Die EU und China: Konkurrenz oder Allianz?

Europa muss danach trachten, dass China keine Allianzen, etwa mit den USA oder mit Russland, zu Lasten der Europäischen Union schließt. Eine aktive Allianzpolitik der EU muss das verhindern, denn nur so kann Europa die kurz-, mittel- und langfristigen Interessen seiner BürgerInnen wahrnehmen.
Der amerikanische, außenpolitische Experte Richard Haas schrieb kürzlich dem zukünftigen US-Präsidenten Barack Obama ins Stammbuch: „Die wichtigste Herausforderung für die neue Administration – und zwar eine mit dem Potential den Charakter des 21. Jahrhunderts zu bestimmen – besteht in China und in der Gestaltung des Verhältnisses zwischen den USA und China.“ Und in der jüngsten Studie des National Intelligence Council „Global Trends 2025“ ist im Kapitel „Die neuen Spieler“ zu lesen: „Wenn die gegenwärtigen Trends anhalten, wird 2025 China die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt darstellen und die führende militärische Macht sein. Es könnte auch der größte Importeur von Rohstoffen sein und ebenso ein größerer Unweltverschmutzer als heute.“
Auch sonst beschäftigen sich die verschiedenen Experten und Regierungskreise der USA ausführlich mit China und dessen Entwicklung. In Europa hingegen findet eine Auseinandersetzung mit China nur bei bestimmten Ereignissen statt. Und das, obwohl sich eine eindeutige Gewichtsverlagerung von West nach Ost, und zwar nach Asien und insbesondere nach China, abzeichnet. China wird wahrscheinlich im Jahre 2025 1,4 Milliarden Menschen umfassen, also um 100 Millionen mehr als heute.

Nicht nur Zaungast

Angesichts dieser Entwicklungen ist es geradezu unverantwortlich, sich mit China nicht oder nur unter dem Aspekt der Menschenrechte zu beschäftigen. Dabei ist diese Frage keineswegs zu vernachlässigen. Weder aus einer humanistischen Grundhaltung noch aus machtpolitischen Überlegungen heraus. Ein Europa, das erlebt bzw. erlitten hat, wozu die Missachtung der Menschenrechte führen kann, kann dieser Frage gegenüber nicht gleichgültig sein. Das muss uns die Geschichte lehren. Aber ebenso lehrt uns die Geschichte, dass der Respekt vor den Menschen- und speziell vor den Minderheitsrechten nicht zuletzt von der generellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung abhängt.
Wer also bei den Menschenrechten einen Fortschritt erzielen und nicht nur spektakuläre Aktionen setzen möchte, der muss die gesamten Bedingungen und Interessen eines Landes sehen und berücksichtigen. Und aus dieser Überlegung heraus sollte im Prinzip der Grundsatz der Integration und nicht des Ausschlusses zur Anwendung kommen. China sollte daher in das multilaterale, globale System integriert werden und nicht nur als Zaungast von mal zu mal zu den entsprechenden Beratungen und Entscheidungsprozessen zugelassen werden. Eine solche Vorgangsweise schafft keine guten Vorraussetzungen für einen – kritischen – Dialog.

Allianzbildung

Dabei sollte die Europäische Union aktiv eine solche Strategie verfolgen und dabei insbesondere die USA von der Sinnhaftigkeit dieser Vorgangsweise überzeugen. Denn die EU vertritt besonders jene Interessen, die sie effektiv nur mit den übrigen globalen Partnern durchsetzen kann. Ob es sich um eine nachhaltige Energiepolitik handelt, den Kampf gegen den Klimawandel oder um eine aktive Friedenspolitik und insbesondere um eine weltweite nukleare Abrüstung – bei all diesen Fragen brauchen wir China als Partner, wollen wir nicht Schiffbruch erleiden.
Vor allem will ja die EU die anderen globalen Partner überzeugen bzw. zu einer mit uns abgestimmten Verhaltensweise „verführen“. Europa ist der prototypische Vertreter des Konzepts der „soft power“. Wir können und wollen unsere Ziele nicht mit militärischer Gewalt bzw. Erpressung durchsetzen. So ist der Weg der Allianzbildung der richtungweisende und erfolgversprechende. Allianzen werden aber nur dann gebildet werden können bzw. die notwendige Stabilität aufweisen, wenn beide Seiten ihre Interessen berücksichtigt sehen. Und dazu muss sich die EU auch grundsätzlich bereit erklären.

„Soft power“ ausspielen

Eine Allianz anzustreben bedeutet nun allerdings nicht, dass man auf eigene Interessen verzichtet bzw. nicht auch als Konkurrent auftritt. Das zu denken, wäre sträflich naiv. Natürlich sind China und die EU auch Konkurrenten, z.B. hinsichtlich der wichtigen natürlichen Ressourcen wie insbesondere Energie. Man denke dabei unter anderem an die Erdgasvorkommen im Kaspischen Bereich, aber auch in Afrika. Aber je mehr wir auch energiepolitisch zusammenarbeiten, desto friedlicher kann diese Konkurrenz ausgetragen werden. Je mehr beispielsweise auch China seine Energieeffizienz erhöht, Energie einspart und ein Konzept der nachhaltigen Energiegewinnung vertritt, desto eher können die vorhandenen fossilen Energiereserven für die Nachfrage aus China und Europa ausreichen. (Und ähnliches gilt natürlich auch für die anderen Energiepartner wie Russland, Indien, etc.)
In diesem Sinn steht eine Partnerschaft mit China keinesfalls im Gegensatz zur traditionellen Partnerschaft mit den USA und auch nicht zu einem neuem Kooperations- und Partnerschaftsabkommen mit Russland. Im Gegenteil: Europa muss danach trachten, dass China keine Allianzen, etwa mit den USA oder mit Russland, zu Lasten der Europäischen Union schließt. Eine aktive Allianzpolitik der EU muss das verhindern, denn nur so kann Europa die kurz-, mittel- und langfristigen Interessen seiner BürgerInnen wahrnehmen. Die EU ist global gesehen nicht der stärkste „player“, aber sie könnte eine Schlüsselrolle spielen, wenn sie geschickt agiert und ihre „soft power“ überlegt ausspielt.

Ausloten

Soll die EU dabei die Entwicklungen innerhalb Chinas negieren und das von China propagierte Konzept der „Nichteinmischung“ in die inneren Angelegenheit akzeptieren? Ich glaube, dass der Wille zur Kooperation und zur Bildung von Allianzen nicht ein Vernachlässigen oder gar Leugnen der Probleme und Konflikte innerhalb der Partnerländer zur Konsequenz haben muss oder auch nur haben sollte. Weder sollte Europa die Menschenrechtsfrage negieren noch die Probleme, die aus der sehr gemischten ethnischen Zusammensetzung in einem stark zentralistischen China entstehen können.
Mit Beharrlichkeit sollten die Vertreter der EU all diese Fragen in den Dialog mit den offiziellen VertreterInnen einbringen. Auch besteht kein Grund, auf Treffen mit RepräsentantInnen von Menschenrechtsorganisationen und bestimmter Völker wie der Tibetaner zu verzichten. Aber in all diesen Fällen sollte es weniger um spektakuläre Aktivitäten für die europäische bzw. nationale Öffentlichkeit und um die Eitelkeit europäischer PolitikerInnen gehen, sondern um das Ausloten, inwiefern Europa zu friedlichen Veränderungen beitragen kann.

„Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“

Dabei sollte Europa die Angst führender chinesischer PolitikerInnen vor einem gewaltsamen Zerfall des Landes mit furchtbaren Konsequenzen eines Bürgerkriegs verstehen. Auch die Menschen in Europa können kein Interesse an einer solchen Entwicklung haben, die den kriegerischen Zerfall Jugoslawiens weit in den Schatten stellen würde. Aber es gilt zu vermitteln, dass ein starres Festhalten an den bestehenden Strukturen und ein Verneinen der Menschenrechtsprobleme erst recht die Stabilität und den Zusammenhalt Chinas gefährden können.
Auch wenn Gorbatschow im offiziellen China nicht sehr geschätzt wird, sein – jedenfalls übermittelter – Ausspruch „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“ sollte China eine Lehre sein. Auch der Zerfall der Sowjetunion war Konsequenz überkommener politischer Strukturen, mangelnder wirtschaftlicher Anpassungen und der Missachtung von Menschenrechten und der speziellen Interessen einzelner Völker.

Friedlicher Wandlungsprozess

Es ist jedenfalls meine feste Überzeugung, dass China einerseits bestimmte Schritte der Dezentralisierung unternehmen muss, um eine erhöhte und freiwillige Loyalität bestimmter Völker und Regionen zu erreichen. Anderseits gilt es angesichts der ungeheuren wirtschaftlichen Veränderungen und der Umweltprobleme verstärkt die Menschenrechte zu respektieren und den Interessen der Opfer der dramatischen Veränderungen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.
Eine Europäische Union, die in China einen wichtigen Partner sieht, die die Interessen der chinesischen Bevölkerung respektiert, kann auch die Fragen der Menschenrechte und die Lage der „Minderheiten“ viel offener ansprechen und zum Gegenstand eines kritischen Dialogs machen. Und damit steht eine Allianz mit China nicht im Gegensatz zur Menschenrechtspolitik der EU. Im Gegenteil, sie ist die Vorraussetzung für eine effektive Politik, die einen friedlichen Wandlungs- und Anpassungsprozess in China zum Ziel hat. Und ein solcher Prozess erleichtert auch die Integration Chinas in ein globales politisches, ökonomisches und ökologisches System, in dem die EU auch ihre Interessen gut aufgehoben sieht.

Wien, 30.12.2008