Die Schlacht ist geschlagen

Nach der erfolgreich geschlagenen Wahl zum Europäischen Europäischen beginnt die Arbeit, und auch angesichts der Mühen und Ebenen dürfen wir unsere in der Wahlkampagne definierten Ziele nicht aus den Augen verlieren.
Die Schlacht um die Sitzverteilung im Europäischen Parlament ist geschlagen. Die österreichische Sozialdemokratie hat dabei – trotz widriger Umstände und einer beschämenden Kampagne seitens der FPÖ und teilweise auch der ÖVP – gut abgeschnitten. Jetzt beginnt die Arbeit, und auch angesichts der Mühen und Ebenen dürfen wir unsere in der Wahlkampagne definierten Ziele nicht aus den Augen verlieren.

Ein soziales Europa

Der für mich wichtigste Slogan war der Kampf „Für ein soziales Europa“, also für ein faires und gerechtes Europa. Dort, wo die Sozialdemokratie im Übereifer von Reformen dieses Ziel aus den Augen verliert, verliert sie automatisch an Unterstützung und Wählerstimmen.
Das Ziel eines „sozialen Europas“ gebietet dabei nicht ein „weiter wie bisher“ bzw. eine Missachtung der weltweiten Veränderungen im Rahmen der Globalisierung oder eine Aufgabe der Grundsätze der internationalen Solidarität. Aber es gebietet die Achtung der Fairness und der sozialen Gerechtigkeit im Zuge der notwendigen Reformen. Vor allem benötigen wir eine aktive Beschäftigungspolitik als Grundlage für eine dauerhafte finanzielle Stabilität. Arbeitslosigkeit führt zu sozialer Ungleichheit und/oder hoher Verschuldung. Vollbeschäftigung ist die Grundlage sozialer und finanzieller Ausgeglichenheit.
Wenn ich kürzlich gelesen habe, dass nun amerikanische Behörden angesichts der Arbeitsverhältnisse in New Yorker Wäschereien, wo mexikanische Frauen weniger als drei Dollar die Stunde verdienen – und das bei einer Sechstagewoche von bis zu 12 Stunden täglich – einen Urlaubsanspruch von einer Woche (!) umsetzen, dann ist dies eine Horrorvorstellung davon, wie reiche Gesellschaften ihren Reichtum auf der Armut aufbauen können – auch heute noch! Das ist nicht die Vorstellung, die wir vom Europa der Zukunft haben, in diese Richtung dürfen wir uns nicht bewegen.

Österreich muss wieder gehört werden!

„Österreich muss wieder gehört werden“ war ein zweiter Wahlspruch im zu Ende gegangenen Wahlkampf. Für mich war und ist dies Ausdruck eines Patriotismus, wie ihn die Sozialdemokratie immer verstanden hat.
Ich denke hier vor allem an Bruno Kreisky und Franz Vranitzky, die einen Patriotismus vertreten haben, der im Gegensatz zum engstirnigen und aggressiven Provinzialismus à la FPÖ, aber auch in Teilen der ÖVP, Österreich gut in die internationale Gemeinschaft und vor allem in Europa eingebettet sehen möchte. Nicht unterwürfig und sprachlos mit geballter Faust in der Hosentasche oder auf dem Ulrichsberg die eigenen Interessen vertretend.

„Kosmopolitischer Nationalismus“

Der deutsche Soziologe Ulrich Beck sprach unlängst von einem „kosmopolitischen Nationalismus“: „Gerade die dringenden nationalen Probleme bedürfen zu ihrer Lösung der globalen Kooperation. Anders gesagt, dauerhafte Kooperation zwischen Staaten verhindert nicht, sondern erhöht deren Handlungsfähigkeit. Paradox formuliert: Souveränitätsverzicht erweitert Souveränität. Das ist, nebenbei gesagt, das Erfolgsgeheimnis der Europäischen Union. Und wenn wir nun eine neue Verfassung haben, dann entspricht diese durchaus diesem Prinzip eines modernen, kosmopolitischen Nationalismus bzw. eines weltoffenen Patriotismus“. Denn Ulrich Beck hat auch recht, wenn er meint: „Alle Versuche (…), die nationale Identität aufzuheben, haben das Gegenteil zur Folge: Sie produzieren und verstärken den Populismus des Nationalen“:
In ein solches realistisches Konzept von Europa passt auch die Bewahrung und Förderung der kulturellen Vielfalt. Der bekannte portugiesische Dichter Fernando Penoa hat es so ausgedrückt: „Wir wollen ein Europa, das mit ein und derselben Stimme spricht, aber in all seinen Sprachen und aus all seinen Seelen.“

Kommentar von Hannes Swoboda in „Der Standard" vom 11.06.2004
Raus aus dem Eck!

Für einen EU-Mandatar ist es mitunter ein Vorteil, nicht so stark in die innenpolitische Debatte hineingezogen zu werden. Als Abgeordneter in Brüssel und Straßburg arbeitet man sachorientiert in einem Parlament, das von parteipolitischem Hickhack weit gehend verschont bleibt. Mit der EU-Wahl ändern sich Arbeitsumfeld und politisches Klima aber schlagartig.
Die momentan vorherrschende Diskussionskultur in Österreich entsetzt mich und viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament. Sager wie die von Jörg Haider, der für politische Gegner den Entzug des Stimmrechts fordert und sie als "Landesverräter" verunglimpft, würden im Europäischen Parlament sofort einen parteienübergreifenden Aufschrei bewirken – nicht so in Österreich.
Jene in den Regierungsparteien, die den Anstand aufgebracht haben, dagegen zu protestieren, wurden von ihrer Partei an den Rand gedrängt. Wer für derartige Untergriffe Verständnis zeigt, riskiert jedoch, dass auch Politiker aus den eigenen Reihen zum Opfer solcher Attacken werden. Haiders Angriff auf EU-Kommissar Fischler beweist, dass der Appell des Bundeskanzlers zur "Abrüstung der Worte" zu spät kam.
Die Ursache für die unterentwickelte heimische politische Kultur ist offensichtlich: In Österreich wird nicht diskutiert, sondern polemisiert. Leider hat sich davon jüngst auch der von mir und vielen anderen hoch geschätzte Abgeordnete Josef Broukal anstecken lassen. Aber er hat sich sofort entschuldigt – eine Selbstverständlichkeit, die anderen sichtlich schwer fällt oder denen es gar nicht in den Sinn kommt, sich zurückzunehmen.
Versatzstückpolitik
Die miserable Diskussionskultur hat eine Hauptursache: Es dominiert in Österreich die "Versatzstückpolitik". Jeder schnitzt sich aus der Geschichte jenes Versatzstück, mit der er bei den Wählerinnen und Wählern oder auch nur seiner Kernklientel zu punkten glaubt. Die Aufarbeitung der österreichischen Zeitgeschichte kann aber nicht im Rahmen der tagespolitischen Auseinandersetzung stattfinden.
Der untergriffige politische Umgang in Stil und Ton geht mir und vielen anderen auf die Nerven. Wir bringen damit nichts voran, da dieser Stil eine sachorientierte Politik behindert. Es muss doch möglich sein, dass sich in Österreich jene vernünftigen Kräfte, die eine Rückkehr zur Sachlichkeit wünschen, an einen Tisch setzen – vor allem dann, wenn dieser Tisch in Brüssel steht.
Weitblick fehlt
Wessen Horizont aber am eigenen Tellerrand endet, der hat schon in Österreich ein Problem. In Europa geht solchen Leuten der Weitblick dann natürlich vollkommen verloren. Deshalb raus aus dem Eck! Europa ist für kleinliches Parteiengezänk zu wichtig. Denn jetzt werden die Weichen für die künftige politische und soziale Entwicklung der EU gestellt.
Jetzt geht es darum, welches Gesellschaftsmodell sich in Europa durchsetzt. Darüber sollten wir reden – und wenn nötig, hart diskutieren. Im Interesse Österreichs und Europas!

Wien, 15.6.2004