Der Karikaturenstreit

Wir müssen gerade jetzt eine Politik zu betreiben, mit der wir den Angehörigen der islamischen Religion Respekt entgegen bringen und sie integrieren, wenn sie bereit sind dazu.
Die vergangene Straßburg-Woche hat sich – neben der Abstimmung über die Dienstleistungsrichtlinie – auch noch durch eine zweite Besonderheit ausgezeichnet.

Heinz Fischer im Europäischen Parlament

Heinz Fischer, Österreichs Bundespräsident hat das Europäische Parlament besucht und vor dem Plenum gesprochen. Staatsoberhäupter werden von Zeit zu Zeit eingeladen und können auch von sich aus vorschlagen, zu kommen, um eine Rede vor dem Europäischen Parlament zu halten. Dieses Recht haben wir in Anspruch genommen, um im Rahmen der österreichischen Präsidentschaft zu zeigen, dass diese nicht nur aus der schwarz-blauen Regierung besteht, sondern es auch einen sozialdemokratischen Bundespräsidenten gibt. Wir wollten damit weder Zwietracht säen noch die Differenzen aufzeigen, sondern alle Nuancen entsprechend präsentieren.

Ausgezeichnete Rede

Heinz Fischer hat erwartungsgemäß eine ausgezeichnete Rede gehalten, die von vielen Seiten anerkannt worden ist. Er hat auch inhaltlich sehr gut argumentiert und sich nicht mit Floskeln und staatstragenden Formulierungen begnügt. So hat er etwa zur Frage eines gemeinsamen europäischen Referendums zu Fragen der Verfassung einen Akzent gesetzt, der mit ihm auch in der Konferenz der Präsidenten noch einmal gemeinsam diskutiert worden ist.
Auch in der Frage des so genannten Karikaturenstreits Heinz Fischer sehr klar festgehalten, dass die Pressefreiheit unbestritten ist und es keine gesetzlichen Einschränkungen geben soll außer den ohnedies vorgesehenen. Und trotzdem, so der Bundespräsident, muss man erwarten können, dass Journalisten Respekt vor den Religionen haben und diesen entsprechend berücksichtigen.

Ein außergewöhnlicher Politiker

Dieser Besuch war äußerst erfolgreich. Eine ungemein sympathische Persönlichkeit, die zugleich ein exzellenter politischer Kopf ist, hat Österreich an diesem Tag vertreten. Heinz Fischer hat über die üblichen Repräsentationspflichten hinaus sehr klar zum Ausdruck gebracht, dass ein sozialer Demokrat am Werk ist, der in seiner Art schon viele Jahrzehnte mitgeholfen hat, ein neues Europa jenseits der Grenzen des Eisernen Vorhangs zu schaffen.

Der Karikaturenstreit

Der bereits erwähnte Karikaturenstreit hat nicht nur in der Rede von Heinz Fischer seinen Niederschlag gefunden, sondern auch in der Tagesordnung des Europäischen Parlaments. Ich war sehr skeptisch, diese Frage aufzugreifen. Und vor allem war ich dagegen, in kurzer Zeit eine entsprechende Resolution zu verfassen. Aber die Mehrheit hat das anders gesehen. Wie das immer der Fall ist, versuchen die verschiedenen Fraktionen ihre Hobbys und Bemerkungen in derartige Resolutionen einzubringen.
Ich habe dafür geworben, dass die Sozialdemokratie diese Resolution nicht unterschreibt. Wir haben schließlich die Resolution verabschiedet, ohne zu den Initiatoren und Unterzeichnern zu gehören. Ich selbst habe in diesem Fall nicht mitgestimmt und gemeinsam mit andern KollegInnen aus der Fraktion vertrete ich eine etwas andere Ansicht als die Mehrheit.

Grenzfall

Für mich ist es selbstverständlich, dass es die Freiheit der Rede, der Sprache oder der Karikatur geben soll. Doch es gibt Regeln, die das einschränken, etwa für antisemitische und verhetzende Darstellungen. Bei den Karikaturen in Zusammenhang mit dem Propheten Mohammed und dem Islam wurde ein derartiger Grenzfall erreicht.
Bundespräsident Fischer meinte in seiner Rede, wenn es in einer Religion ein Abbildungsverbot gäbe, so sei das in der Vergangenheit auch nicht immer eingehalten worden und man sollte diese Tatsache respektieren. Ich teile diese Einschätzung, insbesondere in der jetzigen heiklen Phase zwischen Christentum und dem Islam in Europa. Jene Karikaturen, die zum aktuellen Streitfall geführt haben und eine Identität zwischen dem Islam und Terrorismus herstellen, könnten in den Augen vieler sehr problematisch sein.

Falsche Reaktion

Für mich ist es dagegen äußerst problematisch, dass der dänische Premierminister nicht bereit war, die Botschafter islamischer Länder zu empfangen, um mit ihnen über diesen Fall zu diskutieren. Ich meine damit nicht, dass er sich von vornherein entschuldigen hätte müssen. Er hätte auf die Medienfreiheit verweisen können. Und er hätte den Botschaftern sein Verständnis und seine Sympathie erklären und die Presse warnen können, dass man vorsichtig sein muss, um religiöse Gefühle nicht zu verletzen.
Er hat all das nicht getan – vor allem deshalb nicht, weil er von einer extrem rechten Partei abhängig ist, die ein solches Vorgehen wahrscheinlich als Schwäche gegenüber dem Fremden und dem Islam angesehen hätte.

Integration und Dialog sicherstellen

Es ist für mich selbstverständlich, dass die zum Großteil organisierten Proteste in verschiedenen arabischen und islamischen Ländern gegen dänische und andere, auch österreichische Botschaften sowie gegen Europa bis hin zu einem Handelsboykott völlig inakzeptabel sind. Das steht außer Frage und einige Erklärungen sind vor allem deshalb zynisch, weil sich einige Länder, die mit Religion wenig zu tun haben oder sogar islamitische Organisationen verboten bzw. deren Mitglieder in großer Zahl getötet oder inhaftiert haben, jetzt als Verteidiger der Religionsfreiheit hervortun.
Wir müssen aber sehr wohl in dieser prekären Situation dafür Sorge tragen, dass es – jedenfalls von unserer Seite – keinen Beitrag zu einer Auseinandersetzung zwischen dem Islam und dem Christentum, zwischen der islamischen und der europäischen Welt geben darf. Innerhalb Europas, wo viele Gläubige des Islam leben, müssen wir bei aller Zurückweisung von jeglicher Art des Extremismus sicherstellen, dass die Integration funktioniert und das Verständnis füreinander wächst.

Politisch richtig handeln

Es gibt Extremismus auf der rechten, zum Teil christlichen Seite, und es gibt Extremismus auf der islamischen Seite. Es gibt die Religionsfanatiker, die sich in ihrem Fundamentalismus „treffen“ und die den Laizismus- die Trennung von Staat und Religion – ablehnen. Sie wollen jetzt ihr Kapital daraus schlagen, um die Religion schlechthin gegen einen Missbrauch der Freiheit der Ausdrucksweise, der Sprache und der Kunst zu verteidigen.
Der entscheidende Faktor ist jetzt, eine Politik zu betreiben, mit der wir den Angehörigen der islamischen Religion Respekt entgegen bringen und sie integrieren, wenn sie bereit sind dazu. Und wir sollten sie dazu drängen, dafür bereit zu sein, um das Verhältnis zu den islamischen Ländern nicht zusätzlich zu belasten.

Extrem belastetes Verhältnis

Durch die Besetzung des Irak und die amerikanische Intervention ist das Verhältnis zwischen dem Westen und den islamischen Ländern extrem belastet. Durch die berechtigte Unterstützung Israels als Staat, aber durch die nicht berechtigte faktische Unterstützung der Okkupation der Gebiete der Palästinenser ist das Verhältnis ebenfalls belastet. Letztendlich hat diese Tatsache, neben der Korruption der Fatah-Bewegung und anderen Momenten, auch einen Beitrag zum Sieg der Hamas in Palästina geleistet.
Hinzu kommt eine starke Auseinandersetzung mit dem Iran aufgrund des Atom-Programms, das nicht nur, wie vorgegeben, zur zivilen Nutzung, sondern auch zur Entwicklung atomarer Waffen dient. In dieser Situation wegen einer dummen Karikatur, einer mangelhaften Reaktion Dänemarks und einer zu schwachen Reaktion durch die österreichische Präsidentschaft dieses instabile Verhältnis zusätzlich zu belasten, wäre verantwortungslos.

Brückenschlag der Präsidentschaft

Ich bin sehr froh, dass die österreichische Außenministerin gerade in diesen Tagen – spät, aber doch – in einem Gespräch mit dem syrischen Großmufti, einem Vertreter der österreichisch-islamischen Glaubensgemeinschaft und dem dänischen Außenminister versucht hat, Brücken zu schlagen. Ich hoffe, dass dieser Versuch seine Wirkung zeigt.
Es war aus meiner Sicht eine gut Initiative. Und so sehr ich kritisiert habe, dass die österreichische Präsidentschaft die Lage zu spät geklärt hat, so sehr begrüße ich jetzt diese positive Initiative. Jeder konstruktive Weg, um aus diesem Schlamassel herauszukommen, muss beschritten werden.

Unberechenbarer Iran

Diese Woche führte ich übrigens ein ausführliches Gespräch mit dem israelischen Botschafter bei der Europäischen Union. Er hat ein sehr realistisches Bild der Situation, auch hinsichtlich des Iran gezeichnet. Ich kann an dieser Stelle keine Einzelheiten aus dem Gespräch vermitteln, das wäre unfair. Aber ich glaube, wir müssen, was den Iran betrifft, dazu kommen, dass wir dem Sicherheitsbedürfnis des Staates Iran und der Gesellschaft im Iran mehr Augenmerk schenken um sie nach dieser Sucht nach atomarer Bewaffnung wegzubringen.
Man darf nicht vergessen, dass in ihrer Umgebung eine Reihe von Ländern Atomwaffen besitzen – von Israel über Indien nach Pakistan. Zudem ist Amerika in dieser Region extrem stark vertreten und hat signalisiert, dass es durchaus gewillt ist, im Irak auch militärisch einseitig einzugreifen. Präsident Ahmadinedschad nimmt außerdem eine völlig unvertretbare Position besonders in Zusammenhang mit dem Verhältnis zu Israel und zum Terrorismus ein. Diese „Verrücktheit“ kann ich nur zutiefst bedauern. Ich habe mich wie viele andere dafür eingesetzt, trotz der vielen negativen Phänomene im Iran zu versuchen, ein vernünftiges Verhältnis zu diesem Land zu gestalten und nicht mit einem neuerlichen Säbelrasseln eine zusätzliche Konfliktsituation zu schaffen.

Vermittler Türkei

Ich hoffe, dass sich unser Verhältnis zum Islam insgesamt bald stabilisieren wird. Natürlich spielt dabei auch die Türkei eine große Rolle und könnte eine wichtige Vermittlerposition einnehmen. Sie tut das auch, nicht nur aus Interesse für Europa, sondern auch aus eigenem Interesse. Man möchte demonstrieren, wie wichtig die Türkei als Mitglied der Europäischen Union wäre. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass gerade jetzt viele Gegner des Türkei-Beitrittes mit so einer derartigen Vermittlerrolle der Türkei ein bisschen liebäugeln.

Wien, 17.2.2006