Der Weg ist das Ziel

Am Balkan bedarf es besonders gezielter Anstrengungen, wirtschafts- und finanzpolitische Formen mit modernsten Kommunikationstechnologien zu verbinden, um so neue Arbeitsplätze und Perspektiven zu schaffen. 
In den vergangenen beiden Tagen war ich in Skopje, der Hauptstadt Mazedoniens. Wieder einmal gab es eine sehr komplizierte und stark verzögerte Anreise.

Anreise mit Hindernissen

Diesmal war es allerdings anders als das erste Mal, als ich Schwierigkeiten hatte, weil die polnische Maschine von Warschau nach Wien kam, um von dort nach Skopje weiter zu fliegen, das Flugzeug aber in Schwierigkeiten geriet und schliesslich wieder Kehrt machen musste. Wie schon bei meinen Anreisen zuvor war es auch jetzt wieder die so genannte Interimpex-Fluggesellschaft, die mir Schwierigkeiten bereitete. Das letzte Mal mussten wir allerdings „nur“ plötzlich einen Umweg über Zagreb in Kauf nehmen. Diesmal hingegen verzögerte sich der Abflug um mehr als eine Stunde, ausserdem hätte die Maschine zunächst zusätzlich nach Zürich fliegen müssen, um dort Passagiere aufzunehmen, um schliesslich von Zürich aus Skopje anzupeilen.
Bei all den Verzögerungen war mir das zu viel des Guten. Als auf der Rollbahn bekannt wurde, dass wir eine weitere halbe Stunde Verzögerung hätten, stieg ich aus und ließ mich mit dem Auto zur Abfertigungshalle zurückbringen, wechselte auf die vertrauenswürdige AUA – zwar versäumte ich so meine ersten Termine in Mazedonien. Dem österreichischen Botschafter in Skopje ist es aber gelungen, alle Termine auf den nächsten Tag zu verschieben, sodass ich nicht wirklich viel verpasst habe.

Nationalistische Sozialdemokratie

Anlass meiner Reise nach Mazedonien war ein Seminar anlässlich des siebenjährigen Bestehens der Sozialdemokratischen Union in Mazedonien. Es ist dies eine sozialdemokratische Partei, die nicht unwesentlich aus der früheren kommunistischen Partei hervorgegangen ist. Vor allem der erste Präsident Mazedoniens, der das Land in die Unabhängigkeit geführt hat, Kiro Gligorov, war nicht nur massgeblich an der Neugründung des Staates, sondern auch der Partei beteiligt.
Ich kenne viele Vertreter dieser Partei schon seit langem und muss nach wie vor sagen, dass sie in meinen Augen – und nicht nur in meinen Augen – zu nationalistisch agiert und zu wenig Schwerpunkt auf die sozialdemokratischen Inhalte gelegt haben.
Nun ist in dieser Region generell und insbesondere im Zusammenhang mit dem schwierigen Unabhängigkeitsprozess in Mazedonien mancher nationalistische Einschlag durchaus verständlich. FYROM hatte Schwierigkeiten mit Bulgarien, ganz besonders mit Griechenland, das ja nach wie vor den Namen Mazedonien nicht anerkennt, zum Teil mit Jugoslawien, aber natürlich auch interne Probleme mit insbesondere der großen albanischen Minderheit. Gerade in den letzten Wochen kam es mit der UCK und UCK-verwandte Organisationen zu Schießereien und entsprechenden Konflikten im eigenen Land.

Wirtschaftspolitisches Konzept fehlt

Diese nationalistische Prägung kam auch beim Festakt am Abend des 20. April zum Ausdruck. Es gab eigentlich sehr wenig konkretes über die sozialdemokratischen wirtschaftspolitischen Vorstellungen der Sozialdemokratischen Union zu hören. Die Vertreter der anderen Parteien aus dem Balkanbereich waren dementsprechend entsetzt. Ob es das heutige Jugoslawien, Slowenien, aber auch andere Ländern sind, die in der Sozialdemokratie andere Wege als den nationalistischen gegangen sind – sie alle hatten es nicht für möglich gehalten, dass man heute noch derart national betonte Veranstaltungen durchführt, auch wenn es darum geht, das 10-jährige Bestehen einer Partei zu feiern.
Das komplementäre Bild ergab sich für mich bei einem Gespräch am Samstag mit Vertretern der großen albanischen Partei. Nach einem Arbeitsfrühstück mit dem österreichischen Botschafter und dem mir schon sehr gut bekannten EU-Kommissions-Vertreter Pinto Teixeiras besuchte der Vorsitzende der albanischen Partei der Demokratischen Prosperität (PDP), Dr. Imeri, die Residenz des österreichischen Botschafters.

Schwierige Koalitionsbildungen

Da Imeri längere Zeit in Deutschland gelebt hat, konnten wir unser Gespräch auch auf Deutsch führen. Seine Partei war mit den Sozialdemokraten in Koalition und ist mit den Sozialdemokraten gemeinsam nach den letzten Wahlen aus der Regierung ausgeschieden, ist aber heute wieder als potentieller Koalitionspartner im Gespräch. Zum Teil sind die Sozialdemokraten die extremeren nationalen Vertreter der slawisch-mazedonischen Interessen. Wie diese beiden Parteien sich auf eine neue Koalition einigen könnten, bleibt mir daher rätselhaft. Imeri selbst meinte, er könnte noch nicht sagen, ob seine Partei sich dazu entscheiden würde, in eine nationale Koalitionsregierung einzutreten. Denn sie müssen zuerst wissen, wo die speziellen Aufgaben dieser nationalen Regierung liegen, um einen solchen Eintritt befürworten zu können.
Ziemlich klar war Imeris Angst, sich zu stark auf einen Konsens mit den anderen Parteien zu bewegen. Und ziemlich klar ist auch der Druck der albanischen Extremisten, der auf ihm und seiner Partei lastet, um zu verhindern, dass all zu rasch und leicht ein Kompromiss zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen gefunden wird. Er vertritt auch die Ansicht, dass in der Verfassung dokumentiert sein sollte, dass Mazedonien ein Staat der Mazedonier, Albaner und anderer Minderheiten ist. Jedenfalls ist das ethnisch bestimmte Konzept, das er vertritt, eines, das die Verfassung selbst, aber natürlich auch die politische und die Verwaltungs-Praxis betrifft, etwa durch Quotenregelungen für albanische Minderheit etc.

Im albanisch besiedelten Gebiet

Nach dem Gespräch mit Imeri ging es zu einem Treffen mit Arben Xaveri von der Demokratischen Partei der Albaner (DPA) in Tetovo, dem vornehmlich albanisch besiedelten Gebiet. Es ist jene Stadt, in der sich eine universitätsähnliche Institution für Albaner herausgebildet hat. Diese Einrichtung wurde über das Gesetz indirekt für die höhere Erziehung und Ausbildung legalisiert, und nun wird mit Hilfe der Internationalen Gemeinschaft eine private Universität in Tetovo gebaut. Auch in Skopje wohnen nicht wenige Albaner, aber in Tetovo ist auch der äußere Eindruck einer, der den albanischen Charakter dieser Stadt vermittelt.
Xaveri ist ein Mann, der die gemäßigteren albanischen Gruppierungen vertritt. Er ist mit der ehemals nationalistischen, aber inzwischen gemäßigteren Partei in einer Koalitionsregierung. Er selbst ist leider schwer krank, wobei es ihm nach Aussagen des österreichischen Botschafters nun besser geht als noch vor einigen Wochen.

Gemässigte albanische Positionen

Xaveri vertrat mit klugen Worten die Interessen der albanischen Gemeinschaft. Die Albaner sind für ihn keine durch eine bestimmte Religion gekennzeichnete Gemeinschaft. Im Gegenteil, er will den religiösen Aspekt zurückdrängen, um die Albaner nicht primär als Islame dastehen zu lassen. Denn einerseits gibt es auch jüdische und orthodoxe Albaner und andererseits sollte die Religion gar nicht diesen dominanten Einfluss haben. Aber die ethnische Herkunft, was immer das im Detail bedeutet, ausgelebt insbesondere durch die gemeinsame Sprache, ist etwas, was nicht verlagert werden sollte und nicht verlagert werden kann.
Umso mehr betonte auch Xaveri, dass es nicht darum gehe, einen mazedonischen Staat zu zerstören, sondern nur darum, diese besondere ethnische Identität zu bewahren, was sich nicht zuletzt in der albanischen Flagge, die ja nicht einen Staat, sondern eine ethnische Gruppe symbolisiert, manifestierte. Die Albaner müssten daher verstärkt in der Polizei, in der Gerichtsbarkeit und in der Verwaltung vertreten sein – gemäß ihrer Bevölkerungsstärke. Die albanische Sprache sollte nicht nur vor den lokalen Behörden in den albanischen Gemeinden zum Ausdruck kommen, sondern auch in den zentralen Behörden, Institutionen, Gerichten etc.

Unterschiedliche Konzepte

Zum Unterschied von Imeri betonte Xaveri allerdings, dass er finde, dass es durchaus möglich und sinnvoll sei, die Verfassung dahingehend zu ändern, dass Mazedonien wieder, implizit, wie es in den meisten Verfassungen der Fall ist, das Land aller Staatsbürger sei. Und in diesem Fall sei die ethnischen Herkunft, die Religion, was immer auch hier noch als besonderes Kennzeichen genannt sein sollten, nicht relevant für die Definition des Staatsvolkes und des Staates.
Während für Imeri also die ethnische Struktur relativ klar auch dazu führen sollte, dass die Albaner als große Ethnie auch als konstitutives Staatsvolk angesehen werden sollten, ging es bei Xaveri schon viel mehr darum, im Prinzip das Staatsbürgerkonzept, das Menschenrechtskonzept in den Vordergrund zu rücken – allerdings unter Respekt und Anerkennung der Besonderheiten der ethnischen Gruppierungen, insbesondere der großen ethnischen Gruppierungen, der slawischen Mazedonier und der Albaner.
Es war durchaus interessant, mit Xaveri zu diskutieren und auch er selbst hatte reges Interesse, die Positionen der Albaner und seine Philosophie, die er damit verbindet, darzulegen und zu präsentieren.

Lösung durch konsensuale Demokratie?

In beiden Gesprächen kam sehr klar zum Ausdruck, dass sowohl Imeri als auch mit Xaveri sehr skeptisch sind, was die Integration der Albaner in den gemeinsamen Staat betrifft. Jedenfalls zeigten sich beide ablehnend gegenüber einer Assimilation. Nun sind diese Begriffe als solches schwer zu definieren und voneinander abzugrenzen. Aber klar ist, dass sie beide die Identität der Albaner nicht durch all zu viel Gemeinsamkeit gefährdet sehen wollen.
Andererseits allerdings wollen sie in den Institutionen stark vertreten sein und haben auch beide in unterschiedlichen Punkten das Konzept der konsensualen Demokratie vertreten.
Aus ihrer Sicht dürfe in wichtigen politischen Entscheidungen nicht einfach die Mehrheit entscheiden, sondern die albanische Volksgruppe, die auch immer im Parlament oder sonst wo vertreten ist, müsste die Zustimmung geben – man könnte es auch brutal formulieren: sie müsste eine Art Vetorecht haben. Dadurch sollte auch, laut Xaveri, die Situation behoben werden, in der sich heute die Albaner vielfach befinden – eine Art Subkultur mit entsprechenden rückständigen Ansichten, Verhaltensweisen und Traditionen. Zum Beispiel auch die hohe Anzahl der Kinder, die von der slawisch-mazedonischen Bevölkerung als Gefährdung der Bevölkerungsbalance in Mazedonien selbst angesehen wird.

Ein Mittelweg muss gefunden werden!

Bei allen Gesprächen mit den Albanern, den Vertretern der sozialdemokratischen Union und dem stellvertretenden Innenminister, der von der rechtskonservativen Regierungspartei gestellt wird, blieb die Frage offen, wie man das Problem hier, aber auch anderen Orts behandeln soll. Inwieweit kann bzw. soll man klar auf den individuellen Freiheits-, Menschen- und Grundrechten aufbauen und wie weit soll der ethnische Faktor eine Rolle spielen? Sicherlich ist es nicht akzeptabel, dass eine ethnische Gruppe, nämlich die Mehrheitsgruppe, die dominante ist. Aber ist es akzeptabel, dass die anderen, eine doch auch große Gruppe wie die Albaner, gewissermaßen nur die Minderheitenrechte zuerkannt bekommen?
Die richtige Balance zwischen Mehrheitsfindung einerseits und konsensualer Demokratie andererseits, zwischen individuellen Grundrechten und kollektiven ethnisch begründeten Gruppen zu finden, ist eine sehr schwierige Aufgabe.
Generell sehe ich natürlich in dieser Region, aber inzwischen auch in manchen anderen Bereichen, eine Definition der ethnischen Frage. Für die Sozialdemokraten müsste eigentlich diese ethnische Frage, die immer auch eine Frage der Wurzeln, des Ursprungs, der Geschichte und der Auseinandersetzung mit der Geschichte ist, den Hintergrund bilden. Andere Fragen sind generell und insbesondere in dieser Region in den Vordergrund zu rücken, und nur dadurch kann aus meiner Sicht die innere Stabilität in dieser Region dauerhaft hergestellt werden.

Die Rolle der Sozialdemokratie

Das war auch das Thema meines Referates, das ich beim eingangs erwähnten Seminar zu halten hatte: die Rolle der Sozialdemokratie für Regeneration, Stabilität und Frieden in dieser Region. Ich versuchte, in folgenden Punkten deutlich zu machen, worum es geht.
Erstens: In der Region selbst, aber zum Teil auch außerhalb, wird das politische Problem primär als ein ethnisches und als ein historisches definiert. Über keine Region gibt es so viel über die Geschichte und historische Daten zu lesen wie über diese. Man analysiert erschöpfend die Frage, was im 14., 15. oder 16. Jahrhundert geschehen ist und leitet daraus ab, welche Probleme heute existieren. Ein oft zitierter Spruch hat vor diesem Hintergrund mehr als Gültigkeit: Diese Region produziert permanent mehr Geschichte als sie konsumieren kann.

Die richtigen Fragen stellen

Die wirklich wesentlichen Fragestellungen, die für diese Region und die Menschen genau so relevant sind wie in anderen Regionen, sind aber folgende: Wie gestaltet man die Wirtschaft, um auch Beschäftigung zu schaffen? Wie sind die Einkommen, die Ressourcen und die Chancen zwischen den verschiedenen Schichten, Gruppierungen und Menschen verteilt? Wie kann die extrem starke öffentliche und private Armut überwunden werden? Wie kann man ein modernes System der sozialen Sicherheit aufbauen? Und wie kann die Wirtschaft dieser Region in die globale Wirtschaft integriert werden?
Nur durch Beantwortung dieser Fragestellungen kann es dazu kommen, dass politische Parteien etwas anbieten, das auch auf rationale und emotionale Zustimmung in der Bevölkerung, vor allem in der jungen Bevölkerung, stößt und das auch die immer wiederkehrende Beschäftigung mit den Problemen der Vergangenheit vermeidet. Das ständige Wiederkäuen von kaum begründbaren Argumentationen muss endlich ein Ende haben und der Blick in die Zukunft und in die Realität muss verschärft werden.

Der Mensch im Mittelpunkt

Zweitens: Für die Sozialdemokratie ist ein besonderes Verhältnis zwischen Privatem und Öffentlichem charakteristisch. Die sozialdemokratische Ideologie ist keine kollektivistische Ideologie. Der Einzelne, sein Streben nach Wohlstand, Glück und Zufriedenheit stehen im Mittelpunkt sozialdemokratischer Überlegungen. Aber generell kann es nicht darum gehen, ein „laisser faire“ für alle zuzulassen. Die Bereicherungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen so offen zu lassen, dass sich in der Tat immer nur einige wenige auf Kosten der Anderen bereichern können, ist inakzeptabel.
Staat und Gesellschaft und inzwischen auch über den Staat hinausgehende Institutionen und Regulierungen sind wichtig, um die Entfaltungsmöglichkeit des Einzelnen zu fördern. Das ist für Viele eine spezielle Verantwortung dem Einzelnen gegenüber, die uns nachdenken und Vorschläge machen lässt, wie die Gesellschaft organisiert sein soll, um allen gleichermaßen Chancen, Rechte und Pflichten zu geben.
Die Privatisierung ist dabei immer nur ein Instrument, das dann eingesetzt wird, wenn wir jene Ziele, die wir erreichen wollten, anders nicht erreichen können. Aber es geht auch hier immer um Marktwirtschaft und nicht um Marktgesellschaft. Diese Unterscheidung, die vor allem auch Jospin immer wieder getroffen hat, macht deutlich, worum es uns geht.

Die neue Rolle des Nationalstaates

Eine andere Forderung, um beim Namen Jospin zu bleiben ist, ist etwas, was viele und auch Jospin, nicht wirklich begriffen haben: Wenn wir von Markt und Staat sprechen, handelt es sich bereits um eine sehr oft unzulässige Beschränkung auf zwei Instrumente bzw. Voraussetzungen, um dem Einzelnen zu einer besseren Position zu verhelfen. In einer globalen Welt ist es nicht der Staat, der dem Einzelnen vorwiegend oder vielleicht sogar ausschließlich Schutz und Unterstützung gewähren kann. Inzwischen sind es die Europäischen Institutionen, die Europäischen Regelungen und andere globale multilaterale Organisationen und Einrichtungen, die es entsprechend einzudecken gilt.
Es geht also primär um öffentliche Institutionen, in denen der Staat direkt oder indirekt eine große Rolle spielt. Dass der Staat als solches heute entsprechenden Schutz gewähren kann, ist aus meiner Sicht ein Irrglaube. Der Staat sollte in vielen Fällen in sehr vermittelnder Form als Teil der Europäischen Strukturen und als Teil der öffentlichen Institutionen, die bei der Globalisierung, wie sie durch die private Wirtschaft und multinationale Organisationen organisiert wird, ein Gegengewicht bilden.

Schwierige Startbedingungen

Die Sozialdemokratie muss in diesem Zusammenhang – auch in dieser Region, mit der ich mich immer wieder beschäftige und die uns in Europa solche Sorgen macht – versuchen, ein vernünftiges Gleichgewicht zwischen dem Einzelnen, seinen Rechten und Möglichkeiten einerseits und den öffentlichen Institutionen, Einrichtungen und Teilen der Infrastruktur, die wir im Unterschied zu den Konservativen und den Liberalen nicht einfach der privaten Hand oder einigen wenigen privaten Händen überlassen wollen, andererseits schaffen.
Dabei sind die Bedingungen, wie die Wirtschaft heute gerade in dieser Region entwickelt werden kann, natürlich nicht gleichzusetzen mit jenen Bedingungen, Abläufen und Prozessen, wie sie im übrigen Europa und in Amerika teilweise vor sich gegangen sind. Das Zurückbleiben insbesondere der Osteuropäischen Regionen, was die Industrialisierung und Entwicklung der Wirtschaft betrifft, lässt kein einfaches Aufholen zu. Unternehmungen beispielsweise, denen die Wohnkosten in Westeuropa zu teuer geworden sind, weil sie sehr arbeitsintensive Produktionen haben, wandern nur zu Teilen nach Ost- und Südosteuropa ab. Sie überspringen vielfach diese Region, um gleich nach Thailnad, Vietnam und China zu gehen und dort zu investieren, wo es auch die großen Märkte gibt.

So könnte es gehen…

Die Region Südosteuropas ist nicht sehr dicht besiedelt. Sie ist durch keine große Dynamik gekennzeichnet. Sie hat keine bestehenden Industriestrukturen, die es zu transformieren gilt. Es handelt sich um eine Region, die große wirtschaftliche Probleme hat, die aber gleichzeitig auf Grund der internen Konflikte immer wieder politische Unsicherheit und Instabilität gründet. Das bedeutet vor allem, dass die Entwicklung nicht nach einem bekannten Automatismus erfolgt.
Es bedarf besonders gezielter Anstrengungen in dieser Region, wirtschafts- und finanzpolitische Formen mit modernsten Kommunikationstechnologien zu verbinden, um so auch neue Arbeitsplätze, Chance und Perspektiven zu schaffen. Und da wird es besonders wichtig sein, aus dem Westen zumindest viele gut ausgebildete und motivierte, dynamische junge Menschen in die Region zurückzubringen und ihnen die Chance zu geben, in der Region selbst, in der Heimat, in ihren Ursprungsländern eine neue Wirtschaft und Gesellschaft aufzubauen.
Derzeit sind es oft dunkle Kanäle, die zwischen Innovativen und Unternehmensgeistern stehen. Es hat sich parallel zur offiziellen Wirtschaft eine „schwarze“, korrupte Wirtschaft entwickelt, insbesondere natürlich unter dem Deckmantel des Nationalismus und der ethnischen Zugehörigkeit. Aber diesen grenzüberschreitenden schwarzen Netze, die in Richtung Schmuggel, Korruption, Frauen- und Menschenhandel etc. gehen, muss eine positive, legale und offene Kooperation in der Region gegenübergestellt werden. Genau eine solche Kooperation muss die schwarzen und grauen Märkte verdrängen.

Überwindung des Partikularismus

Aber nicht nur die wirtschaftlichen Abbauprozesse und die Stadien des Wachstums in der Region sind unterschiedlich, auch die Nation selbst ist keine Kopie der traditionellen Nationenbildung in Westeuropa. Die Nationen in Westeuropa haben sich als höhere Form der europäischen staatlichen Organisation gebildet und symbolisieren in dieser Hinsicht die Überwindung des Partikularismus schlechthin. Auch sie ging nicht ohne Schmerzen über die Bühne, aber in Zeiten der vormodernen Demokratie ist die Unterdrückung von kleineren Gruppierungen, Minderheiten und partikularistischen Interessen relativ leicht gelungen.
Heute gibt es neben der Nationenbildung andere Formen zur Überwindung des Partikularismus: Freihandelszonen, die europäische Integration – auch in ihrer politischen Form -, multinationale Organisationen, die Weltbank, um einmal die öffentlichen Institutionen zu nennen. Aber natürlich zählen auch multinationale Gesellschaften privater Natur und auch der Wirtschaft dazu.

Geänderte Vorzeichen

Es gibt also viele den Partikularismus überlagernde und zurückdrängende Organisationsformen und kein derart starkes Instrument wie den Staat im Westeuropa des 19. Jahrhunderts mehr. Daher kann heute auch nie mehr ein so starker Staat entstehen. Insbesondere auch nicht nach den scheinbar oder auch tatsächlich steuernden Staaten der kommunistischen Ära.
Es besteht darüber hinaus auch gar kein Interesse, einen derart starken Staat aufzubauen. Das wiederum verhindert aber die Überwindung der ethnischen Zergliederung und Zerklüftung, wie sie sich heute in Mazedonien, Bosnien-Herzegowina, Jugoslawien und Serbien ganz deutlich zeigt. In der heutigen Situation ist die Modernisierung der Gesellschaft, die Überwindung des Partikularismus durch den starken zentralistischen Staat, kein taugliches Rezept für diese Region.
In dieser Frage muss die Sozialdemokratie in besonderem Ausmaß wachsam sein, um unterschiedliche Modelle anzubieten, mit denen es möglich ist, staatliche Rechts- und Ordnungsstrukturen herzustellen, die auch die Entfaltung des Einzelnen sowie der Wirtschaft, der Gesellschaft, der Medien etc. ermöglichen. Aber gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass diese staatlichen Organisationen in regionale Strukturen eingebettet sein müssen und die internationale wie regionale Kooperation nicht vernachlässigt werden darf.

Aufnahme durch Europa

In diesem Zusammenhang ist Europa als Modell ungemein wichtig und unverzichtbar. Das Problem, das sich dabei allerdings stellt, ist die Tatsache, dass eine relativ rasche und direkte Integration in dieses Europa nicht möglich ist. Die Gründe dafür liegen bei den großen Einkommensunterschieden und der Aufgabenstellung, dass Europa zunächst die Integration der ehemaligen kommunistischen Länder Nord-, Mittel- und Osteuropas zu bewerkstelligen hat, bevor es zur Integration der Süd- Osteuropäischen Länder schreiten kann.
Es wird also unsere Aufgabe sein ein Modell zu entwickeln, insbesondere im Zusammenhang mit den nun abzuschließenden Assoizierungs- und Stabilisierungsabkommen zwischen der EU und den einzelnen Ländern dieser Region, mit dem man eine Integration in die Europäische Union schaffen kann, ohne schon die formalen Schritte einer Teilnahme an diesem Integrationsprozess im Sinne der Mitgliedschaft umzusetzen.

Neupositionierung der ethnischen Frage

Der letzte Punkt, der mir wichtig scheint, bezieht sich auf die Frage der individuellen und kollektiven Rechte. Es stellt sich die Frage, was wir in den Mittelpunkt stellen werden: den Menschen als Individuum mit seinen individuellen Grundrechten oder die ethnischen Gruppierungen mit ihren ethnisch determinierten kollektiven Rechten.
Ich habe schon zum Ausdruck gebracht, dass eine Überbetonung der ethnischen Frage die Lösung der wirklichen Probleme, der Arbeitslosigkeit, der Armut etc. verhindert. Wenn wir dagegen die ethnische Frage in den Hintergrund stellen, sie nicht als primär relevant ansehen, sondern als einen Aspekt der kulturellen Identität und der kulturellen Diversität in dieser Region, ist es möglich, auf die wirklichen Kernfragen der Zukunft in dieser Region zu kommen.
Daher muss klar sein, dass insbesondere wir Sozialdemokraten die ethnische Frage nicht verleugnen dürfen, aber die wirtschaftliche und soziale Problematik in den Vordergrund rücken müssen. Und diese ist nur zu lösen, indem dem Einzelnen Rechte zuerkannt werden. Diskriminierung auf Grund ethnischer Gründe muss unabhängig davon natürlich absolut vermieden werden. Aber auch die positive Diskriminierung im Interesse bestimmter ethnischer Gruppen darf nur so weit Platz greifen, als sie bestehende Diskriminierungen kompensiert – sie darf nie zum dauerhaften Prinzip werden.

Zukunft sichern

Zuletzt muss klar sein, dass nur die Kombination aus klarer Orientierung an der europäischen Integration und deren Grundsätzen, die die Lösung der wirtschaftlichen und sozialen Probleme in den Vordergrund stellt und dabei gleichzeitig kulturelle Vielfalt und damit auch ethnische, religiöse etc. Vielfältigkeit bewahren möchte, dieser Region Zukunft sicherstellen kann. Und das gilt natürlich auch für die Verhinderung des Nationalstaates in seiner engstirnigen Form, ohne allerdings auf eine Bildung effizienter Staaten zu verzichten.
Stattdessen muss analysiert werden, wie die nationalen Probleme von Heute und Morgen zu lösen sind. Auch in diesem Zusammenhang schafft die europäische Ebene eine zusätzliche Möglichkeit, die Anerkennung von ethnischer Vielfältigkeit und Vielfalt leichter zu ermöglichen als innerhalb nationaler Grenzen.

Die Lösung heisst Europa

Das ist umso dinglicher, als die gesamte Region sich schon heute an einem zukünftigen Europa und ihrer eigenen Mitgliedschaft in diesem zukünftigen Europa, einem Aufgehobensein in diesem zukünftigen Europa orientiert. Dann wird auch die Frage, ob eine stärkere Berücksichtigung der albanischen Minderheit eine Sprengung des mazedonischen Nationalbewusstseins und des mazedonischen Staates bedeutet, weniger von Relevanz sein.
Das betrifft auch die Durchlässigkeit nationaler Grenzen in dieser Region. Auch dort, wo sich ethnische Gruppierungen auf beiden Seiten dieser Grenzen befinden, wie zum Beispiel in Mazedonien im Verhältnis zum Kosovo oder zu Albanien. Wenn alle betroffenen Regionen in diesem Europa aufgehoben sind, verlieren diese Aspekte an Brisanz und Schärfe.
Europa ist in diesem Sinn eine Antwort auf die Probleme von Gestern und Heute. Und Europa schafft auch die Möglichkeit, die dringenden Probleme der Zukunft, nämlich die Integration in ein Weltmarktsystem, zu lösen, ohne deswegen kulturelle oder andere Identitäten aufzugeben. 
Skopje, 21.4.2001