Die Nagelprobe

Eine heftige Diskussion über den Irak haben wir auch innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament geführt.
Die Diskussionen um den Irak gehen weiter. Kaum jemand glaubt, dass es nicht zum Krieg kommt! Dennoch gibt es auch unter den ParlamentarierInnen noch immer einen Rest an Hoffnung, dass dieser Krieg vermieden werden kann. Zweifellos wäre das Leid der betroffenen Menschen – inklusive der „westlichen“ Soldaten, die im Irak zum Einsatz kämen – ebenso furchtbar wie die neue Instabilität im Nahen Osten und eine zu befürchtende erneute Welle des Terrorismus.

Das Volk, nicht die Regierung vertreten

Eine heftige Diskussion über den Irak haben wir auch innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament geführt. Die Spaltungen, die durch die Regierungen Europas gehen, machen sich auch in der Fraktion bemerkbar. Allerdings wird diese Kluft, die auf Regierungsebene klar zum Ausdruck kommt, bei den ParlamentarierInnen abgeschwächt.
Denn wir vertreten ja nicht primär unsere Regierungen, sondern unsere Bevölkerung. Und in diesem Punkt gibt es eine große Einheitlichkeit. Manche meinen sogar, dass dadurch ein neues Europa entsteht. So zum Beispiel der frühere französische Finanzminister Dominique Strauss-Kahn, der kürzlich meinte: „Wenn man sich auf die Völker und nicht auf deren Regierungen fokussiert, begreift man, dass die Demonstrationen von London, Rom, Madrid, Paris und Berlin ein bedeutendes Ereignis darstellen und vielleicht einen wichtigen Einschnitt markieren: Es wird ein `vor´ und ein `nach dem 15. Februar 2003´ geben.“
Mir scheint diese Beurteilung etwas zu optimistisch zu sein. Aber auch ich hoffe, dass aus dem Bewusstsein und der Überzeugung der Bevölkerung doch mehr an europäischer Identität entsteht als aus der Haltung mancher Regierungen, die entgegen diesem Bewusstsein und unter Missachtung der Notwendigkeit, europäische Identität aufzubauen, die USA blind unterstützen.

Shuttle-Diplomatie

Trotz der heftigen Diskussionen in der Fraktion hat sich die Möglichkeit eines Kompromisses gezeigt. Da ich bereits während der Fraktionssitzung in einer Art „Shuttle-Diplomatie“ zwischen den Engländern und den Deutschen unterwegs war, wurde ich beauftragt, einen Kompromiss auszuarbeiten, den ich der Fraktion schließlich am nächsten Tag zum Beschluss vorlegte. Dieser wurde mit einer – deutschen – Gegenstimme und fünf Stimmenthaltungen angenommen. Kaum jemand war davon ausgegangen, dass es möglich wäre, eine Resolution zur Irak-Frage fast einstimmig anzunehmen.
Ich bin durchaus stolz, dass mir das gelungen ist. Aber ich bin mir auch bewusst, dass dies wahrscheinlich die letzte Einstimmigkeit in Sachen Irak ist, da eine Kriegsteilnahme Großbritanniens ohne UN-Beschluss für den überwiegenden Teil der Fraktion – und so auch für mich – eine grobe Verletzung der UN-Charta und damit des Völkerrechts darstellen würde, aber auch den Grundsätzen der Sozialdemokratie diamentral entgegenlaufen würde. Daraus könnte auch eine ernsthafte Gefährdung für die gemeinsame europäische Sozialdemokratie entstehen. Denn hier geht es nicht um ein Detail, sondern um einen Grundwert!

ERKLÄRUNG DER PSE-FRAKTION ZUM IRAK, 12-03-2003

In Anbetracht der Entscheidungen, die der UN-Sicherheitsrat zu treffen hat,

beteuert die PSE-Fraktion nochmals ihre Überzeugung, dass ein Krieg vermeidbar ist. Sie ruft den Europäischen Rat, der am 21. und 22. März zusammentritt, auf, alle Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, dass Europa zu diesem entscheidenden Zeitpunkt der Krise mit einer Stimme spricht;

wiederholt ihre am 15. Jänner 2003 zum Irak angenommene Position und die des Europäischen Parlaments vom 30. Jänner 2003, in denen klare Richtlinien etabliert wurden, um die aktuelle Krise zu bewältigen und um die Ziele der UN-Sicherheitsresolution 1441 und vorhergehender Resolutionen zu erfüllen;

begrüßt die weltweiten Friedensdemonstrationen von Millionen von Menschen, einschließlich jene in den Vereinigten Staaten und jene vom 15. Februar, in welcher die Bürger aller EU-Staaten in beispielloser Zahl teilnahmen, um ihren Widerstand gegen Krieg Ausdruck zu verleihen und eine gemeinsame europäische Position zu fordern;

bringt ihre volle Zufriedenheit zum Ausdruck, dass in diesen Demonstrationen die Position der PSE-Fraktion in hohem Maße geteilt wurde;

unterstützt die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17. Februar 2003, denen auch die Beitrittsländer zugestimmt haben und verlangt, dass die handelnden EU-Mitgliedsstaaten im UN-Sicherheitsrat dieser gemeinsamen Position folgen;

ruft die Wichtigkeit einer kompletten Entwaffnung des Irak von chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Massenvernichtungswaffen, so solche existieren, und des Abbaus möglicher Kapazitäten des Irak, um solche Waffen zu produzieren, in Erinnerung;

besteht darauf, dass die irakische Regierung, in Übereinstimmung mit der UN-Sicherheitsratresolution 1441, weiter bedingungslos den ungehinderten Zugang von UNMOVIC-Inspektionen erlauben muss, genauso wie sie eine aktive Haltung zusichern zu hat, so wie dies beim Europäischen Rat am 17. Februar gefordert wurde.

In Kenntnis des Berichtes vom 7. März von Herrn Hans Blix, Vorsitzender der UNMOVIC und Herrn El Baradei, Generaldirektor der IAEA, der zeigt, dass die bis jetzt durchgeführten Inspektionen und der von allen Seiten aus Saddam Hussein ausgeübte Druck dazu geführt haben, dass positive Ergebnisse erzielt wurden, einschließlich der Zerstörung einiger verbotenen Waffen. Die Inspektionen müssen fortgeführt werden. Sie können durch das Festlegen von Maßstäben und durch einen Zeitplan für die Entwaffnung verstärkt werden. Wir unterstützen dieses Ziel und appellieren an alle Mitglieder des UN-Sicherheitsrates, die internationale Legitimierung einer Militäraktion so lange zu verweigern, als der UN-Sicherheitsrat Inspektionen als bedeutsam erachtet.
Die PSE-Fraktion drückt weiters ihren Widerstand gegen jede einseitige Militäraktion aus und glaubt, dass ein Präventivschlag nicht in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht und der UN-Charta ist und ein solcher zu einer noch größeren Krise führen würde, in die auch andere Länder der Region involviert wären.
Wir bitten den Europäischen Rat dringend, alles in seiner Macht stehende zu tun, um zu einer Lösung des Konfliktes im Mittleren Osten beizutragen, so wie dies beim Europäischen Rat am 17. Februar vereinbart wurde.
Die PSE-Fraktion
bekräftigt ihr Engagement für eine multilaterale Vorgehensweise in internationalen Beziehungen und glaubt, dass die Respektierung der Rolle der Vereinten Nationen und ihrer Gremien der beste Weg ist, um diesen Blickwinkel wieder zu verstärken,
verlangt von der irakischen Regierung, auf die umfassende Kritik an seiner Innen- und Aussenpolitik einzugehen, da vor allem die eigene Bevölkerung das Opfer ihrer Vorgehensweise darstellt,
fordert vom Irak eine Politik der Toleranz, der Respektierung der Menschenrechte, der Freiheit und eine grundsätzliche Unterstützung seiner Bürger, unabhängig von Rasse und Religion, sowie die Einleitung eines Demokratisierungsprozesses.

(Unofficial Translation Brussels Office Hannes Swoboda, Silvia Sonnleitner)

Strassburg, 13.3.2003