Die Neuen stellen sich vor

Die beiden KandidatInnen für die Europäische Kommission aus Rumänien und Bulgarien präsentierten sich als sachlich kompetent und wurden positiv beurteilt.
In den vergangenen Wochen haben uns zum einen die Konsequenzen der Erweiterung in Zusammenhang mit Rumänien und Bulgarien beschäftigt und zum anderen die Frage, wie die Europäische Union in Zukunft die Erweiterung als solches betrachten und angehen sollte.

Die neuen Kommissionskandidaten

Hinsichtlich der Folgewirkungen zum Beschluss über die Erweiterung um Bulgarien und Rumänien geht es in erster Linie um die Bestellung der neuen Kommissare, aber auch um die Bestellung von zwei Mitgliedern des Europäischen Rechnungshofes. Im ersten Fall muss das Parlament gehört werden und es besteht eine Verpflichtung, dass nur jene Kommissare aufgenommen werden, die vom Europäischen Parlament positiv beurteilt werden. De facto könnten wir zwar nur die gesamte Kommission beurteilen und nicht einzelne Kommissare. Trotzdem wäre es im Falle eines negativen Votums nicht möglich, diesen Mann oder diese Frau aus der Realpolitik heraus zu einem Mitglied der Europäischen Kommission zu machen.
Die erste Nominierung, die von Rumänien kam, schien für meinen Kollegen Jan Marinus Wiersma und mich inakzeptabel. Es handelte sich um einen Mann, der politisch sehr weit rechts steht und über keine Erfahrung auf europapolitischem Gebiet verfügt. Im Laufe der Zeit wurden außerdem Vorwürfe laut, dass er mit der Securitate zusammengearbeitet hat. Aber schon die ersten beiden Elemente haben uns veranlasst, kritische Presseaussendungen zu verfassen. In der Folge kam es zu einer intensiven Debatte und bereits nach zwei Tagen hat der vorgeschlagene Kandidat auf seine Nominierung verzichtet.

PolitikerInnen aus Fleisch und Blut

So kam es schließlich zur Nominierung des Verhandlungsleiters Rumäniens mit der Europäischen Union über den Beitritt, Leonard Orban. Für Bulgarien wurde Europaministerin Meglena Kunewa nominiert, eine Politikerin, die wir schon seit längerem kennen. Beide stellten sich bei mir, aber auch bei der Fraktionsspitze persönlich vor und führten außerdem Gespräche mit jenen Abgeordneten, die fachlich für sie zuständig sind. Bei den Hearings schafften sie es aus meiner Sicht nicht ganz, ihre gesamte Kompetenz zu vermitteln und schlugen sich unter ihrem Wert. Das lag vor allem wohl auch daran, dass sie sich penibel an das Training der Kommission gehalten haben, bei dem man ihnen offensichtlich eingebläut hat, keine abweichenden Erklärungen abzugeben und sich strikt auf die Kompetenz im engeren Sinn zu berufen.
Wir wollen aber vielmehr Menschen aus Fleisch und Blut sehen, die in allen Bereichen der Kommission mitarbeiten und nicht nur auf ihrem jeweiligen Gebiet, für das sie eine unmittelbare Zuständigkeit haben. Ich sehe schon ein, dass die amtierenden KommissarInnen es nicht gerne hören, dass neue KollgeInnen in ihre Kompetenzen eingreifen. Und trotzdem ist es absolut notwendig, dass die betreffenden Personen auch über ein politisches Profil verfügen.

KandidatInnen bestätigt

Unterm Strich gab es dennoch keine Veranlassung, die beiden KandidatInnen abzulehnen und so kamen sie mit einer positiven Beurteilung in die Konferenz der Präsidenten, der Präsidiale des Europäischen Parlaments, in der wir die Beurteilung der Fachausschüsse bestätigt haben. Wir haben allerdings, wie bereits in den Wochen zuvor, klar zum Ausdruck gebracht, dass wir die Kompetenz der Mehrsprachigkeit, die Kommissar Orban als alleinige Kompetenz zugewiesen worden ist, grotesk finden.
Die Mehrsprachigkeit, das Übersetzen, etc. ist in der Kommission, im Europäischen Parlament und in allen anderen Institutionen der Europäischen Union keine unwichtige Frage. Und vor allem ist sie in der Europäischen Union generell als eine Frage des Respekts vor den Minderheiten ein zentraler Aspekt. Kommissionspräsident Barroso hätte zweifellos gut daran getan, nicht nur die Mehrsprachigkeit, sondern von Beginn an auch die interkulturellen und religiösen Dialoge sowie die Frage der kulturellen Identität der Minderheiten in den Vordergrund zu rücken. Leider ist es nicht dazu gekommen, und das hat bei vielen, die wahrgenommen haben, dass es einen eigenen Kommissar für Mehrsprachigkeit gibt, zu Verwirrung und Kopfschütteln geführt. Es wird sich zeigen, ob unser Wunsch der Ergänzung dieser Kompetenz gehört wird und entsprechende Änderungen durchgeführt werden. Diese Kritik wurde jedenfalls von mir persönlich gleich zu Beginn geäußert und in der Folge von anderen aufgegriffen, was zu einer entsprechend breiten Kritik des Europäischen Parlaments geführt hat.

Die Rechnungshofkandidaten

Hinsichtlich der neuen Mitglieder des Europäischen Rechnungshofes gab es bei Bulgarien gar kein Problem, im Gegensatz zum rumänischen Kandidaten. Die Parteienkoalition in Rumänien selbst war zerstritten und hatte über den vorgeschlagenen Kandidaten unterschiedliche Meinungen. Zum Teil gab es aber auch aus der sozialdemokratischen Partei verschiedene Vorschläge und Wünsche, diesen Kandidaten aufgrund mangelnder Qualifizierung nicht zu nominieren. Ein wirklich begründeter Einwand wurde jedoch nicht vorgebracht.
Und so haben im zuständigen Ausschuss die Sozialdemokraten, die Grünen und die Liberalen für den Kandidaten gestimmt, die Europäische Volkspartei gegen ihn. Insgesamt hat er eine Mehrheit bekommen. Sollte in den kommenden Tagen nicht Außergewöhnliches passieren, dann wird es wohl zu einer Bestätigung dieses Kandidaten kommen.

Erweiterungszusagen

Zurück zur Frage der Erweiterung der Europäischen Union. Es ist ein Faktum, dass den Balkanländern auf dem Gipfel von Saloniki eine Zusage gemacht worden ist, dass sie Mitglieder der Europäischen Union werden können, wenn sie die Voraussetzungen, also die so genannten Kopenhagener Kriterien erfüllen und mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag hinsichtlich der Verfolgung von vermeintlichen Kriegsverbrechern aus den so genannten „Jugoslawienkriegen“ eng kooperieren.
Das gleiche gilt für die Türkei, die gerade jetzt vor großen Schwierigkeiten steht. Einerseits sind die formalen Verpflichtungen hinsichtlich der Zulassung zypriotischer Flugzeuge und Schiffe nicht erfüllt worden. Andererseits benutzen viele Mitgliedsländer und etliche Parteien und Gruppierungen in den Mitgliedsländern Zypern als Vorwand, um auf die Türkei Druck auszuüben bzw. die Verhandlungen generell zu stoppen.

Nachbarschaftspolitik

Die Europäische Kommission hat einen durchaus brauchbaren Vorschlag gemacht. Eine Reihe von Verhandlungskapiteln soll solange nicht aufgeschnürt werden, solange die Türkei ihren rechtlichen Verpflichtungen nicht nachkommt. Sie will aber die Verhandlungen auch nicht zur Gänze unterbrechen. Es sollte in diesem Sinn zu einem verlangsamten Verhandlungsprozess kommen, der sich auf einer niedrigeren Ebene durch entsprechende Kontakte und Gespräche fortsetzt.
Wichtig sind vor allem jene Fragen, die sich mit der Zukunft auseinandersetzen. Hier spielt auch die so genannte Nachbarschaftspolitik hinein. Ich selbst bin davon überzeugt, dass die Nachbarschaftspolitik gegenüber den Ländern im Süden und im Osten von Europa bzw. jenen Ländern, die unmittelbar an Europa angrenzen wie etwa der Südkaukasus voneinander getrennt werden muss. Beide Bereiche sind äußerst wichtig – sowohl unser Verhältnis zu den südlichen Nachbarn bzw. den Nachbarn im Mittelmeerraum als auch unser Verhältnis zu den Ländern der Schwarzmeerregion.

EU-Schwarzmeergemeinschaft

Diese beiden Regionen können nicht in einen Topf geworfen werden. Im einen Fall handelt es sich um Länder, bei denen wir heute nicht einmal daran denken können, dass sie Mitglieder der Europäischen Union werden. Und im anderen Fall geht es sich um Länder wie die Ukraine, Moldawien und eventuell der Südkaukasus, für die eine Mitgliedschaft zumindest im Zeitraum von ein bis zwei Jahrzehnten durchaus in Erwägung gezogen werden kann. In jedem Fall sind sie aber stärker an die Europäische Union zu binden.
Vor diesem Hintergrund habe ich die Idee entwickelt, eine EU-Schwarzmeergemeinschaft zu schaffen, also engere institutionelle Beziehungen mit diesen Ländern einzugehen und sie stärker an die Union zu binden. Ich habe diese Idee aus der Beschäftigung mit und den Besuchen in diesen Ländern heraus entwickelt – in dem Bewusstsein, dass wir heute nichts über eine mögliche Mitgliedschaft sagen können. Aber gerade in unserem eigenen Interesse sollten wir sie eher an uns binden als sie einer russischen neoliberalistischen Politik zu überlassen.

Türkei und Russland integrieren

In diesem Sinn könnten wir jenseits und über die bilateralen Beziehungen hinaus eine derartige Gemeinschaft schaffen, innerhalb derer wir zentrale Frage der Sicherheits-, Energie- oder Umweltpolitik erörtern und gleichzeitig eine Freihandelszone schaffen können. Die Umsetzung könnte mit einfachen, aber doch funktionierenden Institutionen bewerkstelligt werden – etwa mittels parlamentarischer Versammlungen.
In einer solchen Gemeinschaft müsste zweifellos auch die Türkei mitarbeiten – unabhängig von den Verhandlungen über ihren EU-Beitritt. Und wir sollten zudem enge Beziehungen zu Russland pflegen. Ob sich irgendwann eine ähnliche Gemeinschaft mit Russland als solches entwickelt, ist eine andere Frage, die zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantwortet werden kann.

Brüssel, 27.11.2006