Die treibende Kraft der Energiepolitik

L1030912Unmittelbar nach einer Diskussion zu energiepolitischen Fragen bei einer internationalen Konferenz in Kiew bat mich der Herausgeber der Zeitung „NG-Energy“ um einen Beitrag zur europäischen Energiepolitik aus der Sicht des Europäischen Parlaments. Ich war ja in mehreren Fällen „Schattenberichterstatter“ meiner Fraktion, so beim letzten Paket zur Energieliberalisierung, beim Recovery-Plan, der sich primär mit Energieinvestitionen beschäftigte und beim Gesetzt für Gasversorgungssicherheit. Derzeit bin ich Schattenberichterstatter für den Bericht „Regulation on Energy Market Integrity and Transparency“.

Die Ausformung einer europäischen Energiepolitik hat das Europäische Parlament schon immer sehr beschäftigt. Allerdings mussten vor allem Überlegungen hinsichtlich des gemeinsamen Marktes herangezogen werden, um eine rechtliche Grundlage für unsere Gesetze zu haben. Mit dem Vertrag von Lissabon ist die energiepolitische Kompetenz zu einer geteilten Kompetenz der EU mit den Mitgliedsländern erweitert worden. Und damit hat auch das Parlament eine volle gesetzliche Mitsprache in Fragen der Energiepolitik. Diese nützt das Parlament auch im Sinne einer Stärkung der gemeinschaftlichen Energiepolitik mit besonderer Betonung einer einheitlichen Energieaußenpolitik und auch mit einer nachdrücklichen Unterstreichung einer nachhaltigen und umweltfreundlichen Energiepolitik.

Das Europäische Parlament wollte und will in seiner Mehrheit:
• einen voll ausgebauten Energiebinnenmarkt;
• ein flexibles, voll integriertes Gas- und Stromversorgungsnetz;
• die Verankerung des Prinzips der Solidarität;
• eine zunehmende Diversifizierung der Gasversorgung, vor allem auch hinsichtlich der Quellen;
• eine aufeinander abgestimmte und letztendlich gemeinsame Energieaußenpolitik;
• einen Vorrang für Energiesparen und die Steigerung der Energieeffizienz.

All diese Elemente sind gerade für die Versorgungssicherheit mit Energie in Europa wichtig. Isolierte Versorgungsinseln bzw. gesonderte bilaterale Versorgungsvereinbarungen sind nicht krisenresistent. Das hat man im Falle der zweimaligen Versorgungskrisen auf Grund der russisch-ukrainischen Auseinandersetzungen gesehen, und das ist auch jetzt im Zusammenhang mit den Umwälzungen im Norden Afrikas sichtbar.

Energiebinnenmarkt

Auch als einer, der den Markt nicht verabsolutiert, bin ich der Meinung, dass für die Versorgungssicherheit und für ein möglichst niedriges Preisniveau ein funktionierender Binnenmarkt die beste Lösung darstellt. Im Parlament wurde lange darüber gestritten, wie streng das „unbundling“ gestaltet werden soll. Einige wollten eine totale Trennung zwischen den Eigentümern des Netzes und den Versorgungsbetrieben, also den Energielieferanten. Andere wieder wollten überhaupt keine diesbezüglichen Regeln vorschreiben. Die Mehrheit hat die strenge Kommissionsmeinung zur Trennung geteilt.

Nach schwierigen Verhandlungen zwischen Rat, Parlament und Kommission kam es zu einem Kompromiss, der zwar keine absolute Trennung der Eigentumsverhältnisse vorsieht, aber strenge Bedingungen für getrenntes Wirtschaften im Falle des gemeinsamen Eigentums von Netz und Produktion im Interesse einer fairen und transparenten Konkurrenz festlegt. Überdies ist auf Drängen der Kommission, aber vor allem des Parlaments, die Stellung der nationalen Regulatoren, aber auch der EU-weiten Regulierung gegen den Widerstand vieler Mitgliedsländer verstärkt worden. Die Regulierung der Märkte muss in Hinkunft unabhängig von politischen Einflüssen und nach einheitlichen europäischen Kriterien erfolgen.

Integrierte Versorgungsnetze

Wie die verschiedenen tatsächlichen oder potentiellen Versorgungskrisen und Engpässe gezeigt haben, sind isolierte Netze nicht tauglich, im Falle derartiger Krisen in allen Mitgliedsländern eine ausreichende Versorgung sicherzustellen. Deshalb hat das Parlament auf Maßnahmen zugunsten eines integrierten Netzes gedrängt.

Mit dem „Recovery Program“ unmittelbar nach Ausbruch der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise wurde die Förderung vieler Investitionen in die Verbindung der einzelnen nationalen Netze vor allem auf dem Gassektor gefördert. Mit dem Gesetz zur Gasversorgungssicherheit haben wir dann der Notwendigkeit eines integrierten Versorgungsnetzes Nachdruck verliehen. Wichtig war für uns auch die Ermächtigung an die Europäische Kommission, die diesbezügliche Investitionstätigkeit zu überwachen, um Zug um Zug ein flexibles und integriertes Gasversorgungsnetz herzustellen. In Zukunft geht es auch um ein integriertes europaweites Stromnetz, das fähig ist, Strom aus alternativen und volatilen Produktionen (wie aus Wind und Sonne) aufzunehmen.

Solidarität

Eine gemeinsame europäische Energiepolitik setzt voraus, dass demjenigen geholfen wird, der eine Versorgungskrise erleidet. Natürlich ist anderseits zu erwarten, dass alle Länder ihren Beitrag zur Versorgungssicherheit leisten: durch entsprechende Investitionen und eine abgestimmte Energieaußenpolitik. Es ist Aufgabe der Kommission, nicht nur darauf zu achten, dass in allen Mitgliedsländern eine solche Politik gestaltet wird, sondern auch im Falle einer drohenden oder bereits eingetretenen Versorgungskrise Maßnahmen der Solidarität seitens der anderen Mitgliedsländer einzufordern.

Das ist der Gegenstand des Gesetzes zur Gasversorgungssicherheit. Im Rahmen der Beratungen und Verhandlungen dieses Gesetzes war es einmal mehr das Parlament, das auf entsprechende Kompetenzen und Möglichkeiten der Kommission gedrängt hat. Wichtig war uns auch, dass die Kommission die entsprechenden Informationen bekommt, um auch entsprechend rasch und fundiert handeln zu können. Auch diesbezüglich musste einiger Widerstand der Mitgliedsländer und von Enregieversorgungsunternehmungen überwunden werden. Eigentlich hoffe ich, dass die Regelungen dieses Gesetzes nie zur Anwendung kommen müssen, aber die Einigung von Rat und Parlament über die Regelungen zur Energieversorgungssicherheit ist ein wichtiges Signal an all diejenigen, die versucht sind, die Energiewaffe gegen einzelne Mitgliedsländer der EU oder die EU insgesamt zu verwenden.

Diversifizierung

Es entspricht dem Grundsatz der Vorsorge und der vorbeugenden Versorgungssicherheit, dass sich möglichst jedes Land, aber jedenfalls die EU, die Energie aus verschiedenen Quellen holt. Insbesondere gilt das für die Energieimporte und hier insbesondere für die Gasversorgung. Einseitige Abhängigkeiten sind vom Standpunkt der Konsumenten nie gut. Wettbewerb ist angesagt. Dabei geht es nicht um ein prinzipielles Misstrauen gegenüber einzelnen Versorgerstaaten oder auch Transitländer. Grundsätzlich gilt, dass je geringer die Energiequellen und die Transitrouten sind, desto höher das Risiko einer Versorgungskrise ist. Ein solcher Engpass mag politische oder auch nur technische Ursachen haben, er mag absichtlich herbeigeführt sein oder sich auch zufällig ergeben. Für den Konsumenten, der unter dem Versorgungsnotstand leidet, ist dies zweitrangig. Wo immer auch die Ursachen der zweimaligen Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine gelegen sind, wir wollen keine Wiederholung der damaligen Versorgungsprobleme. Und so, wie sich unser Hauptlieferant auf dem Gassektor Russland nach zusätzlichen Abnehmern und Transitrouten umsieht, müssen auch wir das tun.

In diesem Sinne ist es für das Europäische Parlament wichtig, dass wir sowohl die Transitrouten diversifizieren als auch die Quellen der Versorgung. Allerdings gibt es da auch Meinungsverschiedenheiten, wenn es um einzelne Pipelines geht. Aus meiner Sicht ist jedenfalls eine Pipeline wie Nabucco, die sowohl eine neue Route bringt als auch neue Quellen für Europa direkt erschließt, eindeutig im Vorteil im Vergleich zur von Russland favorisierten South Stream-Verbindung. Aber Russland und Gazprom intervenieren natürlich bei verschiedenen Regierungen, und davon lassen sich auch einige Abgeordnete beeinflussen. Was sie nicht sehen, sind die neben der Erschließung neuer Quellen weitaus höheren Kosten von South Stream gegenüber Nabucco. Ob es einmal zu einer Fusion der Pipelines bzw. einer diesbezüglichen Kooperation der beteiligten Energieunternehmungen kommen wird, ist heute noch nicht absehbar. Aber das Gebot der Diversifizierung der Energiequellen muss befolgt werden.

Gemeinsame Energieaußenpolitik

Im Rahmen des Außenpolitischen Ausschusses haben wir einen Bericht zur Energieaußenpolitik der EU verfasst, der auch vom Plenum mit großer Mehrheit angenommen wurde. Darin fordert das Parlament eine aktive und abgestimmte Energiepolitik auch gegenüber unseren Nachbarn und darüber hinaus gegenüber allen Energieversorgerländern. Die Installierung einer Hohen Beauftragten für Außen- und Sicherheitspolitik wird als wesentlicher Beitrag zu einer solchen Energieaußenpolitik gesehen. Gemeinsam mit dem Energiekommissar sollte die Beauftragte – auch unter Einsatz des neu geschaffenen Diplomatischen Dienstes – für ein einheitliches Auftreten der EU sorgen. Nur durch ein solches gemeinsames Auftreten können unsere Chancen für eine vielfältige und diversifizierte Versorgung gewährleistet werden.

Sicher sind die jüngsten Ereignisse in den arabischen Ländern ein zusätzlicher Störfaktor in den Energiebeziehungen zu unseren Nachbarn. Aber sie unterstreichen nur die Wichtigkeit einer weiten Diversifizierung im Sinne der Risikostreuung und damit Risikominimierung. Aber vor allem wird uns drastisch vor Augen geführt, wie wichtig es ist, unsere Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren. Einige sehen daher eine Renaissance der Kohle, andere der Atomkraft. Beide Formen der Energieproduktion sind im EU-Parlament heftig umstritten. Und es ist davon auszugehen, dass sie auch weiterhin einen regional und national unterschiedlichen, aber insgesamt bescheidenen Anteil an der europäischen Energieversorgung einnehmen werden. Was steigen wird und sehr stark zunehmen muss, sind alternative und nachhaltige Energieproduktionen.

Nachhaltige, sparsame und effiziente Energiepolitik

Die Bestrebungen des Europäischen Parlaments hinsichtlich einer nachhaltigen Energiepolitik mit der Betonung auf Energieeffizienz und Energiesparen sind kein Hobby einiger weniger. Sie sind umweltpolitisch begründet, aber wir sehen als ParlamentarierInnen darin auch einen wesentlichen Beitrag zur Versorgungssicherheit. Und zwar für die EU insgesamt, aber auch für die einzelnen KonsumentInnen. Insbesondere in Hinblick auf die so genannte Energiearmut ist es wichtig, jede nicht notwendige Energie und die damit verbundenen Kosten zu vermeiden.

Einerseits müssen wir das Stromnetz so organisieren, dass die umweltfreundliche Stromerzeugung eine Chance bekommt und anderseits müssen wir alle Möglichkeiten des Stromsparens ausreizen. Wir müssen dabei auch mit modernen technologischen und vor allem digitalen Methoden den KonsumentInnen helfen, möglichst umweltfreundlich und sparsam mit Energie umzugehen. Sogenannte „smart grids“ und „smart meters“ müssen einerseits die Einspeisung alternativen, nachhaltigen Stroms ermöglichen und anderseits den Strom möglichst sparsam im Haushalt einzusetzen.

Zusammenfassung

Auf europäischer Ebene wird Energiepolitik von drei Institutionen gemacht. Die EU-Kommission bereitet die entsprechenden Gesetzesvorschläge vor und Rat und Parlament müssen sie gemeinsam beschließen. Sowohl der Rat als auch das Parlament versuchen darüber hinaus, der Kommission grundsätzliche Vorschläge für Gesetzesvorhaben zu unterbreiten. Der Rat unternimmt dies in seinen themenorientierten Sitzungen des Europäischen Rats wie zuletzt Anfang Februar. Das Parlament verfasst immer wieder Initiativberichte, in denen es zu vorlegislativen Berichten der Kommission bzw. aus eigenem Antrieb Stellung bezieht und Forderungen an die Kommission stellt. Vergleicht man die diesbezüglichen Ideen und Vorschläge von Rat und Kommission, so sind jene des EU-Parlaments immer weitergehender und „europäischer“. Das Parlament ist die treibende Kraft der Energiepolitik. Und das sowohl hinsichtlich des Europäischen als auch der Nachhaltigkeit und Umweltfreundlichkeit. Auch in den einzelnen Gesetzesberatungen kommt dies klar zum Ausdruck. So hat das EU-Parlament erst kürzlich verbindliche Ziele für die Steigerung der Energieeffizienz verlangt, was sowohl vom Rat als auch von der Kommission abgelehnt wurde. Aber das Parlament wird auch diesbezüglich nicht nachgeben und sich mittelfristig durchsetzen, wie in so vielen Fällen zuvor.
Kiew, 25.2.2011