Die Zukunft von Bosnien-Herzegowina

Braucht Bosnien-Herzegowina noch einen Vertreter der Internationalen Gemeinschaft in Person eines Hohen Beauftragten?
Um die schwierige Situation in der Region ging es auch bei einem Seminar, das gestern und heute im Wiener Renner Instutit stattgefunden hat und von der Friedrich Ebert Stiftung mitorganisiert worden ist. Hier stand Bosnien-Herzegowina im Mittelpunkt.

Konferenz zu Bosnien-Herzegowina

An der Konferenz haben gestern viele Vertreter der Internationalen Gemeinschaften und aus NGOs teilgenommen, unter anderem auch der frühere Hohe Repräsentant in Bosnien-Herzegowina und jetzige UNO-Botschafter in Genf, Wolfgang Petritsch. Heute sind außerdem Vertreter aus Bosnien-Herzegowina und aus verschiedenen Parteien und NGOs zu uns gestoßen, mit denen wir sehr spannende Diskussionen geführt haben.
Die Situation in Bosnien-Herzegowina ist vor allem auch deshalb so schwierig, weil sich in der Republika Srpska, also im serbischen Teil, die wahrscheinlich stärkste Persönlichkeit in dieser Region herausgebildet hat: Milorad Dodik. Ich hatte Dodik zuletzt bei meinem jüngsten Besuch in der Republika Srpska in Banja Luka getroffen. Er ist eine äußerst zwiespältige Persönlichkeit. Ursprünglich hat er an vorderster Front gegen die serbischen Nationalsten im eigenen Land gekämpft und die Vision eines gemeinsamen Bosnien vertreten. Heute nimmt er hingegen selbst eine sehr engstirnige und nationalistische Haltung ein und ist kaum bereit, Reformen aus Bosnien-Herzegowina, die für gemeinsame Lösungen stehen – allen voran die Polizeireform – umzusetzen.

Der Hohe Beauftragte

Wie auch ein Vertreter aus Bosnien beim Seminar in Wien gemeint hat, ist Dodik seit dem Tod von Milosevic und Tudjman die stärkste Persönlichkeit in der gesamten Region und vor allem in Bosnien-Herzegowina. Es gibt allerdings noch einen zweiten, ebenfalls wieder erstarkten Politiker, Haris Silajdzic. Er vertritt die Interessen der Bosniaken – und diese nehmen auf die einzelnen Entitäten wenig Rücksicht. Er bildet also den Gegenpol zu Dodik.
Bei der Konferenz im Renner Institut diskutierten wir in erster Linie darüber, wie die Internationale Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina in Zukunft vertreten sein soll, um die entsprechenden Fortschritte zu ermöglichen. Noch gibt es den Hohen Beauftragten mit seinem Amt, dem Office of High Representative OHR und den sogenannten Bonn Powers. Diese ermöglichen es dem Hohen Beauftragten, im Fall eines Verstoßes gegen den Vertrag von Dayton Gesetze zu oktruieren und Personen abzusetzen.

Bonn Powers

Wolfgang Petritsch hat in seiner Amtszeit versucht, diese Bonn Powers mit Sorgfalt anzuwenden und hat das sogenannte Ownership-Prinzip praktiziert. Dieses beinhaltet, dass auch die politischen Vertreter des Landes selbst Verantwortung übernehmen. Das ist zweifelsohne eine schwierige Gratwanderung, die Petritsch aus meiner Sicht aber gut gelungen ist.
Sein Nachfolger Paddy Ashdown aus Großbritannien hat sich hingegen eher wie ein Kolonialoffizier verhalten und umfangreichen Gebrauch von den Bonn Powers gemacht. Ashdowns Nachfolger wiederum, der ehemalige deutsche Minister Schwarzschilling, hat diese wiederum praktisch überhaupt nicht eingesetzt und stattdessen versucht, die Entscheidungen den politischen Kräften im Lande selbst zu überlassen. Das ist allerdings ebenfalls auf starke Kritik – nicht zuletzt der USA – gestoßen und hat Schwarzschilling letztendlich dazu bewogen, zurückzutreten.

Übergangsfrist

Heute stellt sich die Frage, ob es überhaupt noch einen Vertreter der Internationalen Gemeinschaft in Person eines Hohen Beauftragten geben soll. Bei unserer Diskussion im Renner Institut wurden für die Beibehaltung vor allem drei Gründe angeführt. 1.) Die Verfassung für Bosnien-Herzegowina ist knapp vor den Wahlen abgelehnt worden, weil die notwendige Zweidrittelmehrheit nicht zustande gekommen ist. Unter anderem auch deshalb, weil Silajdzic, der jetzt der neue starke Mann auf bosniakischer Seite ist, diese Verfassung im Parlament abgelehnt hat. Angeblich sind außerdem zwei Abgeordnete „gekauft“ worden. Die neue Verfassung wäre aber dringend notwendig, um dem Land eine effizientere und auch kostengünstigere politische Struktur zu geben. Und zu ihrer Durchsetzung bräuchte es einen Hohen Beauftragten.
2.) Eine Reihe von anderen Reformen, insbesondere die Polizeireform und Reformen im Medien- und Erziehungsbereich sind noch offen. Auch hier müsste der Hohe Beauftragte helfen. 3.) Nicht zuletzt die Unsicherheit in Zusammenhang mit der Lösung der Kosovofrage könnte einen Hohen Beauftragten mit den entsprechenden Möglichkeiten der Bonn Powers notwendig machen.

Brussels Powers

Trotzdem zeichnet sich zunehmend eine Verlagerung vom Hohen Beauftragten der Internationalen Gemeinschaft zu einem Special Representative, also einem speziellen Beauftragten der Europäischen Union ab. In diesem Zusammenhang fiel bei der Konferenz im Renner Institut der Begriff „Brussels Powers“, die den in Bonn beschlossenen Bonn Powers nachfolgen sollen. Zu Recht machte ein Vertreter der Kommission darauf aufmerksam, dass es sich in diesem Fall eher um soft powers bzw. sogar mehr um incentives handelt als um Zwangsmassnahmen.
Das würde vielleicht dafür sprechen, dass es auf der einen Seite noch einige Zeit den Hohen Beauftragten gibt, der auch Zwangsmassnahmen setzen kann – vor allem im Fall einer möglicherweise kritischen Situation, wenn es zu Lösungen in der Kosovofrage kommen sollte. Auf der anderen Seite sollte es aber auch einen EU-Vertreter geben, der zwar auch mit Nachdruck, aber doch stärker mit incentives arbeitet.

Starke Persönlichkeit

Aus meiner Sicht können die Brussels Powers nur dann Realität werden, wenn es zum einen eine Person gibt, die auf längere Sicht dieses Amt ausübt und die EU mit einer starken Stimme vertritt. Das habe ich auch in einem Abänderungsantrag zum Bericht der Kollegin Doris Pack eingebracht. Die jeweilige Person bzw. Persönlichkeit spielt eine ganz ausschlaggebende Rolle. Wir brauchen daher jemanden, der stark ist und diese Stärke auch zum Ausdruck bringt, der aber trotzdem mit Sensibilität und Sensitivität auf die Gefühle der politischen Kräfte, aber vor allem der Menschen im Lande eingeht.
Ganz wichtig ist außerdem, dass die Zersplitterung ein Ende nimmt. Entweder man entscheidet sich, dass in der kommenden Zeit, in der es noch einen Hohen Beauftragten gibt, dieser in Personalunion auch die Funktion des EU-Beauftragten übernimmt, also eine sogenannte double-hat-Lösung. Entscheidet man sich hingegen für eine Trennung der beiden Funktionen, dann müsste der EU-Beauftragte zumindest für alle europäischen Institutionen mit einer Stimme sprechen können: für den Rat, für die Kommission, aber auch für die Militär- und Polizeimission und die EU-Beobachter-Mission. Die derzeitige Situation, in der eine unkoordinierte Vielzahl von EU-Institutionen vertreten ist, ist aus meiner Sicht absolut inakzeptabel und schwächt die Position, die die Europäische Union haben könnte.

Hohes Diskussionsniveau

Wird ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen abgeschlossen, dann muss klar sein, dass dieses das Instrument werden muss, um die Modernisierung und Stabilisierung des Landes voranzutreiben. Andererseits muss aber auch signalisiert werden, dass Zahlungen und Unterstützungen eingestellt werden, wenn die Entwicklungen im Land negativ verlaufen sollten.
Insgesamt verlief die Diskussion im Renner Institut auf hohem Niveau. Am Anfang war ich zwar etwas enttäuscht, dass hauptsächlich Vertreter der Internationalen Gemeinschaft miteinander gesprochen haben. Aber die nachfolgende Konfrontation der eingebrachten Ideen mit den Vertretern aus Bosnien-Herzegowina, die in hohem Maß an einem Fortschritt und einer Annäherung an Europa interessiert sind, hat sich als äußerst fruchtbar erweisen. Es war interessant, dass die meisten Europäer sich hinsichtlich einer Beibehaltung eines Hohen Beauftragten eher zurückhaltend zeigten, während sich die anwesenden Bosnier dafür aussprachen, in der derzeitigen schwierigen Situation zumindest noch für einige Zeit einen Hohen Beauftragten zu haben.

Chaos muss vermieden werden

Einig waren sich alle Vertreter in dem Punkt, dass es eine starke Stimme der Europäischen Union geben soll, die mit klar definierten Aufgaben und Zielsetzungen dem Land helfen muss, auf die Sprünge zu kommen und die notwendigen Reformen durchzuführen. Wie gesagt: Die Entwicklung im Kosovo kann in Bosnien-Herzegowina und auch in Mazedonien zu einer durchaus kritischen Situation führen. Und aus diesem Grund muss mit entsprechender Sorgfalt und Sensibilität vorgegangen werden, um keinen auch noch so kleinen Flächenbrand zu erzeugen.
Wir müssen außerdem die Kosovo-Albaner davon überzeugen, dass sie mit Geduld an die Sache herangehen müssen und dass sie selbst rasch und effektiv jene Schritte setzen müssen, die die Internationale Gemeinschaft letztendlich als Voraussetzung sieht, um zu einer Lösung in Richtung Unabhängigkeit zu kommen.

Wien, 10.2.2007