Die EU-Strategie für 2020

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Brüssel

Die Europäische Kommission hat ihre Vorstellungen für das Europa im Jahre 2020 (KOM(2009)647) endgültig herausgegeben  und einem breiten Konsultationsverfahren unterzogen. Im vorliegenden Entwurf einer EU-Strategie bis 2020 finden sich viele wichtige Ziele und Strategieansätze. Die Prioritäten der Kommission sind:
a) eine Wertschöpfung durch wissensbasiertes Wachstum,
b) die Befähigung zur aktiven Teilhabe an integrativen Gesellschaften und
c) die Schaffung einer wettbewerbsfähigen, vernetzten und ökologischen Wirtschaft.
Niemand kann mit gutem Grund gegen diese Zielsetzungen sein.
Auch viele Unterziele finden meine Zustimmung. So wird der sparsame Umgang mit Energie, natürlichen Ressourcen und Rohstoffen verlangt, weiters wird eine Anhebung der Beschäftigungsquoten von Männern und Frauen gefordert, und dies unter anderem mit folgendem Hinweis: „Ein Arbeitsplatz ist wahrscheinlich der beste Schutz gegen Armut und Ausgrenzung“. Des Weiteren wird eine Stärkung des Bildungswesens verlangt, denn so „lassen sich Ungleichheit und Armut am effektivsten bekämpfen“ und eine Garantie des sozialen Zusammenhalts. Ziel ist auch Sicherheit „durch lebenslanges Lernen und angemessenen Sozialschutz“. Und in den Haushalten soll die Qualität und Effizienz erhöht werden, um „Spielraum für Investitionen in nachhaltiges Wachstum zu finden“.
Man kann also keineswegs behaupten, dass das Entwurfspapier der EU-Kommission ein neo-liberales Konzept darstellt. Dennoch ist einiges zu ergänzen.

Empfehlungen

Aus meiner Sicht sind die Ziele des Entwurfs der künftigen EU-Strategie für 2020, die die Kommission anpeilt, grundsätzlich zu unterstützen. Aber dennoch fehlen einige entscheidende Ziele und Maßnahmen, um die oben genannten Zielsetzungen auch umsetzen zu können. Vier grundsätzliche Punkte sollen im Programm Aufnahme finden:

1) Bekämpfung der strukturellen Nachfrageschwäche für Aufschwung notwendig
Reife Volkswirtschaften, wie wir sie im heutigen Europa vorfinden leiden unter zu geringer Nachfrage – insbesondere dann, wenn sich die Einkommensverteilung in Richtung mehr Ungleichheit entwickelt, wie gerade in der letzten Zeit wieder sichtbar ist. Denn die höheren Einkommensschichten haben eine höhere Spar- und eine geringere Konsumneigung. Daher müssten die EU-Mitgliedsaaten wieder mehr an Verteilungsgerechtigkeit interessiert sein. Und zwar aus Gründen der Fairness und aus wirtschaftlichen Überlegungen. Eine gerechtere, d.h. eine Einkommensverteilung, die mehr Gleichheit zum Ausdruck bringt, hilft strukturell und konjunkturell, das Wirtschaftswachstum und die Beschäftigung zu steigern. Denn wenn die unteren Einkommensschichten mehr Geld erhalten, erhöhen sich die Konsumausgaben und in der Folge das Wachstum und die Beschäftigung insgesamt.

2) Durchgreifende und rasche Reform des Finanzsektors erforderlich
Ein instabiler, erratischer und unkontrollierter Finanzdienstleistungssektor vernichtet Wirtschaftskraft und Arbeitsplätze. Die jüngste Zeit hat dies dramatisch bewiesen. Es ist skandalös und nicht länger zu akzeptieren, dass die Ausdehnung der Finanzdienstleistungen und niedrige Zinsen sich nicht in steigenden Realinvestitionen, sondern in Finanzblasen niederschlagen. Es ist unvermeidlich, dass diese Blasen nach einiger Zeit platzen und wirtschaftliche und soziale Katastrophen produzieren. Eine gezielte und gestärkte Finanzkontrolle und entsprechende finanzpolitische Maßnahmen müssen das in Zukunft verhindern.
Im Übrigen entspricht es durchaus einer ausgleichenden Gerechtigkeit, wenn man vom Finanzsektor auch einen Beitrag für die öffentlichen Finanzen der Mitgliedsstaaten und/oder der EU verlangt. Eine Finanztransaktionssteuer hat also jenseits einer –umstrittenen – dämpfenden Auswirkung auf Spekulationen auch einen wichtigen Budgetbeitrag gemäß dem Prinzip der Fairness zu leisten

3) Beschäftigungsorientierte Konsolidierung der Budgets bis 2020
Es besteht kein Zweifel, dass die einzelnen Budgets der Mitgliedsstaaten saniert und konsolidiert werden müssen. Aber dies darf nicht den sozialen Zusammenhalt und den wirtschaftlichen Aufschwung gefährden. Im Gegenteil, gerade jetzt muss eine aktive Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik betrieben werden. Und die ArbeitnehmerInnen und die ärmeren Schichten dürfen nicht noch einmal für die Fehler der Spekulanten und die mangelnde Vorsicht der Banken zahlen. Gemeinsame Grundsätze der Steuerpolitik müssen wieder den Steuerspielraum der einzelnen Mitgliedsstaaten erhöhen. Nicht ruinöser Steuerwettbewerb, sondern sinnvolle Koordination und Absprache der Steuerpolitik ist angesagt. Denn wir benötigen auch die entsprechenden Mittel für eine einnahmenseitige Verbesserung der Budgetbilanzen.
Was nun die ausgabenseitige Konsolidierung unserer Budgets betrifft, so darf diese nicht dem Abbau sozialer Wohlfahrt und öffentlicher Dienstleistungen dienen. Die in den letzten Jahren im Rahmen der neoliberalen Strategie übertriebene Strategie der Liberalisierung und der Privatisierung darf nicht durch diese Hintertür wieder Eingang in den europäischen Einigungsprozess finden.

4) Die Qualität des Lebens 2020
Auch wenn kohärente und erfolgreiche Maßnahmen zu einer nachhaltigen Wiederbelebung der Wirtschaft unternommen werden, ist nicht mit einem Einschwenken auf den alten Wachstumspfad oder gar einem Aufholen der jüngsten Wachstumsverluste zu rechnen. Und auch das Erreichen der Vollbeschäftigung wird großer Anstrengungen bedürfen. Umso wichtiger ist es, die Qualität des Lebens, das „gute Leben“, in den Mittelpunkt einer umfassenden Wirtschafts- und Sozialstrategie zu stellen. Dazu gehören Verbesserungen im Umwelt-, Gesundheits- und Sozialbereich genauso wie ein Ausbau der Bildungsangebote. Aber auch die Qualität der Arbeit und der Arbeitswelt (decent work) sind zu verbessern. Dabei kann eine – durchaus differenzierte – Strategie der Arbeitszeitverkürzung, z. B. durch Bildungs- und Weiterbildungsblöcke, einen entscheidenden Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit leisten.
Wohlfahrt bedeutet jedenfalls mehr als Wachstum und einen hohen Grad der Beschäftigung und die Diskussion darüber muss gerade im Rahmen der EU intensiviert werden. Dabei darf nicht übersehen werden, dass wir uns in einer neuen globalen Konkurrenz befinden und auch aus diesem Grund Anpassungen unseres Anspruchniveaus notwendig sein werden. Diese Anpassungen dürfen allerdings nicht primär von den sozial schwachen Schichten getragen werden. Auch deshalb braucht es mehr soziale Gerechtigkeit und eine Korrektur der in letzter Zeit gewachsenen Ungleichheit. Nur dann ist eine Strategie, die auf eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit Europas zielt, auch sozial verträglich.

Wien, 5.1.2010