Der Iran auf dem Vormarsch

Wenn wir geschickt agieren würden, wären wir auch fähig, dem Iran eine gemeinsame Position des Westens und der arabischen Welt gegenüber vorzubringen.
Gestern Abend ging es mit dem Zug nach Amsterdam – mit einigen Schwierigkeiten, da die direkte Verbindung ausgefallen war – und zwar zum Amsterdamer Flughafen Schiphol, von wo aus wir mit einer KLM-Maschine nach Ägypten geflogen sind.
Wir sind heute um drei Uhr früh gelandet. Zum Glück war alles gut organisiert, sodass wir relativ bald in unser Hotel fahren und noch zwei Stunden schlafen konnten, bevor ein äußerst dichtes Besuchsprogramm in Ägypten beginnen sollte.

Nah-Ostproblematik

Der heutige erste Tag unseres Aufenthaltes ist in erster Linie mit offiziellen Terminen gespickt gewesen. Wir trafen Außenminister Ahmed Abul Gheit und Amr Moussa, den Generalsekretär der Arabischen Liga und früheren Außenminister sowie Vertreter des Senats, also der zweiten, nur teilweise gewählten und teilweise ernannten Kammer im ägyptischen Parlament. Selbstverständlich stand die Nah-Ostproblematik immer wieder im Mittelpunkt unserer Diskussionen. Und es gab in diesem Zusammenhang klare Botschaften, dass dieses Kernproblem gelöst werden muss, wenn man auch andere politische Probleme im Nahen Osten lösen möchte.
Zwei Aspekte waren dabei besonders interessant. Zum einen gab auf meine Anfrage hin Außenminister Abul Gheit ganz unmissverständlich zu verstehen, dass der Iran eine gefährliche Entwicklung genommen hat und dass Ägypten alles daran setzen wird, um den Einfluss des Iran im arabischen Raum zurückzudrängen. Es war interessant zu beobachten, wie irritiert und nervös Ägypten bzw. die offizielle Staatsführung auf die aktuellen Entwicklungen reagiert.

Destabilisierender Iran

Abul Gheit machte das allerdings erst auf meine Anfrage hin deutlich und vor allem erst nachdem ich darauf hingewiesen hatte, dass es nicht nur den Nah-Ostkonflikt und den Konflikt zwischen der westlichen und muslimischen bzw. westlichen und arabischen Welt gibt. Inzwischen stehen wir vor drei zumindest bürgerkriegsähnlichen Situationen: im Irak, im Libanon und in Palästina. Und in allen drei Fällen spielt auch der Iran eine ausschlaggebende, wenn auch eher destabilisierende Rolle. Das verursacht in der Region zweifellos eine entsprechende Nervosität.
Es zeigt aber auch, dass wir, wenn wir geschickt agieren, auch fähig wären, dem Iran eine gemeinsame Position des Westens und der arabischen Welt gegenüber vorzubringen. Das ist allerdings solange nicht möglich, solange der Iran die Sympathien der „arabischen Straße“ auf seiner Seite hat, weil er sich als der wirkliche Kämpfer gegen die israelische Besatzungspolitik und gegen die westliche Dominanz ausgibt bzw. ausgeben kann. So gesehen handelt es sich hier um eine der zentralen Schlüsselfragen, die es in diesem Zusammenhang zu lösen gilt. Hinsichtlich der Frage des Islamismus und des Fundamentalismus hat Teheran zweifellos keinen derart direkten Einfluss. Die Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten kommen hier sehr wohl zum Ausdruck. Vielmehr ist auf diesem Feld doch eher Saudi Arabien aktiv – nicht zuletzt auch aufgrund entsprechender finanzieller Mittel.

Bei Boutros Boutros Ghali

Heute Mittag haben wir Boutros Boutros Ghali, den ehemaligen Generalsekretär der Vereinten Nationen, der jetzt einen Rat für Menschenrechtsfragen leitet, getroffen. Es gibt Diskussionen darüber, ob der Rat mehr ein Feigenblatt für die Regierung oder doch ein Ansatz für die Entwicklung und Stärkung der Menschenrechte in Ägypten ist. Wahrscheinlich trifft beides zu. Boutros Boutros Ghali hat zweifellos einen bedeutenden Namen und eine entsprechende Position, die man nicht ohne weiteres zur Seite schieben kann. Er ist jedenfalls ein engagierter Kämpfer gegen Menschenrechtsverletzungen in Ägypten.

Geschickter Schachzug

Im Anschluss trafen wir den Minister für Reformen, der uns verschiedenste Vorhaben für Verfassungsreformen dargelegt hat. Diese Reformen sind zwar angekündigt, aber die konkreten Vorschläge, über die uns der Minister berichtet hat, liegen offiziell noch nicht im Parlament vor. Das hat einige unserer Gesprächspartner, die wir später getroffen haben, veranlasst darauf hinzuweisen, wie die Demokratie hier wirklich funktioniert. Der Minister hat ein Paket, das er ausländischen Gästen präsentiert, ohne dabei zu wissen, was seitens Präsident Mubarak konkret im Parlament vorgeschlagen wird.
Darüber hinaus meinen viele in Ägypten, dass die Art und Weise, wie nach den letzten Wahlen kurzzeitig ein Demokratiefenster geöffnet worden ist, deutlich zeigt, wie man versucht, durch die Öffnung, insbesondere in Richtung islamistischer Gruppen, dem Westen zu signalisieren, dass die Forderung nach mehr Demokratie in erster Linie durch Entsendung von mehr Islamisten in die Regierung umgesetzt wird. Es handelt sich also eher um einen bewussten und geschickten Schachzug, durch den die Vertreter der Islamisten an Gewicht gwinnen.

Mohammeds Heiligtümer

Im Anschluss an das Treffen mit dem Minister besuchten wir eine der zahlreichen Moscheen. Diese Moschee ist ursprünglich eine schiitische Moschee gewesen – heute gibt es keine einzige schiitische Moschee im sunnitischen Ägypten mehr. An diesem Ort werden in einer Schatzkammer einige Heiligtümer aufbewahrt und wir hatten das Privileg, diese zu besichtigen. Darunter waren angeblich das Schwert von Mohammed und andere Gegenstände, mit denen er selbst gewerkt hatte.
Am Abend fand schließlich noch ein Gespräch mit einem Vertreter einer der bekanntesten Parteien statt, deren Vorsitzender allerdings verhaftet worden ist, weil er angeblich bei der Sammlung von Unterschriften für seine Kandidatur geschummelt hat. Ob das stimmt oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Manche meinen, dass es tatsächlich zu Fehlern gekommen ist. Die Art und Weise, wie er öffentlich erniedrigt, verhaftet und gefoltert worden ist, ist allerdings in jedem Fall absolut unerträglich und inakzeptabel.

Grenzen werden deutlich

In diesem Zusammenhang sollte erwähnt werden, dass die Amerikaner, die stets sehr stolz auf ihre eigene Demokratie sind, selbst nur sehr verhalten Kritik geübt haben. Das zeigt, dass die großsprecherische, ideologisch geführte Politik der Amerikaner in Wirklichkeit dort ein Ende nimmt, wo es um ihre eigenen Verbündeten geht.
Es ist bis zu einem gewissen Grad nachvollziehbar, dass man nicht nur auf die interne Menschenrechtssituation Rücksicht nimmt, sondern auch auf die geopolitische Lage. Trotzdem ist es traurig, dass die Hauptverbündeten nichts von einer demokratischen Entwicklung erkennen lassen und unnotwendig hart und mit Repressalien gegen Oppositionelle vorgehen wie in Ägypten oder bei einem extrem fundamentalistischen, diskriminatorischen Regime wie in Saudi Arabien. Das macht die entsprechenden Grenzen deutlich.

Rolle des Iran gewachsen

Und dennoch hat der Verbündete Ägypten immer mehr an Gewicht verloren, weil, wie bereits erwähnt, dieses Gewicht mehr und mehr dem Iran zugefallen ist. Im Iran sind die Hauptgegner von den Amerikanern gewissermaßen weggebombt worden – sowohl in Afghanistan als auch im Irak. Schon allein dadurch ist die Bedeutung der Schiiten und des Iran entsprechend angestiegen.
Zudem gibt es eine permanente Missachtung des Nah-Ostproblems. Schon allein vor diesem Hintergrund ist die Bedeutung der Schiiten und des Iran entsprechend gestiegen. Die permanente Missachtung des Nah-Ostproblems hat in der arabischen Welt ebenso zu Unverständnis geführt wie die Reaktion des Westens auf die demokratische Wahl in Palästina, die die Hamas hervorgebracht hat. Und diese Entwicklungen wurden von den Iranern umgehend dazu genützt, ihre eigene Position zu stärken.

Bei der EU-Kommissionsvertretung

Im Rahmen unseres Ägyptenaufenthaltes fand auch das traditionelle Arbeitsessen in der Kommissionsvertretung statt, an dem Botschafter aus zahlreichen Ländern teilgenommen haben. Wir diskutierten mit ihnen über die Entwicklungen in Ägypten und ließen uns von ihnen eine Einschätzung der Lage geben. Es war zugleich auch ein Ausdruck der Wertschätzung unseres Besuches. Unsere Delegation bestand aus drei VizepräsidentInnen unserer Fraktion: Pasqualina Napoletano, die für die Beziehungen zum mediterranen Raum zuständig ist, Jan Marinus Wiersma und ich selbst.
Auch Michel Rocard, der frühere Premierminister Frankreichs und nunmehr langjähriges Mitglied des Europäischen Parlaments, hat uns begleitet. Ich bewundere sein Engagement, seinen Fleiß und seine Bescheidenheit. Rocard ist sich der Errungenschaften, die er als Premierminister erzielt hat, durchaus bewusst – und das zu Recht. Aber er trägt dieses Bewusstsein nicht vor sich her, ist in keiner Weise hochnäsig oder überheblich und hat sich in diesem Sinn äußerst gut in unsere Delegation eingefügt.

Kairo, 19.12.2006