Der Kampf hat gerade erst begonnen

IMG_9149Wie die deutsche Wochenzeitung „Die Zeit“ kürzlich feststellte, gibt es wenig Intellektuelle, die sich mit Europa und seiner Krise auseinandersetzen. Dazu gehören Jürgen Habermas, Ulrich Beck und Robert Menasse. Darum war ich sehr froh, dass die Kulturpolitische Gesellschaft Österreichs ihn und mich zu einer Diskussionsveranstaltung Sonntagsmorgen eingeladen hat.

Welche Art Krise?

Wenn man über Europa und seine Krise redet, dann muss man zuerst fragen, um welche Art Krise es sich denn überhaupt handelt. Ist es tatsächlich nur eine Verschuldungskrise, wie immer behauptet wird? Oder ist es doch in den meisten Fällen eine strukturelle Krise, vor allem in jenen Ländern, die Wettbewerbsprobleme haben? Und haben nicht gerade die Dereglulierungen auf den Finanzmärkten eine wesentliche Mitschuld an der Krise zu tragen? Darüber hinaus ist die Krise in Europa wahrscheinlich auch ein Zeichen der globalen Verschiebungen hin zu den neuen aufstrebenden Mächten wie China, Indien aber auch Brasilien etc. Dass wir zu ihnen um Geld „betteln“ gehen, ist doch sicher ein Beleg dafür.

Kritik am Krisenmanagement

Aber so wie sich die Krise darstellt, ist sie sicher auch bzw. vor allem eine Krise der politischen Unentschlossenheit und der Unfähigkeit der führenden EU-PolitikerInnen, rasch und effektiv auf die Anfänge der Krise zu reagieren. Und dazu haben vor allem die Populisten aller Richtungen einen wesentlichen Beitrag geleistet. Mit der Krise und den zögerlichen und von wenigen Erklärungen begleiteten Maßnahmen sahen sie ihre Stunde gekommen. Sie kritisieren europäische Politik und Institutionen als das „Europa gegen das Volk“ und mobilisieren das „Volk gegen Europa“, wie es Mark Leonhard formulierte.
Jürgen Habermas hat da mit seiner Kritik am Krisenmanagement der EU schon Recht, wenn er fordert, dass „das bisher von den politischen Eliten hinter verschlossenen Türen betriebene Projekt auf den hemdsärmeligen Modus eines lärmend argumentierenden Meinungskampfes in der Öffentlichkeit umgepolt werden“ muss. So sehe ich zwei Grundfehler beim gegenwärtigen Krisenmanagement: Einerseits die einseitig, vielleicht auch ideologisch motivierte Konzentration auf die Schulden- und Budgetfrage und anderseits das Unvermögen oder der mangelnde Wille zum öffentlichen und breit angelegten Diskurs über die Bedeutung und die Zukunft Europas in einer globalisierten Welt. Demnach sind alle bestehenden Lösungsansätze zu technokratisch angelegt.

Zwei Grundfragen

Ich gehe nicht so weit wie Robert Menasse, der meint, es gebe keine Krise und der „nur“ von fundamentalen Widersprüchen spricht. Aber ich gebe ihm insofern Recht, als die wirtschaftliche Krise nicht das eigentlich Bedenkliche und Gefährliche ist, sondern die Unfähigkeit der führenden Politik, die wirtschaftliche Fragen so zu lösen, dass Europa gestärkt aus den Problemen herauskommt.
Grundsätzlich sind zwei Grundfragen zu klären. Erstens, wie wir das Verhältnis zwischen der Eurozone mit ihren strengeren Anforderungen und der übrigen EU gestalten wollen. Denn bei aller Konzentration auf die Wirtschaftsfragen gibt es ja auch noch andere Herausforderungen an die EU – von Sicherheitsproblemen über die Außen- bis zur Klimapolitik. Zweitens müssen wir uns entscheiden, ob wir die Lösungen im Rahmen der sogenannten Gemeinschaftsmethode mit einer starken Rolle der EU-Kommission und des EU-Parlaments suchen und finden oder ob wir zum System des Intergouvermantalismus zurückkehren wollen, also zur Zusammenarbeit der Regierungen. Man kann sich vorstellen, wer bei dieser Zusammenarbeit dann das Sagen hat: sicher nicht die kleinen Mitgliedstaaten, sondern wenige Große, das heißt derzeit nur Deutschland.

Gefährliche Vorschläge

Es ist klar, dass das EU-Parlament und die Kommission die Gemeinschaftsmethode vertreten und auch für eine enge Verknüpfung der speziellen Regelungen für die Eurozone mit den Regeln für die EU insgesamt eintreten. Denn die wirtschaftlichen und politischen Verbindungen und Abhängigkeiten sind zu stark, als dass man zwei getrennte Zonen in der EU schaffen könnte oder sollte. Dennoch gibt es prominente Persönlichkeiten, die so etwas vorschlagen. Einer davon ist der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer. Er schlägt vor, eine eigenen EuroRegierung und ein EuroParlament aus nationalen Regierungsvertretern und Parlamentariern zu schaffen. Ich halte das für einen gefährlichen Vorschlag, würde doch Europa damit neuerlich geteilt und wesentlich geschwächt werden. Und es würde für den Bürger nicht unübersichtlicher werden.
Zweifellos müssen wir einen Weg finden, wie man die Eurorzone und die speziellen Anforderungen an die Stabilität des gemeinsamen Währungsraumes und eventuelle Finanzhilfen gestaltet. Aber man darf nie so weit gehen, dass man eine zweite EU mit gesonderten Institutionen innerhalb der bestehenden EU schafft. Das Maximum ist ein Vorschlag eines EuroParlaments zur Hälfte aus nationalen und EU-ParlamentarierInnen. Dabei könnte und sollte die EU-Kommission weiterhin die führende „administrative“ Rolle spielen. Wir brauchen keine separate EuroRegierung. Die Überschrift des Interviews mit Joschka Fischer in „Die Zeit“, „Vergesst diese EU“, halte ich jedenfalls für sehr gefährlich. Sie führt auf eine sehr gefährliche Fährte.

Viel Arbeit

In der anfangs erwähnten Diskussion gab sich Robert Menasse trotz aller Kritik als sehr optimistisch. Er meinte, dass sich das industriell-gewerbliche Kapital gegen das Finanzkapital und das internationale, weltumspannende gegen das engstirnige nationale Kapital durchsetzen werde. Und damit werde den rückwärtsgewandten, nationalistischen Bestrebungen ein Riegel vorgeschoben. Ich bin da leider nicht so optimistisch. Ich fürchte mich vor den Versuchen der Renationalisierung und sehe größere ideologische Verblendungen auch auf der Kapitalseite, d.h. bei den Unternehmungen. Sie handeln nicht immer in ihrem langfristigen Interesse. Daher sehe ich für die europäische Politik und diejenigen, die unsere gemeinsamen Interessen global vertreten möchten, viel Arbeit voraus. Der Kampf hat gerade erst begonnen.

Wien, 13.11.2011