Der EU Reformvertrag und das Jahr 2010

P-010367-00-16hFür Österreich ist 2010 das fünfzehnte Jahr der Mitgliedschaft in der EU. Für die EU insgesamt ist 2010 das erste Jahr, für das der neue Vertrag der EU voll in Gültigkeit ist. Und insofern ist das nächste Jahr entscheidend für die Anwendung des neuen Vertrags und die Stärke, die die EU aus diesem Vertrag gewinnt. Hinzu kommt: Es sind nicht gerade leichte Zeiten, in denen der neue Vertrag seine Probe bestehen muss.

Keine leichten Zeiten

Kopenhagen war kein Erfolg, die Regulierung der Finanzmärkte muss neu und europäisch gestaltet werden, im Nahen Osten gibt es enorme Probleme, das Verhältnis zu Russland ist noch keineswegs konfliktfrei und wir müssen überlegen, wie es mit der Erweiterung der EU weitergehen soll etc.
Was nun den gescheiterten Klimagipfel betrifft, so waren die Europäer gut aufgestellt. Wir haben, jedenfalls was die beschlossenen Ziele betrifft, unsere Hausaufgaben gemacht. Aber die USA und China stellten sich als Verhinderungsduo heraus. Diese so genannte G2 Gruppe wird ohnedies bereits von vielen als die mächtigste „Vereinigung“ der Welt angesehen. Insbesondere auf Grund ihrer engen Verflechtung als Schuldner und Gläubiger werden sie als eine Zwangsgemeinschaft auf Gedeih und Verderb betrachtet.
Nun, auch durch eine negative Haltung und durch ein Nein zu einem verbindlichen Klima-Vertrag kann man die Welt beherrschen. Aber das darf sich Europa nicht gefallen lassen. Wir müssen mit einigen ähnlich denkenden Verbündeten die Anstrengungen fortsetzen, um die Vorraussetzungen für die nächste Klimakonferenz in Mexiko besser zu gestalten. Da dürfen wir nicht nachgeben.

Neuregelung der Kontrolle der Finanzmärkte

Was die Finanzmärkte betrifft, so scheint die Londoner City einen Zwischenerfolg errungen zu haben. Die von den Regierungen vorgelegten Beschlüsse sind viel zu zahm und werden den Notwendigkeiten einer modernen europäischen Neugestaltung der Finanzmärkte nicht gerecht. Niemand will die Finanzdienstleistungen generell „abdrehen“, aber es muss sich um Dienstleistungen handeln und nicht um Profitpakete für einige wenige, die im selbst hervorgerufenen Krisenfall ungeheuren Schaden anrichten können.
Der ehemalige amerikanische Notenbankpräsident Paul Volker meinte unlängst, dass je mehr er darüber nachdenke, er desto mehr bezweifle, dass viele Finanzpakete einen produktiven Nutzen für die Wirtschaft haben. Das ist eine gute Basis für die Neuregelung der Kontrolle der Finanzmärkte.

Die Gemeinsame Außenpolitik

Was nun die Gemeinsame Außenpolitik betrifft, so haben wir jetzt die angeblich von Henry Kissinger verlangte Telefonnummer bei der „EU Außenministerin“. Auf die Bemerkung, dass es eigentlich drei Telefonnummern sind, wenn man die des Kommissions- und des Ratspräsidenten mitzählt, meinte der schwedische Außenminister Carl Bildt, entscheidend sei, dass überhaupt jemand anruft – und mit dem Reformvertrag ist das deutlich wahrscheinlicher geworden.
Und in der Tat kommt dies immer häufiger vor, trotzdem darf man die Probleme, denen sich die EU-Außenministerin gegenüber sieht, nicht unterschätzen. Denn die einzelnen AußenministerInnen werden nicht darauf verzichten, die Interessen ihrer Länder immer wieder in den Vordergrund zu schieben. Dass war zuletzt auch bei der von den Ministern verabschiedeten Resolution zur Nah-Ost-Frage zu erleben. Dennoch war diese recht klar und hat sich jedenfalls deutlicher für eine faire Zweistaatenlösung ausgesprochen als jemals zuvor. Aber angesichts einer friedensunwilligen israelischen Regierung und einer extremistischen und zum Teil terroristischen Hamas wird das sehr schwierig sein. Dennoch darf die EU nicht aufgeben, für einen gerechten Frieden einzutreten.

Die Beziehungen zu Russland

Auch die Beziehungen zu Russland sind nicht konfliktfrei. Und einige unserer Nachbarn sorgen auch immer wieder dafür, dass die bestehenden Konflikte aufgeheizt werden. So hat Georgien erst kürzlich ein sowjetisches Kriegerdenkmal in Kutaisi gesprengt, wobei es auch Tote und Verletzte gab. Die Lage in der Ukraine bleibt vorerst unübersichtlich und einige Mitgliedsländer der EU, die besonders unter der sowjetischen Besatzung gelitten haben, haben kein gesteigertes Interesse, die Beziehungen zu Russland schrittweise zu verbessern. Auf der anderen Seite ist Russlands Weigerung, sich mit der sowjetischen Vergangenheit ernsthaft auseinanderzusetzen, auch nicht hilfreich.
Die jüngsten Vorschläge von Präsident Medwedjew zu einer umfassenden europäischen/asiatischen Sicherheit unter Einschluss der Amerikaner helfen hier auch nicht viel weiter. Denn die OESCE könnte ja viel mehr leisten, wenn die Russen bereit wären, sie aufzuwerten. Aber innerhalb dieser Organisation spielen ihnen die Fragen der Menschenrechte und der Demokratie eine zu große Rolle. Dennoch: Ein starkes Europa muss den Dialog mit Russland weiterführen und intensivieren, denn es geht in der Tat um unser aller Sicherheit.

Schwere Brocken

Bei der Erwähnung der Sicherheitsfrage fallen einem natürlich sofort Afghanistan, Pakistan und Iran ein, schwere Brocken für alle, die sich Sorgen über die Gefahren aus dieser Region machen. Militärisch scheinen mir diese Probleme nicht zu lösen. Nur ein Einbinden in ein regionales und überregionales Sicherheitssystem könnte hier Abhilfe schaffen. Hier müssten neue Initiativen gesetzt werden. Allerdings muss ich zugeben, dass niemand heute sagen kann, ob diese Länder dazu bereit sind. Sie in ein solches Sicherheitssystem „hineinzubomben“, halte ich allerdings für kontraproduktiv. Zudem ist unklar, ob Israel als regionale Atommacht dabei mitmachen würde. Auch das gälte es auszutesten.

Die Erweiterung

Darüber hinaus gibt es aber noch eine wichtige Frage, die sowohl eine entscheidende Außen- als auch Innenwirkung hat: die Erweiterung der EU. Nun, diese geht ohnedies sehr langsam vor sich und das ist auch gut so. Als einer, der sich immer zum Erweiterungsprozess bekannt hat, bin ich aber überzeugt, dass ein langsamer, wohl durchdachter Erweiterungsprozess für „beide“ Seiten von Vorteil ist. Die EU braucht gerade jetzt nach dem Inkrafttreten des Reformvertrags eine Phase der Konsolidierung. Denn das Umsetzen des Vertrags braucht unsere volle Aufmerksamkeit.
Das heißt nun nicht, dass der Erweiterungsprozess abgebrochen werden soll. Aber er soll parallel zur Umsetzung des Reformvertrags mit aller Sorgfalt erfolgen. Wenn der Beitrittsvertrag mit Kroatien Mitte bis Ende 2010 abgeschlossen werden kann, dann kann der Beitritt wahrscheinlich ohnedies erst 2012 erfolgen. Und mit Mazedonien können die Beitrittsverhandlungen erst 2010 begonnen werden und brauchen dann noch einige Jahre. Darüber hinaus hat noch kein Land der Balkanregion Kandidatenstatus. Und das betrifft auch den Sonderfall Island.

Die Türkei

Auch mit der Türkei gehen die Verhandlungen sehr langsam vor sich. Und in diesem Fall ist der Abschluss der Verhandlungen mit dem Ziel des Vollbeitritts auch prinzipiell offen. Zu viele Fragen sind ungelöst und einige Mitgliedsländer verhalten sich skeptisch bis negativ zum Beitritt. Ich meine, man sollte im Jahr 2010 versuchen, jedenfalls eine Übergangs- bzw. Zwischenlösung zu finden. Das Ziel des Beitritts wird die Türkei nicht aufgeben und das gilt auch für den Großteil der Mitgliedsländer. Aber kurzfristig ist dieses Ziel nicht zu erreichen, und daher sollten wir einen Sonderstatus als Zwischenlösung anstreben und durchaus weiterverhandeln, wenn das von der Türkei gewünscht wird.
Niemand vermag heute zu sagen, wie die Einstellung zum Beitritt in 15 bis 20 Jahren auf beiden Seiten aussieht. Die Türkei ist ein wichtiger regionaler Partner der EU, ob bzw. wann ein Beitritt zur EU aktuell ist, kann heute von Niemandem gesagt werden. Aber je näher wir uns kommen und in unseren Gesetzen und Vorstellungen annähern, umso besser

In einem Jahr wissen wir mehr

Das sind sicherlich nur einige der Themenbereiche, die mit der Stärkung der EU auch eine stärke Beachtung bekommen müssen. Viele andere Themen – von der Sicherheit der Energieversorgung bis zur Absicherung der öffentlichen Dienstleistungen – stehen ebenfalls auf der Tagesordnung. Es bleibt also genug zu tun, ja der neue Vertrag schafft insbesondere dem Parlament mehr Arbeit. Aber das haben wir ja auch gewollt. Es bedeutet auch ein Stück mehr Demokratie.
Das Jahr 2010 wird jedenfalls entscheidende Weichenstellungen bringen. Entweder wir können die Herausforderungen annehmen und zu bewältigen versuchen oder wir scheitern trotz Reformvertrag. Dann hätte sich die Anstrengung nicht gelohnt. In einem Jahr wissen wir mehr.