Die Kluft zwischen Theorie und Praxis

Der Außenpolitik der Erklärungen muss endlich eine Außenpolitik der finanziellen Mittel gegenübergestellt werden. 
Die vergangene Woche war im Nahbereich Österreichs eine ereignisreiche Woche. Ich meine damit nicht nur, aber auch die Unruhen in Israel und Palästina, nach der immensen Provokation von Ariel Sharon durch seinen Besuch der Moschee. Dieser Mann wird nicht zu unrecht für Massaker an den Palästinensern in den Lagern im Libanon verantwortlich gemacht, zumindest durch ein sehr aktives Wegschauen. Jetzt hat er erneut viele Unruhen, viele Tote auf seinem Gewissen, die durch eine harsche Reaktion der Israelis auf die Unruhen seitens der Palästinenser erfolgt sind.
Wir sind wieder einmal in einer Situation, in der die Freunde Israels verzweifeln müssen, ob der Aktionen der Israelis, die aus einem völligen Unverständnis gegenüber den Nöten und Leiden der Palästinenser und der mangelnden Sensibilität heraus erfolgen.

Gewaltspirale wird weitergedreht

So sehr wir heute noch Schuld tragen an der unermeßlichen und unvorstellbaren Vernichtungskampagne der Nazis gegenüber der Juden: Diese Schuld kann uns nicht daran hindern, den Israelis heute vorzuwerfen, dass sie die Araber im eigenen Land und die Palästinenser in einem Ausmaß unterdrücken, dass es notwendigerweise immer wieder zu Ausbrüchen von Gewalt kommen muss. Denen selbst wieder die Israelis zum Opfer fallen. Die Spirale der Gewalt wurde neuerlich gedreht. Die Hartnäckigkeit der Israelis in der Frage Jerusalem und die unterschiedlichsten Provokationen geben dafür die Basis ab. Aber auch die palästinensische Führung müßte im eigenen Interesse eine Deeskalation betreiben, um die Gewaltspirale zurückzudrehen.

Védrine zu Gast im Parlament

Bei der Starssburger Plenarsitzung gab es am Dienstag sehr interessante Debatten im außenpolitischen Ausschuss. Hubert Védrine, der französische Außenminister, war bei uns zu Gast. Wie immer zeigte er sich ruhig und sachlich, war in seinem Bericht und in der Diskussion aber nicht wirklich visionär und zukunftsweisend.

Védrines Antwort als Ratsvorsitzender auf meine kritische Wortmeldung hinsichtlich der Politik am Balkan, der noch immer mangelnden Bereitschaft, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, war überraschend. Er meinte, Politik bestehe nicht nur aus Geld – Geld sei nicht so wichtig, es komme vielmehr auf die grundsätzliche Einstellung der Europäischen Union, aber auch der Länder am Balkan an. Diese Aussage stellte Védrine meiner Kritik gegenüber, in der ich gemeint hatte, man sollte der Außenpolitik der Erklärungen doch auch endlich eine Außenpolitik der finanziellen Mitteln gegenüberstellen. Um die Kluft zwischen feierlichen Erklärungen und den Möglichkeiten, auch finanziell zu helfen und zu unterstützen, wieder aufheben.

Außenpolitik der Erklärungen

Diese Forderung war übrigens auch der Kern meiner kurzen Rede anlässlich der Sitzung der Präsidenten der Parlamente des Stabilitätspaktes in Zagreb. Denn mir gehen diese permanenten Erklärungen, gelinde gesagt, auf die Nerven. Wenn ich sehe, dass vieles von dem, was erklärt wird, unter anderem mangels finanzieller Mittel nicht umgesetzt werden kann, dann kann ich das nicht akzeptieren. Und wenn man meint, es wäre doch viel wichtiger, den Ländern am Balkan Handelsbegünstigungen zu geben, um die dortige Wirtschaft aufzubauen, dann kann ich dem zustimmen. Aber das wird nicht in ausreichendem Maße getan, weil es, was nicht überraschend ist, in unseren Ländern viele Interessensgruppen gibt, die von einer solchen Freizügigkeit im Handelsbereich nicht sehr begeistert sind und daher Widerstand leisten.
Nach dieser Grundsatzdebatte diskutierten wir ein Programm, das Albanien helfen soll, mit Migrationsströmen, die aus Albanien selbst kommen und solchen, die über Albanien, zuletzt auch aus dem benachbarten Griechenland, nach Italien und in andere Länder einreisen, Herr zu werden. Albanien braucht sicherlich massive Unterstützung, um diese Migrationsströme einzudämmen. Es bedarf auch Hilfe an den eigenen Grenzen, alleine wird das Land diese Aufgabe nicht bewältigen können.
Im Übrigen diskutierten wir die Vorschläge der Kommission zur Hilfe in Südosteuropa. Die Kommission weiß in dieser Frage eigentlich selbst nicht, was sie möchte. Als wir im vorigen Herbst über die Kosovo Agentur diskutiert haben, hat sie uns Recht gegeben gegen die Überbürokratisierung der Hilfeleistungen im Kosovo. Leider konnten wir uns damals gegenüber dem Rat nicht durchsetzen. Wir haben dann im Kosovo selbst gesehen, wie umständlich diese Hilfeleistung erfolgt und wie sehr einzelne Mitgliedsländer immer wieder in diese Hilfestellung eingreifen. Aber die Kommission hat nun – sicherlich aus Angst vor dem Rat und auf Grund des Druckes aus dem Rat – erst recht wieder die selbe Konstruktion vorgeschlagen.

Unschlüssige EU-Kommission

Ich höre zwar, dass noch ein neuer Vorschlag in der Pipeline ist, weil die Kommission selbst vom Grundsatz her ihre Hilfe straffen und besser organisieren möchte. Aber es scheint mir wieder einmal so ein Beispiel zu sein, wo die Kommission bzw. die Beamten innerhalb der Kommission nicht wirklich zielvoll und effizient ihre Vorschläge machen -zumindest nicht jene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in Brüssel sitzen. Und der zuständige Kommissar auch nicht wirklich „durchgreift“ – einerseits, um es nicht auf einen Konflikt mit dem Rat ankommen zu lassen und andererseits, weil er wahrscheinlich auch in der Beamtenschaft viel Widerstand erfahren muss. Widerstand auch deshalb, weil die Beamtenschaft vielleicht manchmal Angst vor der Kontrolle durch den Europäischen Rechnungshof durch das Parlament hat und an einer langsamen bürokratischen Abwicklung der Hilfestellung geradezu interessiert zu sein scheint.

Vermittlungsverfahren zu den Eisenbahnen

Am Abend ging es in den ersten Trilog bezüglich der Verkehrsberichte, also der Berichte zum gesamten Eisenbahnwesen. Beim Trilog sitzen die Berichterstatter, der Vorsitzende des zuständigen Ausschusses sowie ein Vizepräsident des Parlaments gemeinsam mit Vertretern des Rates und der Kommission an einem Tisch und versuchen politisch abzuklären, wie es im Rahmen des Vermittlungsverfahrens möglich ist, zu einem Kompromiss zu kommen.
Die Trilogsitzung dauerte nur sehr kurz, denn der Rat hatte die meisten Vorschläge, die wir schon unterbreitet haben und die das Parlament mit großer Mehrheit angenommen hat, abgelehnt. Die Kommission hat etliche Vorschläge akzeptiert, allerdings nicht die wichtigsten und die entscheidenden. So müssen wir das Vermittlungsverfahren aufnehmen und werden uns am 11. Oktober das erste Mal treffen. Mir ist noch nicht klar, ob wir zu einer Einigung kommen können. Wir haben es vor und wollen es. Aber wir können uns natürlich nicht total vom Rat beherrschen lassen bzw. all unsere Forderungen auf- und dem Rat nachgeben. Wir werden sehen. Jedenfalls war es für mich spannend, das erste Mal an einem solchen Vermittlungsverfahren beteiligt gewesen zu sein.

Untragbare Verhältnisse

Im Zusammenhang mit dem Verkehrsthema hat es schon im Vorfeld neuerliche Diskussionen gegeben, die sich mit der Frage der Reformmöglichkeit des öffentlichen Verkehrs beschäftigt haben. Einerseits haben wir gemeinsam mit den Vertretern der großen Eisenbahngesellschaften eine Veranstaltung vorbereitet, die im November in Paris stattfinden wird. Aber auch schon bei dieser Gelegenheit ist ziemlich deutlich zu Tage getreten, dass gerade diejenigen, die den öffentlichen Verkehr verteidigen wollen, auch danach trachten müssen, ihn zu reformieren. Ein Vertreter einer Speditionsfirma aus Spanien hat erklärt, dass es massive Verspätungen zwischen den Güterzügen zwischen Deutschland und Spanien gibt. Etwa zwei Drittel der Züge sind verspätet, wobei die Verspätungen teilweise bis zu 24 Stunden dauern. Und es wird vor allem es immer schwieriger, den vermißten Zügen auf die Spur zu kommen und überhaupt zu erfahren, wo sie sich gerade befinden. Das sind natürlich Verhältnisse, die nicht tragbar sind.

Nicht Privatisierung, sondern Effizienzsteigerung

Wenn mir in einer späteren Diskussion der Koordinator im Verkehrsausschuß, den ich persönlich sehr schätze, entgegengehalten hat, man schaue sich erst die Verspätungen bei den privatisierten Zügen in Großbritannien an, dann kann ich darauf nur antworten, dass es nicht um Privatisierung geht. Es geht darum, die Effizienz der öffentlichen Verkehrsleistungen zu zeigen. Erst dann wird man eine Privatisierung, die manchmal zu besseren, manchmal zu schlechteren Lösungen führt, jedenfalls kein wie immer geartetes Allheilmittel darstellt, verhindern können, wenn sich die öffentlichen Transportmittel bzw. die öffentlichen Dienste generell in einem besseren Zustand befinden.
 
Strassburg, 4.10.2000