Die österreichische Präsidentschaft war da!

Schüssels Rede vor dem Europäischen Parlament war pragmatisch und hat weder Begeisterung noch Unmut hervorgerufen.
Die vergangene Sitzungswoche war für die österreichischen Abgeordneten und vor allem für mich persönlich sehr anstrengend. Die österreichische Präsidentschaft war zu Gast im Europäischen Parlament, und am Mittwoch hielt Ratsvorsitzender Bundeskanzler Schüssel seine Rede vor dem Plenum.

Energiekrise

Schon am Dienstag war Minister Bartenstein ins Parlament gekommen. Er nahm an einer Debatte über die Energiefrage in Zusammenhang mit der Krisensituation, die Anfang des Jahres entstanden war, als Russland der Ukraine, aber leider auch einigen europäischen Ländern, die Energiezufuhr abgeschnitten bzw. gedrosselt hatte, teil.
Die Vorgangsweise Russlands ist für uns völlig inakzeptabel. Ich habe daher gefordert, darüber eine Debatte im Europäischen Parlament durchzuführen, und die anderen Fraktionen haben sich meiner Forderung angeschlossen. Es war letztendlich aber nur eine der vielen Debatten, die wir zum Thema Energie zu führen haben. Dieses Thema wird uns auch in den kommenden Monaten in Atem halten.

Zu schwacher Barroso

Am Dienstag bat mich zudem Kommissionspräsident Barroso zu einem Gespräch, bei dem wir verschiedene Themen der österreichischen Präsidentschaft durchgingen und er meine Einschätzung dazu hören wollte. Aber auch über Fragen der Erweiterung, der Dienstleistungsrichtlinie und über Süd-Osteuropa berieten wir uns bei dieser Gelegenheit.
Barroso ist zweifellos ein angenehmer Gesprächspartner und wir haben in vielen Punkten Übereinstimmung gefunden. Er ist kein Sozialdemokrat und hat andere grundlegende Vorstellungen als ich. Im Prinzip kann man mit ihm aber durchaus Konsens finden und Kompromisse schließen – wenngleich er nicht jene Stärke und Kraft aufweist, die wir von einem Kommissionspräsidenten erwarten – zumindest noch nicht.

Zusammenarbeit jenseits der Parteigrenzen

Einer von Barrosos Kommissaren, der eine zentrale Rolle spielt, ist Olli Rehn, der EU-Kommissar für Erweiterung. Rehn stammt aus einem politisch konservativen Lager, hat aber beispielsweise sehr konstruktiv mit dem sozialdemokratischen Kommissar Likkänen zusammen gearbeitet, und auch mit unserer Fraktion funktioniert die Kooperation gut. Unser Fraktionsvorsitzender Martin Schulz, einer seiner Stellvertreter, der für die Erweiterungsfrage zuständig ist und ich selbst nahmen am Abend an einem intensiven Arbeitsessen zu den Fragen der Erweiterung mit Olli Rehn teil.
Wir bereiteten dabei die notwendigen Schritte vor, um Bulgarien und Rumänien in den Entscheidungsprozess des Parlaments vernünftig einzuplanen. Und wir nahmen eine Tour d´horizont über die Situation in Süd-Osteuropa vor. Einer der angenehmen Aspekte am europäischen Beratungs- und Entscheidungsprozess ist die Tatsache, dass man sich unabhängig seiner Parteizugehörigkeit in aller Ruhe und Ernsthaftigkeit zusammenfindet, um wichtige politische Entscheidungen so vorzubereiten, dass die verschiedenen Interessen abgewogen werden und man letztendlich doch zu einem Konsens kommt. Dabei weiß jeder vom anderen im Vorhinein, was ihm in diesem Entscheidungsprozess wichtig ist.

Die Schüssel-Rede

Mittwoch vormittag schließlich hielt Bundeskanzler Schüssel seine Rede vor dem Europäischen Parlament. Es war eine pragmatische Rede, die weder Begeisterung noch Unmut hervorgerufen hat. Ich persönlich hätte mir zwar ein bisschen mehr erwartet – dennoch gab die Rede als solches keinen Anlass zu Kritik.
In der anschließenden Debatte ging es relativ poetisch zu. Martin Schulz zitierte Mozarts „Entführung aus dem Serail“, Schüssel zitierte seinerseits aus der selben Oper, Maria Berger verwies auf Sigmund Freud und Karin Resetarits verwies auf griechische Sagen. Es war also eine durchaus entkrampfte Diskussion, allerdings nicht ohne Hinweise auf die zentralen Fragestellungen – von der Verfassung bis zur Arbeitsplatzschaffung, die vor allem im Zentrum unserer Redebeiträge stand.

Die Ortstafel-Frage

Martin Schulz, Paul Nyrup Rasmussen, der Vorsitzende der Europäischen Sozialisten und ich selbst haben die Frage der Beschäftigung und der Beschäftigungspolitik sehr stark forciert. Ich wies zudem darauf hin, dass gerade in Zusammenhang mit der Erweiterung die Behandlung von Minderheiten ein zentrales Kriterium für die Aufnahmefähigkeit der jeweiligen Länder ist – seien es die beiden nächsten Mitglieder Rumänien und Bulgarien oder die Länder des Balkans, die auf die Erweiterung vorbereitet werden müssen.
Ich wollte es Schüssel nicht ersparen darauf hinzuweisen, dass es für Österreich schwer sein wird, in diesem Punkt glaubwürdig zu sein, kann doch der Bundeskanzler nicht einmal seinen Koalitionspartner und insbesondere Jörg Haider davon überzeugen, zumindest ein Minimum an Respekt für die slowenische Minderheit in Österreich aufzubringen. Das hat Schüssel gestört. Er meinte, diese Frage sei nicht auf europäischer Ebene zu diskutieren. Ich glaube sehr wohl, dass sie gerade dort diskutiert werden muss.

Gleiches Recht für alle

Wir fordern den Schutz der Minderheiten, etwa der ungarischen Minderheit in Serbien in der Vojvodina, den Schutz der serbischen Minderheit im Kosovo, der albanischen Minderheit in Mazedonien, der serbischen Minderheit in Kroatien, der türkisch-sprechenden Minderheit in Bulgarien und Rumänien sowie der ungarisch-deutsch-sprechenden Minderheit in Rumänien.
Es handelt sich hier um wichtige Fragen des europäischen Standards, es geht um die Durchsetzung der Menschen- und Minderheitenrechte. Warum sollte das also in bestehenden Mitgliedsländern einfach zur Seite geschoben werden?

Verfassungsprozess

Am Nachmittag fand eine weitere Debatte mit der österreichischen Ratspräsidentschaft statt. Diesmal ging es um die europäische Verfassung. Der österreichische Grüne Voggenhuber und der britische Liberale Duff waren vom Verfassungsausschuss beauftragt worden, Vorschläge für den Reflexionsprozess, der nach dem Scheitern der Verfassung von den Staats- und Regierungschefs ausgerufen worden war, zu erarbeiten.
Es fand eine lange Diskussion darüber statt, ob wir schon zum jetzigen Zeitpunkt andeuten sollen, dass auch der Verfassungstext geändert werden muss, damit er bei einer neuerlichen Abstimmung in Frankreich und Deutschland angenommen wird. Ich selbst war in dieser Frage flexibel und bereit dazu, darauf hinzuweisen, dass wir etwas ändern müssen, wenn wir den Kern der Verfassung erhalten wollten. Andere wieder meinten, wir dürften auf keinen Fall von uns aus sagen, dass Veränderungen notwendig seien, sondern müssten deutlich machen, dass die Verfassung so ist, wie wir sie wollen.

Die Verfassung ist nicht tot

Wahrscheinliche wurde diese Frage generell zu früh gestellt. Es wäre nicht unbedingt notwendig gewesen, schon jetzt dazu Stellung zu nehmen, da die Gedanken und Überlegungen noch gar nicht ausgereift sind. Andererseits war es durchaus sinnvoll – das haben nicht zuletzt die medialen Reaktionen gezeigt – , seitens des Parlaments zu signalisieren, dass die Verfassung aus unserer Sicht nicht tot ist.
Voraussichtlich wird man in wenigen Monaten zu dem zurückkommen, was Voggenhuber und Duff – vielleicht etwas zu scharf, zu deutlich und zu früh – angedeutet haben: Man wird bereit sein müssen, auch punktuelle Textänderungen vorzunehmen, wenn die Verfassung um- und durchgesetzt werden soll. Im Kern hingegen wird man kaum eine andere Lösung finden. Trotzdem ist Flexibilität gefragt, wenn man die Verfassung nicht sterben lassen möchte.

Budgetabstimmung

Zwischen der Diskussion zur Erklärung des Bundeskanzlers als Ratspräsident einerseits und der Verfassungsdebatte andererseits gab es am Mittwoch auch zwei nicht unwesentliche Abstimmungen im Rahmen der mittags stattfindenden Abstimmungsstunde.
Zum einen ging es um das Budget. Die Staats- und Regierungschefs haben bekanntlich einen Budgetvorschlag vorgelegt. Es handelt sich aber nur um einen Vorschlag, auch wenn die Medien kolportiert haben, man habe sich geeinigt. Ich muss zugeben, dass dieser Vorschlag trotzdem einiges Gewicht hat. Wenn sich 25 Regierungschefs einigen, kann man das nicht einfach zur Seite schieben – noch dazu, wo es sich um einen zweifellos schwierigen Diskussionsprozess gehandelt hat.

Neu verhandeln

Klar ist aber auch, dass es Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament geben muss. Wir haben daher den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs abgelehnt, allerdings mit dem Hinweis, dass wir in Verhandlungen eintreten wollen. Der vorliegende Vorschlag ist dabei eine Basis. In einigen Bereichen fordern wir aber mehr, vor allem bei den extrem schlecht ausgestatteten Bildungs- und Kulturprogrammen. Aus österreichischer Sicht wären zudem deutlich mehr Investitionen in die Infrastruktur notwendig.
Wir wollen außerdem schon zum jetzigen Zeitpunkt eine klare Zusage der Staats- und Regierungschefs, dass das Europäische Parlament am gesamten Revisionsprozess, der sehr offen gehalten sein muss, beteiligt sein wird. Die Verhandlungen werden in den nächsten Wochen und Monaten unter Führung der österreichischen Ratspräsidentschaft mit dem Rat zu führen sein.

Deutliche Mehrheit

Es wird sich zeigen, ob es zu einer Einigung kommt. Ich gehe eigentlich davon aus – aufgrund der generellen Zusagen einerseits und einigen Milliarden Euro, aufgeteilt den Zeitraum 2007-2013, andererseits möchte wohl niemand das Budget scheitern lassen – zumindest niemand, der entsprechendes Verantwortungsbewusstsein für die Weiterentwicklung der Europäischen Union besitzt.
Die Abstimmung zum Budget wurde mit über 500 Stimmen von den etwa 740 Abgeordneten getroffen – eine ganz deutliche Mehrheit hat sich also für die Ablehnung des Vorschlages und den Beginns der Verhandlungen ausgepsrochen.

Umstrittenes Hafenpaket

Eine zweite, ebenso deutliche Ablehnung gab es zum sogenannten Hafenpaket. Die Kommission hatte vorgeschlagen, die Hafendienstleistungen zu liberalisieren. Ihre Vorstellungen reichten dabei von der Idee, die Besatzungen von in den Häfen ankommenden Schiffe könnten die Fracht selbst löschen bis hin zur Ausschreibung von Hafendienstleistungen. Nicht bedacht wurde dabei offensichtlich, dass bei derartigen Liberalisierungen oft neue Monopole anstatt des gewünschten Wettbewerbs entstehen.
Das Hafenpaket war extrem umstritten. Inzwischen haben sich immer mehr KollegInnen davon überzeugt, dass dieser Liberalisierungsvorschlag der Kommission nicht gutgeheißen werden kann. Und so wurde er auch mit einer überwältigenden Mehrheit von über 500 Stimmen abgelehnt. Das hat die Kommission tief enttäuscht. Die meisten von uns waren hingegen überrascht und erfreut, dass diese Abstimmung so eindeutig, fast einhellig ausgefallen ist.

CIA-Untersuchungsausschuss

Heute, Donnerstag, gab es schließlich noch eine Entscheidung über die Besetzung zweier Untersuchungsausschüsse, insbesondere auch jenes Ausschusses, der die Aktivitäten der CIA auf europäischem Boden untersuchen und prüfen soll, ob es zu illegalen Handlungen gekommen ist. Haben einige Staaten davon gewusst, haben sie mitgeholfen, wurde europäisches Recht verletzt?
Diese Fragen interessieren mich brennend. Und deshalb habe ich mich im Europäischen Parlament sehr dafür eingesetzt, dass ein solcher Untersuchungsausschuss ins Leben gerufen wird und mich selbst als Mitglied nominiert. Dass es CIA-Aktivitäten auf europäischem Boden gibt, steht fest und wir werden es nicht verhindern können. Trotzdem müssen sich diese Aktivitäten im Rahmen der Gesetze abspielen und dürfen europäisches Recht nicht verletzen.

Straßburg, 19.1.2006