Die Wunden bluten noch

Montenegro heute zu unterstützen bedeutet, dem Regime unter Milosevic Widerstand zu bieten. 
Es ist elf Uhr abends. Ich bin wieder einmal am Balkan, zum ersten Mal in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros. Der Mond, der über der Silhouette der Berge, die Podgorica umgeben, scheint, ist fast voll. Ein sternklarer Himmel rundet diesen schönen, lauen, friedlichen Abend ab und gibt mir zugleich Gelegenheit zu reflektieren, was in den vergangenen Tagen geschehen ist.

Zagreb, eine ganz und gar europäische Stadt

Am Freitag bin ich direkt von Strassburg nach Zagreb geflogen und habe dort einen ruhigen und schönen Nachmittag erlebt. Ich saß in einem Kaffeehaus am Platz mit der Statue von Jelasic, beobachtete die Leute, las meine Zeitungen und meine Unterlagen und schlenderte schließlich zum Bahnhof, um dort einige Fotos von den Reisenden, die auf die Verbindungszüge in die verschiedensten Orte Kroatiens warteten, zu machen.

Die Stadt macht einen ungemein friedlichen, aber gleichzeitig sehr lebendigen Eindruck. Immer mehr Strassenkaffees entstehen, und die jungen Menschen sind genauso „gut“ und modisch wie unsere Jugendlichen gekleidet- mit ihren Jeans und den bauchfreien T-Shirts. Ginge es danach, wie sich die Zagreber Jugend heute präsentiert, ginge es um das Bild, das die Hauptstadt Kroatiens abgibt, gehörte Zagreb schon ganz und gar zum Europa von heute.

Katz- und Maus-Taktik

Am Abend besuchten uns Mitglieder der serbischen Opposition sozialdemokratischer Orientierung, um mit uns gemeinsam Abend zu essen. Aber nicht das Abendessen stand im Mittelpunkt, sondern die Überlegungen, wie wir dieser Opposition gegen Milosevic helfen können.
Gegen einen Milosevic, der sich nicht traut oder zu klug ist, um von heute auf morgen die gesamte Opposition niederzuknüppeln und von heute auf morgen alle, die ihm widersprechen, ins Gefängnis zu stecken. Dieser Milosevic agiert mit einer Katz-und-Maus-Taktik, mit einer Taktik der ständigen Bedrohung, mit der Taktik, Menschen kurzfristig zu verhaften, sie zu verhören, ins Gefängnis zu stecken, hier und da auch zu verprügeln, sie aber immer wieder freizulassen. Mit einer Taktik, mit der er die Medien – seien es die elektronischen oder die Printmedien – zusperrt, ihnen das Leben schwer, aber doch nicht ganz unmöglich macht. Wahrscheinlich weiß Milosevic, daß, würde er all diejenigen, die gegen ihn sind, einsperren, würde er alle Medien radikal verbieten und vernichten, die Opposition und der Widerstand gegen ihn nur noch mehr wachsen würden. Aber genau das macht das Leben für die Oppositionellen und auch für uns im Westen schwierig. Es gibt nicht – noch nicht – die totale Vernichtung der Opposition, aber die Verhältnisse sind zugleich weit entfernt von jeglicher Art der Demokratie und der Toleranz ist, wie sie selbst in autoritären Demokratien, alltäglich ist.
Wir sind bei diesem Gespräch nicht sehr viel weiter gekommen ausser zum allgemeinen Ansatz, die Sanktionen noch weiter zu differenzieren, noch stärker gegen Milosevic und seine Clique vorzugehen, was die ausländischen Konten und die Reisen ins Ausland betrifft. Die Sanktionen wären in diesen Punkten also wirklich hundertprozentig dicht zu machen und andererseits wäre der Bevölkerung stärker zu helfen.

Helfen, aber wie?

Am nächsten Tag ging es bei einem Symposium der europäischen Sozialdemokraten gemeinsam mit den Sozialdemokraten der Balkanregion um die Diskussion, wie wir dieser Region wirksam und effizient helfen können.
Ich leitete den ersten Teil des Vormittags, der sich vor allem mit der Frage des Wiederaufbaus und mit der Frage des Stabilitätspakts befasste. Im Sommer 1999 fand in Sarajevo jene Konferenz statt, die Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Chefs multinationaler Finanzierungsinstitutionen zusammenbrachte. Sie versprachen damals, der Region rasch und effizient zu helfen, und sie forderten alle auf, beim Wiederaufbau des Balkans aktiv zu sein. Und im Frühjahr dieses Jahres folgte dann jene Geberkonferenz, die die Maßnahmen konkretisierte und vor allem auch ein Fixstartprogramm, also ein Programm der raschen Projekte beschloss, das der Region heuer und im nächsten Jahr helfen soll, aus der sehr schlechten Lage herauszukommen.
Die Europäische Kommission hat für die Jahre 2000-2006 5,5 Milliarden Euro vorgeschlagen. Das Europäische Parlament ist dabei, diese Vorschläge zu unterstützen. Aber werden auch die Regierungen hier mithalten? Werden sie wirklich bereit sein, das Geld tatsächlich zur Verfügung zu stellen? Das ist heute noch eine offene Frage, und es wird seitens der Kommission und des Parlaments sehr viel Engagements und Beharrlichkeit bedürfen, um den Versprechungen der Regierungschefs und Außenminister zu folgen und den Widerstand der Finanzminister zu brechen, damit jene Beträge bereitgestellt werden, die diese Region auch wirklich braucht.

Veränderung von innen

Aber natürlich geht es nicht nur um Geld von außen und um Hilfe seitens der Europäischen Union. Es geht auch um Anstrengungen, die in der Region selbst unternommen werden müssen. Es geht darum, die Privatisierungen so vorzunehmen, dass sie transparent und rational erfolgen und nicht der Selbstbedienung der Freunde einiger Regierungschefs dienen. Und es geht darum, dass die finanzielle Lage stabilisiert wird und ein Budget auf vernünftigen Grundlagen gemacht wird, dass vor allem Investitionen in die Ausbildung und Erziehung der jungen Menschen getätigt werden, damit auch neue Jobs entstehen können.
Das alles sollte schließlich nicht aus einer simplen Liberalisierungs- und Privatisierungsstrategie erfolgen, sondern aus der Überzeugung heraus, dass Initiative und ausländische Investitionen notwendig sind, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das heißt aber auch, dass die Korruption und die organisierte Kriminalität bekämpft werden müssen, ebenso wie die übermäßige Bürokratie, die oftmals Initiativen tötet bzw. verhindert.

Hilfe zur Selbsthilfe

Ich gehe wie meine Freunde nicht davon aus, dass wir eine Region dauernd unter Kuratel stellen und an den Tropf der europäischen Mittel hängen können. Nein – es geht vielmehr um Hilfe zur Selbsthilfe. Es geht darum, unsere Hilfe aufgrund unseres Reichtums mit den Anstrengungen der Regierungen, der Parteien und der Wirtschaft in dieser Region zu koppeln. Das geht ein bisschen in die Richtung, wie es nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland, Österreich und anderen Ländern passiert ist. Nur diese Kombination, und nur der Wille der politisch Verantwortlichen in dieser Region können helfen, einen Ausweg aus dieser erniedrigten und erniedrigenden Situation zu finden.
Bei der eingangs erwähnten Veranstaltung in Zagreb traf ich natürlich auch wieder einige gute Freunde: den Außenminister Picula, die stellvertretende Ministerpräsidentin, den Sozialminister. Besonders gefreut hat mich, dass der Sozialminister, der die Tagung eröffnete, zitiert hat, was ich vor zwei Jahren in Zagreb bei einem Seminar der kroatischen Sozialdemokraten gesagt habe.
Ich wies damals darauf hin, dass Kroatien Europa genaus so braucht so wie Europa Kroatien, und dass Kroatien ein wichtiger Faktor der Stabilität am Balkan ist und wir großes Interesse an den Veränderungen in Kroatien in Richtung wirklicher Demokratie, offener Volkswirtschaft und vor allem Respekt für die Nationalitäten, für Rechte der Minderheiten und dem Willen zur vollen Kooperation haben.

Kooperation statt Nationalismus

Darum ging es auch beim zweiten Teil des Seminars, den Außenminister Picula leitete. Ein weiterer Schwerpunkt war außerdem die Verwirklichung von Dayton. Ich machte in meinem Beitrag aufmerksam, dass Dayton aus heutiger Sicht sehr ambivalent zu beurteilen ist.
Einerseits ist es wahrscheinlich das beste Abkommen, das wir zum damaligen Zeitpunkt erreichen konnten. Andererseits schreibt es eine Teilung Bosnien-Herzegowinas in einen serbischen und ein kroatisch-muslimischen Teil fest, letzterer wiederum ist – je nach Übergewicht von Kroaten oder Bosniaken – in verschiedene Kantone geteilt. Das führt dazu, dass der gemeinsame Staat Bosnien-Herzegowina insgesamt eigentlich viel zu schwach ausgebildet ist und sich nicht wirklich ein gemeinsames Staatsgefühl, ein gemeinsames Bewusstsein, dass man in Bosnien lebt, entwickeln kann – mit all den Nachteilen für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung, für die Teilnahme Bosniens in internationalen Organisationen, beispielsweise der WTO, etc.

Genau deshalb hat mir ein Satz von Außenminister Picula besonders gut gefallen, in dem er gemeint hat: „Es ist das Ziel der neuen Regierung mitzuhelfen, dass sich alle in diesem Bosnien vornehmlich als Bürger von Bosnien-Herzegowina verstehen und nicht primär als Angehörige einer ethnischen Gruppierung.“ Diese vernünftige Einstellung, die die frühere Regierung in ihren Beziehungen zu den Kroaten vor allem der Herzegowina vermissen hat lassen, macht uns allen Hoffnung, dass letztendlich doch auch aus Bosnien eine gemeinsame Heimat entstehen kann und schließlich aus dem Balkan eine Region des gegenseitigen Respektes, des Friedens und der Kooperation wird.

Uneinige Opposition

Heute abend nun sitze ich in Podgorica, der Hauptstadt Montenegros. Wir haben auch hier mit Vertretern der serbischen Opposition, der freien Medien und der neuen, im Aufschwung befindlichen Studenten- bzw. Jugendbewegung „Otpor“ gesprochen.
Schon in Zagreb hatte ich einen Vertreter von „Otpor“, Nena Konstatinovic, und hier in Mazedonien den eigentlichen „Spiritus Rektor“ dieser Bewegung, Slobodan Ofomen, getroffen. Diese „Otpor“-Bewegung besteht aus sehr engagierten jungen Menschen, die sich nicht an eine Partei wenden und unzufrieden mit der Uneinigkeit der Opposition in diesem Land sind. Sie wollen erreichen, dass sich die Opposition auf gemeinsame Listen für die Kommunalwahlen und letztendlich auch für die nationalen Wahlen einigt.
Die Menschen in Jugoslawien sind zwar sehr unzufrieden mit Milosevic, aber sie sind mit der Opposition – zumindest wie sich heute darstellt: zerstritten, uneinig und nicht, jedenfalls noch nicht, die Alternative zum Regime von Milosevic – ebenfalls unzufrieden. Daher müsste eine über alle Differenzen hinweg einige Opposition entstehen, die Medien müssten verstärkt Möglichkeiten haben, von innen und dort, wo es eben nicht geht, auch von außen – von der Republika Srpska, von Bulgarien oder von Rumänien aus -in das Land hineinzustrahlen und jene Informationen zu geben, die zeigen, was Milosevic wirklich tut, wie Milosevic seiner eigenen Bevölkerung wirklich schadet, wie er verhindert, dass die Menschen in diesem Land in den Genuss internationaler Hilfe kommen, dass in dieses Land investiert wird, dass man diesem Land auch eine Zukunft zutraut.

Montenegro, Katalysor auf dem Weg nach Europa

Am Abend gab es heute noch ein Arbeitsessen mit Vertretern der Volkspartei Montenegros, mit dem Vizepräsidenten des Parlaments, dem Justizminister, dem Sozialminister und dem stellvertretenden Außenminister, die allesamt diese Partei vertreten. Die Volkspartei ist eine Partei, die gemeinsam mit Djukanovic, dem Präsidenten Montenegros, eine Regierung bildet.
Es waren durchaus westlich orientierte Männer, die heute Abend mit uns bei Tisch sassen – sehr genau und scharf in ihrer Kritik an Milosevic, aber dennoch mit dem Willen, die Bande und Bindungen zu Serbien aufrechtzuerhalten.
Ich erwähnte in einem Gespräch, dass diese Einstellung auch für uns in Europa wichtig ist. Wir wollen ja, dass Serbien zurück auf den europäischen Weg kommt, dass Serbien sich auch an die Werte, Ziele und Regeln der Europäischen Union annähert. Und dabei kann auch gerade dieses kleine Montenegro als Partner des um vielfach größeren Serbiens eine wichtige Rolle als Katalysator spielen.
Ich mache mir dabei allerdings keinerlei Illusionen über manch führende Entscheidungsträger in Montenegro. Auch sie sind nicht frei von den Versuchungen der Korruption und der Selbstbereicherung. Aber sie haben zumindest erkannt, dass der Weg der Unterdrückung, des extremen Nationalismus und der extremen Bereicherung, wie es Milosevic und seine Clique vorleben, nicht weiterführt – weder im eigenen Land noch für das Wohl der Region ist der Weg nach Europa auf diese Weise gangbar.

Alles ist besser als Milosevic

Als Europäische Union haben wir nicht immer die Wahl zwischen dem Schlechten und dem ganz Guten. Es sind oft zweit- oder drittbeste Lösungen zu suchen und zu finden – das gilt insbesondere für den Balkan. Wir wissen, dass in der Opposition nicht alle reine Engel sind, und dennoch müssen wir sie unterstützen, weil sie in allen Fällen eine bessere Lösung als Milosevic darstellen.
Ähnliches gilt für Djukanovic und seine Mitstreiter hier in Montenegro. Montenegro heute zu unterstützen bedeutet, dem Regime unter Milosevic Widerstand zu bieten. Und wir müssen Informationen in dieses Land hineintragen, indem wir in erster Linie die Bevölkerung überzeugen, dass das, was Milosevic macht, ihr nicht gut tut. Das Thema Kosovo beispielsweise wird hier auf allen Ebenen verdrängt und man geht überall davon aus, dass der Kosovo selbstverständlich für immer Bestandteil Serbiens, jedenfalls Jugoslawiens, bleiben muss, aber man tut nichts dafür.

Dialogbereitschaft wächst

Wir wollen dafür zu sorgen, dass Jugoslawien in Zukunft so regiert wird, dass Menschen dieses Land leiten und lenken, die zum Dialog bereit sind, die nicht die Sprache der Gewalt, der Verleumdung, des Angstmachens sprechen, sondern schlicht und einfach mit dem eigenen Volk und den europäischen Institutionen ein Gespräch und einen Dialog führen wollen.
Es gibt diese Menschen – sie sind in der Opposition, in der Jugend- und Studentenbewegung „Otpor“, in den Regierungskreisen vertreten. Aber noch haben sie nicht die Mehrheit, noch sind sie nicht einig und stark genug, um Milosevic zu stürzen. Wenn wir ihnen allerdings stärker, rascher und effizienter helfen, wenn wir psychologisch geschickter vorgehen, wenn wir schon jetzt gegenüber der Bevölkerung eine positivere, aktivere Position einnehmen, aus Überzeugung, dass durch den Sturz von Milosevic erst recht dem Land und seiner Bevölkerung geholfen wird, dann wäre das ein immens wichtiger Beitrag zur Stabilisierung des Friedens in dieser Region.

Wiedersehen mit gemischten Gefühlen

Heute morgens nach einem kurzen Spaziergang durch Podgorica, bei dem sich mir diese Stadt zwar nicht sehr lebendig, aber doch lebendiger als gestern Abend präsentierte, ging es in die so genannte „Villa Gorica“, ein altes Gästehaus, eine der vielen Villen, die Tito als Staatspräsident im alten Jugoslawien für Repräsentationszwecke genützt hat. Wir trafen dort zunächst Parlamentarier aus den Regierungs- und Oppositionsparteien.
Die Vertreter der Oppositionsparteien waren dabei keineswegs einer Meinung. Zwei Repräsentanten albanischer Parteien etwa machten sich naturgemäß vor allem um die Rechte und Besserstellung der Albaner in Montenegro Sorgen. Diesen beiden stand ein Vertreter der Milosevic nahe stehenden Partei gegenüber, der mich kurz in Verlegenheit brachte, indem er mich herzlich begrüßte und vorgab, mich schon seit längerem zu kennen.
Erst nach und nach erinnerte ich mich, dass er einer jener Städtevertreter war, die ich vor Jahren gemeinsam mit dem Athener Bürgermeister zuerst nach Athen und dann nach Wien eingeladen hatte, als wir die Konferenz der südosteuropäischen Städte gegründet haben. Avramopoulos, den damaligen und jetzigen Bürgermeister von Athen, traf ich ja erst kürzlich bei einer meiner Reisen in Istanbul wieder. Der Vertreter der so genannten sozialistischen Partei, der mich hier in so besonderem Ausmaß begrüßte, war damals Vize-Bürgermeister von Podgorica.
Inzwischen, vor allem bei den letzten Wahlen, hat allerdings in Podgorica die Regierungskoalition von Djukanovic gewonnen und die Hauptstadt hat eine deutliche Veränderung zumindest im politischen Spektrum durchgemacht.

Beruhigende Besonnenheit

Nach den Vertretern der politischen Parteien trafen wir den Außenminister, den Parlamentspräsidenten und zuletzt den Präsidenten Milo Djukanovic persönlich. Sie alle machten eigentlich einen sehr ruhigen, besonnenen Eindruck, wenngleich sie vielleicht mit unterschiedlicher Stärke die autonome Entwicklung von Montenegro vertreten und Milosevic und sein Regime kritisiert haben.
Milosevic geht mit Montenegro so um wie mit der Opposition: keine totale Konfrontation, keine totale Vernichtung oder Unterordnung, sondern permanente Sticheleien, Schwierigkeiten und Bedrohungen sind es, mit denen er das Land unter Druck setzt. Zuletzt hat er ja einige Grenzübergänge blockiert und dadurch den Handel Montenegros behindert. Sowohl mit Serbien, wo er zumindest, weil es im eigenen Interesse liegt, die Lieferung aus Serbien nach Montenegro wieder zugelassen hat, aber zuletzt mit Bosnien und insbesondere mit Albanien.
Die montenegrinischen Vertreter wollen auf dieses Vorgehen allerdings mit relativer Ruhe und Gelassenheit reagieren, weil sie weder eine Krise am Höhepunkt der Tourismussaison riskieren noch generell eine Intervention der jugoslawischen Armee in Montenegro heraufbeschwören wollen.
Djukanovic war klar und deutlich – sowohl in seiner Ablehnung von Milosevic und dem Einfluss der serbischen Autoritäten wie auch gegen jegliche Provokation sietens Montenegro.

Loslösung Montenegros von Serbien

Das Mittagessen gab der Vizepräsident der Regierung, Dragan Bursan, den ich erst letzten Samstag, also vorgestern, in Zagreb getroffen habe. Bursan ist ein Vertreter der Sozialdemokraten in der Regierung, und er machte auf uns alle einen sehr guten Eindruck.
Jenseits von Protokoll und Etikette begründete schließlich auch er, warum er grundsätzlich für die Loslösung Montenegros von Serbien ist. Er meinte, diese Frage sei nicht nur eine Angelegenheit von Milosevic. Nach seiner Einschätzung werden die Serben, nachdem sie so viel verloren haben und der Traum von Großserbien endgültig ausgeträumt scheint, immer wieder Montenegro unterdrücken und dominieren und dadurch eine Entfaltung der Wirtschaft und der Gesellschaft im Land letztendlich unmöglich machen.
Auch Bursan versicherte, dass er keinesfalls die Regierung provozieren, Milosevic herausfordern und auf Biegen und Brechen die Unabhängigkeit Montenegros erklären wolle.
Er entwickelte in unserem Gespräch schließlich die Idee einer Föderation unabhängiger Staaten aus dem ehemaligen Jugoslawien und darüber hinaus, inklusive Albaniens, die in der Balkanregion eine neue Form der stabilen Kooperation, der Zollunion, der Wirtschaftsunion schaffen könnten. Und es sind die Schritte in Richtung Europäische Union, in Richtung einer verstärkten Kooperation auf dem Balkan selbst, zwei entscheidende Schritte, die es parallel zu gehen gilt, um einerseits Frieden in der Region herzustellen und andererseits sich Schritt für Schritt an die europäischen Standards und an die Europäische Union als solches anzunähern.

Wir hatten einen sehr positiven Eindruck von unseren Gesprächspartnern, insbesondere von ihrer Besonnenheit. Bleibt zu hoffen, dass sie alle diese Besonnenheit beibehalten und dass Milosevic sie nicht doch bis aufs Blut reizt. Nur so wird es möglich sein, dass sie ihre Haltung, langfristig eine Lösung herbeizuführen und nicht von heute auf morgen übereilte Änderungen vorzunehmen, auch tatsächlich beibehalten. 

Podgorica, 19.6.2000