch etwas Beeindruckendes fand heute statt. Aus Anlass des Welt-Frauentages fand um 11.00 Uhr während unserer Fraktionssitzung eine Video-Liveschaltung zum Parlament in Kabul in Afghanistan statt. Wir sprachen auf diese Weise mit zwei führenden weiblichen Parlamentsmitgliedern – mit der stellvertretenden Vorsitzenden des Unterhauses und der jüngsten Abgeordneten des afghanischen Parlaments.
Es war für mich bewegend, diesen Dialog zu beginnen und die beiden Frauen im Namen unserer Fraktion in Afghanistan zu begrüßen. Ich beglückwünschte sie zu ihren Tätigkeiten und signalisierte ihnen unsere Unterstützung und Überzeugung, die Rechte der Frauen in Afghanistan zu stärken. Dann übergab ich das Wort an einige KollegInnen. Die Tatsache, dass es in Afghanistan ein Parlament, und zwar mit weiblichen Mitgliedern, gibt, mag als Kleinigkeit erscheinen. Und doch ist es ein wichtiges Symbol dafür, dass scheinbar irreversible Zustände, wie sie unter dem Taliban-Regime in Afghanistan geherrscht haben, geändert werden können. Auch das ist ein Hinweis darauf, dass wir – mühsam, aber kontinuierlich – Veränderungen in unserer eigenen Region, aber auch in unserer näheren und weiteren Nachbarschaft erreichen können bzw. müssen.
Brüssel, 8.3.2006