Der Kurs stimmt

Jetzt gilt es, die proeuropäischen Kräfte in Serbien glaubhaft zu unterstützen und die spezielle Situation des Landes anzuerkennen.
Ende Oktober besuchte ich gemeinsam mit Jan Maria Wiersma unsere Freunde der Demokratischen Partei in Serbien. Wir trafen aber auch einen Vertreter der sogenannten Sozialistischen Partei, also jener Partei, die ehemals zu Milosevic gehört hat, sich aber jetzt zu Europa bekennt.

Beschämende Lage für die Roma

In erster Linie wollten wir ihm Rahmen dieses Besuches die aktuelle politische Lage, insbesondere nach Bildung dieser Regierung, ausloten und herausfinden, ob die Orientierung der neuen Regierung tatsächlich in Richtung Europa geht – etwa im Kontext einer Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag betreffend Kriegsverbrecher – oder ob es Ambivalenzen gibt.
Am ersten Tag haben wir uns allerdings einem anderen Thema gewidmet, nämlich der Situation der Roma. Die Roma sind ja am Balkan sehr oft in einer schlimmen Lage. Sie werden diskriminiert, aber vor allem ihre soziale Lage ist zum Teil katastrophal. Wenn man in Belgrad einen Blick aus den Büroräumlichkeiten der Europäischen Kommissionsvertretung wirft, sieht man auf eine Romasiedlung oder besser ein Lager, die sich unter bzw. neben einer verkehrsbelasteten Brücke befindet – ein furchtbarer Eindruck. Es wird einem vor Augen geführt, wie selbst in der Großstadt Belgrad die Situation der Roma ist.

Formale Existenz ermöglichen

Die Vertreter der Roma, die wir sahen, waren zum Teil für das Land insgesamt zuständig, zum Teil kamen sie aus Novisad, also aus der Vojvodina. Sie haben die verschiedenen Probleme geschildert. Viele Roma, die im Lande leben, aber auch vor allem viele Roma, die zurückkehren, weil sie aus Deutschland, Österreich und anderen Ländern hinausgedrängt und über das vereinbarte Rücknahmeabkommen von Serbien aufgenommen werden, haben vielfach keine Dokumente und sind oft nicht registriert. Für den Staat, für die Bürokratie und auch für verschiedene staatliche Einrichtungen, von Sozialeinrichtungen bis zur Schule, existieren sie einfach nicht.
Dieses grundsätzliche Problem anzugehen, nämlich den Menschen aus der Romagemeinschaft die Möglichkeit einer formalen Existenz und die entsprechenden Dokumente zu geben, um auch entsprechende Ansprüche zu begründen, muss in nächster Zeit gelöst werden. Sowohl mein Kollege Wiersma als auch ich selbst sind seit vielen Jahren auf diesem Gebiet tätig. Wir setzen uns immer wieder damit auseinander, wie wir der Romabevölkerung in Europa eine Stimme, eine Sprache, eine Vertretung geben und wie wir auch die Europäischen Kommission dazu drängen können, für die Roma viel mehr zu tun. Immerhin handelt es sich um eine Bevölkerungsgruppe von etwa acht Millionen, also wesentlich mehr Einwohner als in vielen Mitgliedstaaten. Die Roma haben allerdings keinen Mitgliedsstaat hinter sich, wie das bei anderen Minderheiten der Fall ist, wo es oft jenseits der Grenzen einen Mutter- bzw. Vaterstaat gibt, der die Interessen dieser Minderheit vertritt. Im Falle der Roma ist das nicht der Fall.

„Filibustering“

Am Abend trafen wir Milos Jevtic, den internationalen Sekretär der Demokratischen Partei und Mitglied des außenpolitischen Ausschusses. Er ist seit vielen Jahren ein sehr angenehmer und aufgeschlossener Gesprächspartner, der uns die aktuelle Lage aus seiner Sicht schilderte. Er berichtete, dass die Zusammenarbeit der Mehrheit im Parlament, die aus sehr verschiedenen Parteien zusammengesetzt ist, aber von der Demokratischen Partei von Präsident Tadic getragen wird, im Prinzip gut funktioniert.
Am nächsten Tag ging es in die Vertretung der Europäischen Kommission. Die KollegInnen schilderten uns die aktuelle Lage und haben im Grundsatz bestätigt, dass es im Bereich der Regierung in der Vorbereitung für die EU eine relativ gute Entwicklung gibt. Es besteht allerdings ein großes Problem bei der parlamentarischen Behandlung von Gesetzesvorschlägen der Regierung, weil das Parlament sehr oft blockiert wird, besonders von der rechten radikalen Gruppierung. Durch eine Art „filibustering“, also durch endlose Reden, können wichtige Gesetze einfach nicht in Diskussionen und Behandlung genommen und damit auch keine entscheidenden Maßnahmen zur Vorbereitung auf die EU getroffen werden. Das ist besonders katastrophal, weil es eine Blockade gegenüber den pro-europäischen Kräften im Lande selbst bedeutet.

Sture Haltung der Holländer

Hinzu kommt, dass auch auf der europäischen Ebene noch immer, insbesondere bei einigen Ländern, eine gewisse Distanz besteht, um Serbien hinzuhalten, solange nicht alle Bedingungen erfüllt sind. Dabei verlangen wir von Serbien zweifellos mehr als von dem einen oder anderen Land, insbesondere was die Zusammenarbeit mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag betrifft.
Wir hatten im Laufe dieses Besuches in Belgrad auch ein Gespräch mit dem holländischen Botschafter. Er bzw. seine Regierung haben Recht, wenn sie sagen, dass man heute strenger sein muss als noch vor einigen Jahren. Und dass man über Ratko Mladic, der immer noch gesucht wird, mit Recht behaupten kann, dass bei ihm im Fall eines Schuldspruchs ein wesentlich größeres Ausmaß an Schuld vorhanden ist als bei anderen Kriegsverbrechern. Man muss aber auch feststellen, dass Vuk Karadzic von dieser neuen Regierung ausgeliefert worden ist – und das ist immerhin ein sehr positives Zeichen in die richtige Richtung. Mein Kollege Jan Marinus Wiersma, der ja holländischer Abgeordneter ist, ist daher genauso wie ich der Meinung, dass die extreme, um nicht zusagen sture Haltung der holländischen Regierung die proeuropäischen Kräfte de facto bestraft bzw. ihnen zumindest nicht genug Rückhalt gibt. Und das kann dazu führen, dass in der Folge die antieuropäischen Kräfte wieder Aufwind bekommen.

Die Eulex-Mission

Wir trafen in Belgrad auch den Außenminister, Vuk Jeremic. Er ist insbesondere in der ersten Phase nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovos als Hardliner aufgetreten. Er hat sich sicherlich nicht immer Freunde gemacht, aber er hat seine Linie klar und intensiv vertreten und war immer zum Dialog und zum Gespräch bereit, wenngleich er nicht immer so reagiert hat, wie wir das erwartet haben. Immerhin, das Gespräch diesmal war sehr angenehm. Es ging in erster Linie wieder um den Kosovo und um die sogenannte Eulex-Mission, also um die Vertretung der EU im Kosovo zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit und des Aufbaus von rechtsstaatlichen Institutionen sowie insbesondere zum Schutz der serbischen Minderheit und anderer Minderheiten-Gruppierungen.
Die serbische Regierung hatte bis vor kurzem die Präsenz dieser Eulex-Mission abgelehnt, weil man meinte, es handle sich um eine Intervention von außen in ihr Staatsgebiet. Man hat jetzt doch einen Weg gefunden, indem man vorschlägt, Eulex solle statusneutral im Rahmen der UNO-Mission erfolgen, was ich für durchaus positiv halte. Die EU als solches hat ja mit der Anerkennung eines Landes nichts zu tun. Anerkannt wird ein Land von einzelnen Mitgliedsländern. Insbesondere auch nach der einseitigen Anerkennung von Südossetien und Abchasien durch Russland muss man vorsichtig sein.

Positive Lösung

Einige Mitgliedsländer der EU haben den Kosovo nicht anerkannt, sodass die Forderung bzw. die Idee Serbiens, eine statusneutrale Eulex-Mission in den Kosovo zu senden, durchaus positiv aufzunehmen ist. Das bedeutet, dass die Mission der EU unabhängig von der Frage, ob der Kosovo als selbstständiges Land anerkannt wird oder nicht bzw. wer den Kosovo als unabhängiges Land anerkennt, agiert. Das ist aus meiner Sicht ein äußerst positiver Vorschlag.
Hinzu kommt, dass die Verweisung durch einen Mehrheitsbeschlusses der UNO auf Antrag Serbiens der rechtlichen Frage an den Internationalen Gerichtshof in den Haag durchaus positiv zu bewerten ist. Auch damit wurde die Frage der Anerkennung des Kosovo von der politischen Agenda genommen und zur rechtlichen Frage umfunktioniert. Das eröffnet für Serbien außerdem eine Möglichkeit, auf seinem Rechtstandpunkt zu bleiben, ohne dass dadurch eine Blockade in den Gesprächen und weiteren Verhandlungen zwischen der EU und Serbien entstünde. Da es in der EU in dieser Frage wie gesagt ohnedies unterschiedliche Meinungen gibt, wenngleich die Mehrheit der Länder den Kosovo als unabhängig anerkannt hat, darunter auch Österreich, ist das eine Vorgangsweise, die zu einer pragmatischen Handhabung führt und uns letztendlich auch mit der europäischen Aktivität im Kosovo etwas weiterführt.

Fortschritte in der Visafrage

Neben Außenminister Vuk Jeremic trafen wir auch Ministerpräsident Bozidar Djelic, der ebenfalls der demokratischen Partei angehört. Er sprach sich dafür aus, dass die EU die Bestrebungen Serbien hinsichtlich der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterstützen und gewährleisten soll.
Auch in der Visafrage forderte er einen Fortschritt ein. Sein Wunsch wäre, dass man im Laufe des nächsten Jahres zu einem visafreien Verkehr kommt – eventuell probeweise, um auszuloten, ob es Gründe gibt, die Befürchtungen einzelner Mitgliedsstaaten bzw. von einzelnen Innenministern als gerechtfertigt anzusehen. Aus meiner Sicht hat Djelic Recht. Die proeuropäischen Kräfte, die jetzt in der Regierung sind, brauchen diese Unterstützung, um die Offensive gegenüber den antieuropäischen Kräften im Lande nicht zu verlieren. Wir jedenfalls haben versprochen, dass wir im Europäischen Parlament sowohl die Kosovofrage als auch die Frage des visafreien Verkehrs voll unterstützen wollen.

Proeuropäische Kräfte stärken

Insgesamt hat sich das Bild entsprechend abgerundet und durchaus positiv dargestellt. Am Abend fand eine Diskussion mit verschiedenen Journalisten statt. Diese haben uns ebenfalls deutlich gebeten, die proeuropäischen Kräfte glaubhaft zu unterstützen und die spezielle Situation in Serbien anzuerkennen. Das Land fühlt sich immer wieder bedrängt, bedroht und nicht respektiert, was zum Teil zu den schlimmen und brutalen Aktivitäten geführt hat. Aber jetzt gelte es, die Chance zu nützen und Serbien entsprechend zu unterstützen.
Hinsichtlich der Regierungsbeteiligung der ehemaligen Milosevic-Partei gab es einige kritische Stimmen. Ich kann das durchaus nachvollziehen, weil diese rasche Regierungsbeteiligung nicht wirklich zu einer offenen Auseinandersetzung mit der Geschichte und mit der Vergangenheit führt. Auf der anderen Seite hat man schon deutlich gemacht, dass man in der Realität keine großen Probleme sieht und davon ausgehen kann, dass diese Regierung durchaus positiv wirkt. Wie lange es dauern wird und wie man es bewerkstelligen kann, dass die Regierungsbeteiligung der Sozialisten funktioniert, ist eine offene Frage. Ich scheue mich übrigens immer, den Begriff Sozialisten zu verwenden, weil es eigentlich um eine sehr nationalistische Partei geht. Ob sich die Sozialisten jedenfalls mit der eigenen Vergangenheit auseinandersetzen, bleibt abzuwarten – passieren wird es auf jeden Fall müssen. Der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister, der ja aus dieser Partei kommt, Ivica Dacic, versprach uns gegenüber jedenfalls, dass er für eine volle Kooperation mit dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag sorgen wird. Wenn er sein Versprechen hält, wäre das ein großer Fortschritt.

Gute Performance

Im Zuge unseres Aufenthaltes in Belgrad haben wir auch Umweltminister Oliver Dulic getroffen. Es ist ein persönlicher Freund von uns, den wir seit langem kennen, ein sehr junger Politiker aus der Vojvodina, der zuletzt Parlamentspräsident gewesen ist. In diesem Gespräch ging es nicht nur um einige Umweltthemen, sondern auch darum, wie wir Serbien auf seinem schwierigen Weg unterstützen können.
Die serbischen Minister haben in ihrer Performance insgesamt einen sehr guten Eindruck auf uns gemacht. Wie Dulic selbst gesagt hat, ist in Serbien zum ersten Mal eine Regierung am Werk, die sehr konkret Probleme angeht und zu lösen versucht. Weg von den Mythen, den Phantastereien und denn Verfolgungsängsten hin zum Blick in die Zukunft. Ich kann das aus meinen Gesprächen und Eindrücken mit Vertretern der Regierung nur bestätigen.

Belgrad, 28.10.2008