Die Macht in Russland

L1010487Anlässlich des fünften Jahrestages der Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkovskaya organisierte das Bruno Kreisky Forum eine Veranstaltung in Wien, bei als VertreterInnen der europäischen Politik Ulrike Lunacek und ich eingeladen waren, um mit den HauptrednerInnen aus Russland zu diskutieren.

Autoritärer Caharakter

Ich finde es nach wie vor entsetzlich, dass die Mörder dieser mutigen Frau, die mit den „Waffen der Feder“ gegen den Krieg in Tschetschenien gekämpft hat, noch immer nicht gefunden bzw. verurteilt wurden. Bei der Veranstaltung in Wien ging es aber natürlich nicht nur um die Erinnerung an ihr schreckliches Ende. Denn der Zustand der Demokratie lässt zweifellos zu wünschen übrig. Und der neuerliche Wechsel in den Ämtern zwischen Putin und Medwedew zeugt vom autoritären Charakter der Macht in Russland.
Immer wieder fragt man sich, warum sich solche Regime halten können und ob nicht der Kontakt mit dem demokratischen Westen auch Russland und seine Mittelklasse ansteckt und damit eine Demokratisierung in Gang gesetzt wurde. Durch eine frühere Mitarbeiterin der SPE-Fraktion im EU-Parlament bin ich auf einen Artikel des von mir sehr geschätzten liberalen Sozialwissenschaftlers Ivan Krastev aufmerksam gemacht worden. Der Zufall wollte es, dass Krastev am Abend als Zuhörer an der Veranstaltung teilnahm. Seine These ist, dass sowohl die offenen Grenzen Russlands und die mangelnde festgefügte Ideologie Putins – beides im Gegensatz zur Sowjetunion – der Stabilität des autoritären Regimes zuträglich ist. Offene Grenzen führen also nicht immer zu Widerstand und Revolution. Im Gegenteil, wenn man seine Lebensumstände auch durch zeitweiliges oder permanentes Auswandern ändern kann, dann muss man sich nicht anstrengen, das Regime zu ändern. „Das Autoritäre hält sich am besten im Niemandsland zwischen Demokratie und Diktatur“.

Putin und Berlusconi

Ich merkte aber auch in meinem Diskussionsbeitrag an, dass das Autoritäre sowohl von der Diktatur her kommen als auch von der Seite der Demokratie sich entwickeln kann. Putin stellt die eine Variante dar, Berlusconi die andere. Darum verstehen sie sich auch so gut. In beiden Fällen geht es auch um die Kontrolle der Medien, zumindest derjenigen, die sie kontrollieren können. Beim Internet haben sie allerdings ihre Grenzen. Und beide verstehen sich sowohl als politische Chefs und auch als Manager. Das Wirtschaftliche und Politische ist bei beiden vermischt. Damit will ich nicht behaupten, dass das politische System in Russland und in Italien gleich ist. Aber Putin und Berlusconi haben ähnliche politische Orientierungen.

Dank einer stärkeren demokratischen Tradition können allerdings die autoritären, politischen Ambitionen Berlusconis nicht so zum Durchbruch kommen. Und Berlusconi konnte sich nicht wie Putin „seinen“ Staatspräsidenten auswählen. Georgio Napolitano ist kein Medwedew. Aber dafür hat sich der ungarische Premierminister Orban „seinen“ Staatspräsidenten ausgewählt, einen Parteigänger, der ihm nichts in den Weg legt. Wir müssen und sollen Russland und sein politisches System kritisch durchleuchten und beurteilen. Aber nicht aus einer überheblichen Haltung heraus, sondern wir sollten gleichzeitig auch die eigenen Verhältnisse selbstkritisch unter die Lupe nehmen. Und da gibt es auch genug zu tun.

Wien, 9.10.2011