Der Kosovo vor den Wahlen

Zum ersten Mal, seit ich im Kosovo bin, scheint die Umsetzung eines friedlichen Zusammenlebens der einzelnen Bevölkerungsgruppen möglich zu sein.

Wenige Tage nach dem Aufenthalt in Mazedonien sind wir in den Kosovo gekommen. Von Wien aus ist eine kleine Delegation von Europaparlamentariern, begleitet von einigen DolmetscherInnen, nach Pristina geflogen.

Ich und mein Bodygard

Überraschend war, dass die Sicherheitsvorkehrungen mit Begründung der Attentate vom 11. September viel strenger als jemals zuvor waren. Doris Pack als Vorsitzende und ich als Stellvertreter unserer Delegation bekamen eigene Bodygards an unsere Seite gestellt, die uns genaue Anweisungen gaben, wie wir uns zu verhalten hatten.
In dem kleinen Bus, mit dem wir chauffiert wurden, sassen sie auf der Fensterseite. Bevor wir unsere Hotelzimmer betreten konnten, kontrollierten sie sie zuerst gründlich. Und jedes Mal, wenn wir in den Büros die Toiletten aufsuchten, hat uns ein Soldat begleitet und das WC hinsichtlich möglicher Attentäter inspiziert. Es gab aber keinerlei Zwischenfall, und mir schienen die Vorsichtsmaßnahmen auch reichlich übertrieben. Wir haben uns trotzdem in unser „Schicksal“ gefügt.

Neue Perspektiven

Die Gespräche in Pristina mit den Vertretern der UNMIK, also der UN-Übergangsregierung, den Vertretern der Europäischen Union im Rahmen der UNMIK sowie mit dem Chef der Kosovo-Wiederaufbauagentur waren sehr fruchtbar und haben durchaus neue Perspektiven aufgezeigt.
Dabei gab es unterschiedliche Schwerpunkte. Die Vertreter der EU-Verwaltung bzw. der sogenannten EU-Säulen innerhalb der UNMIK bzw. auch des für die politischen Fragen zuständigen Vertreters Tom König waren stärker von Optimismus getragen, während der Chef der Wiederaufbauagentur in seinem Optimismus etwas zurückhaltender war.
Klar ist aber, dass die UN-Verwaltung in dieser Region durchaus positive Arbeit geleistet hat. Ein extrem hoher Prozentsatz der von der EU zur Verfügung gestellten Mittel ist tatsächlich in Projekte umgesetzt worden, und auch die Vertragspartner – was bei der EU sonst unüblich ist – haben in kürzester Zeit ihr Geld erhalten.

Treffen mit den Minderheiten

Auch die Gespräche mit den politischen Vertretern haben einen durchaus positiven Eindruck bei uns hinterlassen. Zunächst trafen wir verschiedene Minderheitenvertreter: einerseits jene der Serben und andererseits jene kleinerer Gruppen – von den Türken bis zu den Bosniaken und den Ägyptern, eine Gruppe, die mit den Roma und Sinti verwandt ist.
Insbesondere die serbischen Vertreter sind in einer schwierigen Lage. Sie hatten früher das Sagen und sind jetzt doch eine deutliche Minderheit, die noch dazu von der Mehrheit oder jedenfalls von den extremen Vertretern der albanischen Mehrheit drangsaliert und diskriminiert wird.
Mit Rada Trajkovic trafen wir eine altbekannte Spitzenvertreterin der serbischen Gemeinschaft, die in ihrer moderaten Art stets versucht hat, die Interessen ihrer Bevölkerungsgruppe zu vertreten. Sie sagte klar und deutlich, um sie wörtlich zu zitieren: „Würden immer die Albaner regieren, wäre das schlecht für die Serben. Sind aber die Serben an der Macht sind, so ist das schlecht für die Albaner.“ Aus diesem Grund muss nach Trajkovics Ansicht eine Entwicklung Platz greifen, nach der beide an der Macht und der Regierung beteiligt sind.

Alles entscheidende Wahlen

Nun geht es aber in erster Linie um die Teilnahme an den Wahlen am 17. November. Trajkovic bekannte in diesem Zusammenhang klar, so wie ihr Kollege Dragan Belic, dass die Serben, insbesondere jene, die in den verschiedenen Enklaven im Kosovo leben, durchaus bereit seien, an den Wahlen im Kosovo teilzunehmen.
In der Region rund um Mitrovica scheint es geteilt zu sein, obwohl einer der Hauptvertreter, Ivanovic, durchaus bereit ist dabei mitzuhelfen, dass es zu einer Teilnahme der Serben kommt.

Bekenntnis aus Belgrad fehlt

Was allerdings noch fehlt, ist ein klares und unmissverständliches Bekenntnis aus Belgrad. Und mit Belgrad sind Präsident Kostunica, Ministerpräsident Djindjic und der für diese Fragen zuständige und sehr engagierte stellvertretende Ministerpräsident Miroljub Labus sowie der Patriarch Pale gemeint. Wenn sich diese Persönlichkeiten ganz klar und deutlich für die Teilnahme an den Wahlen aussprechen würden, würde es auch zu einer hohen Beteiligung der Serben kommen.
Den Serben ist zwar ohnedies zugestanden worden, dass sie jedenfalls 20 von den insgesamt 130 Abgeordneten bekommen. Durch eine Teilnahme an den Wahlen würden sie aber darüber hinaus auch zusätzliche Vertreter im provisorischen Parlament des Kosovo erhalten. Sie bekommen ausserdem einen Minister, genau so wie die anderen Minderheiten ebenfalls einen Minister in der zukünftigen Regierung erhalten.

Zum ersten Mal wirklich optimistisch

In unseren Gesprächen wurden nach wie vor Beschwerden über einige Diskriminierungen und Probleme, denen die Serben ausgesetzt sind, laut. Insgesamt war es aber doch eine weitaus positive Haltung und Einstellung, die die serbischen Vertreter an den Tag gelegt haben. Und auch die Beurteilung der UNMIK war durchaus positiv.
Die Gespräche mit den serbischen Vertretern haben diesmal wirklich Anlass für Optimismus gegeben. Zum ersten Mal, seit ich im Kosovo bin, scheint die Umsetzung eines friedlichen Zusammenlebens der einzelnen Bevölkerungsgruppen möglich zu sein.
Die Vertreter der anderen Minderheiten waren etwas kritischer – vielleicht deshalb, weil sie Angst haben, zwischen der großen albanischen Mehrheit und der großen serbischen Minderheit zuwenig Raum für sich selbst zu bekommen. Allerdings, wie schon erwähnt, ist auch ihnen eine durchaus positive Rolle in der zukünftigen, provisorischen Regierung zuerkannt worden.

Vernunft auch bei den Albanern

Der nächste Tag war voll von Gesprächen mit den Vertretern der albanischen Seite. Wir trafen Ibrahim Rugova, den Vorsitzenden der demokratischen Liga des Kosovo, Hashim Thaci, den Vorsitzende der demokratischen Partei und Ramush Haradinaj, den Führer der Allianz für die Zukunft des Kosovo. Alle drei haben sich ebenfalls durchaus positiv über die Zusammenarbeit sowohl mit der UNMIK als auch mit den Minderheiten gezeigt.
Inwieweit dabei manches eher taktisch motiviert war, um die Wahlen sicher über die Bühne zu bringen, kann ich nicht genau sagen. Dagegen scheint mir sehr eindeutig zu sein, dass jetzt, da der Wahltermin näher rückt und man doch eine gewisse starke Autonomie sieht, auch auf der albanischen Seite die Führer aller drei großen albanischen Bewegungen und Parteien sehr konstruktiv auftreten.

Rugova, der zukünftige Präsident des Kosovo?

Sicherlich hat Rugova schon immer die pazifistische, friedliche Linie vertreten und kann in Mazedonien dazu beitragen, dass diese friedliche kooperative Linie auch in Zukunft vertreten wird. Und es ist davon auszugehen, dass Rugova eine entsprechende Führungsposition bekommen wird.
Bisher haben wir derartige Gespräche mit den albanischen Vertretern stets im Büro der europäischen Wiederaufbauagentur von Herrn Mingarelli geführt. Es kann davon ausgegangen werden, dass in diesem Raum nach den Wahlen ein zukünftiger Präsidenten des Kosovo residieren wird. Und das wird aller Voraussicht nach Ibrahim Rugova sein.
Zwar ist im gesamten Gebäude das Museum des Kosovo untergebracht und die Museumsverwaltung sieht es gar nicht gerne, dass künftig die europäische Agentur hinausgedrängt werden wird. Dieser bisherige Mieter war nämlich ohnehin nur ein vorübergehender, während der künftige Mieter Rugova als Präsident des Kosovo zweifellos länger hier bleiben wird und damit das Museum selbst auf Dauer aus diesem Haus verdrängt werden würde.

Einseitige Abspaltung von Jugoslawien vermeiden

Wie gesagt, die Gespräche waren positiv. Klar ist dabei, dass alle albanischen Parteien die Unabhängigkeit im Auge haben. Und klar ist auch, dass die Vertreter der serbischen Minderheiten nach wie vor eine, wenn auch etwas lockere, Zugehörigkeit zu Jugoslawien anstreben.
Man wird sehen, was die Geschichte bringt. Eine dauerhafte Zughörigkeit zu Jugoslawien scheint mir eher sehr unwahrscheinlich zu sein, aber eine all zu schnelle, jedenfalls einseitige Abspaltung von Jugoslawien muss unter allen Umständen verhindert werden.

Unterschiedliche Geschwindigkeiten

Was nun die Aufgabe der Europäischen Union im Kosovo betrifft, so habe ich bereits angemerkt, dass die Tätigkeit der Agenturen vor Ort, wenn man den Zahlen trauen darf – und offensichtliche wurden diese durch den Europäischen Rechnungshof bestätigt -, äusserst positiv gelaufen ist. Eine Arbeit, die nicht leicht war, die aber mit Geschwindigkeit und Effizienz zugleich gemacht worden ist.
Leider sind die Behörden, die es im Kosovo von der albanischen Seite gibt, nicht jener Effizienz und Geschwindigkeit gefolgt. Gestern hatte ich mich etwa beim Chef der UNMIK/Abteilung 4, jenem Teil, den die Europäische Union verwaltet und leitet, erkundigt, ob inzwischen schon mehr Bürger im Kosovo ihren Strom bezahlen würden. Vor einem Jahr lag die Zahl bei lediglich 25 Prozent. Man teilte mir mit, dass jetzt tatsächlich mehr Menschen ihre Stromrechnungen bezahlen würden, aber immer noch viel zu wenige und man diesbezüglich große Anstrengungen unternehme, um den Prozentsatz zu erhöhen.

Für Infrastruktur bezahlen

In der europäischen Wiederaufbauagentur ist man etwas skeptischer. Nach deren Zahlen sind es nach wie vor 25 Prozent der Bevölkerung. Und aus ihrer Sicht wird kaum etwas unternommen, um den Kosovaren wirklich die Pflicht aufzuerlegen, für Energie zu bezahlen – obwohl es inzwischen viele Autos gibt, in vielen Wohnungen große Fernsehantennen für Satelittenempfang installiert wurden, etc.
Es besteht also offensichtlich Widerstand, wirklich die volle Verantwortung für den Aufbau einer Infrastruktur zu übernehmen. Dazu gehört nämlich auch, für die entsprechenden Leistungen wie überall anders auf der Welt den entsprechende Beitrag zu bezahlen. Es sei denn, man ist wirklich so arm, dass man diesen Beitrag nicht leisten kann.

Mehr Leistungsbereitschaft

Die Agentur ist zudem nicht nur im Kosovo, sondern auch in Serbien und zum Teil in Montenegro aktiv. Uns wurde signalisiert, dass in Serbien die Einsatz- und Leistungsbereitschaft grösser ist, was darauf zurückzuführen ist, dass die Ausbildung der Menschen dort weitaus stärker gegeben ist und daher von diesen Leistungen und Aktivitäten mehr zu erwarten ist als es im Kosovo der Fall ist.
Das alles zeigt, dass jedenfalls noch sehr viel zu tun ist, um den Kosovo auch in der wirtschaftlichen Leistungsbereitschaft selbst an das Niveau anderer Länder im Balkan heranzuführen. Und es muss auch den Kosovaren klar sein, dass die derzeit massive finanzielle Hilfe nicht auf Dauer geleistet werden kann, vor allem dann nicht, wenn die Kosovaren ihre eigenen Anstrengungen nur schleppend entwickeln. 
Pristina, 10.10.2001