Die Gutachten sind da

Die Gutachten über die „Benes-Dekrete“ der Professoren Frowein, Bernitz und Kingsland kamen zu dem Ergebnis, dass es keine rechtlichen Hindernisse für einen EU-Beitritt Tschechiens gibt.
Endlich sind sie da, die Gutachten über die „Benes-Dekrete“. Genauer gesagt jene Gutachten, die bewerten sollen, ob ein Beitritt der Tschechischen Republik ohne Widerruf einzelner oder aller Benes-Dekrete rechtlich möglich ist.
Die drei Gutachter, die Professoren Frowein, Bernitz und Kingsland kamen, wenngleich mit unterschiedlichen Nuancen, zu dem Ergebnis, dass es keine rechtlichen Hindernisse für einen solchen Beitritt gibt. Sie erachten allerdings manche der „Präsidentschaftsdekrete“ und der nachfolgenden Gesetze als problematisch, vor allem jenes, das gerechtfertigte Aggressionen gegen Kollaborateure mit den Nazis straffrei stellt.

Keine rechtlichen Beitritts-Hindernisse

In diese Richtung ging auch mein Antrag, den ich im Zusammenhang mit dem letzten Parlamentsbericht zum Beitritt der Tschechischen Republik stellte. Er wurde von anderen aufgegriffen, und gemeinsam stellten wir einen etwas allgemeiner gehaltenen Antrag. Aber die Richtung meiner Argumentation – die spezielle Problematik der Pauschalamnestie – hat sich bestätigt. Ebenso hat sich allerdings bewahrheitet, dass die Dekrete als solches keinen Hindernisgrund darstellen.

Ich meine nun, dass wir die Gutachten, so wie sie sich uns darstellen, akzeptieren sollten – in ihren klaren juristischen Aussagen, aber auch hinsichtlich der kritischen Beurteilung einiger Elemente des Gesamtpaktes. Wie ich immer wieder betone: aus damiliger Sicht, unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, also der grauenhaften Naziokkupation, sind die Maßnahmen der Tschechen verständlich. Aus heutiger Sicht, also auf Basis unseres Verständnisses der Menschen-, insbesondere der Minderheitenrechte, sind sie nicht zu rechtfertigen. Aber unser heutiges Rechtsverständnis gilt für die Gegenwart und die Zukunft und kann nicht zur nachträglichen Revision historischer Ereignisse herhalten. Blinde Gewalt, insbesondere Mord, ist heute und war damals allerdings nicht zu rechtfertigen. Auch das sollte klar sein.
In diesem Sinn sollte auch die tschechische Regierung bereit sein, die Geschichte zu betrachten. Auch sie sollte eine verbale Geste des guten Willens zeigen. Genauso wie diejenigen, die ein ungeklärtes Verhältnis zur Nazizeit und ihren Gräueltaten haben, sich tunlichst zurückhalten sollten. Noch besser allerdings wäre, sie würden darin die eigentlichen Ursachen und Wurzeln der Benes-Dekrete sehen. Das wäre aber wohl zu viel verlangt! 
Brüssel, 3.10.2002