Effizientere Krisenfeuerwehr

Die europäische Politik kann bei der Stabilisierung am Balkan eine entscheidende Rolle spielen.
Heute Früh ging es zunächst zu einem Gespräch mit dem Vertreter der Europäischen Kommission in Kricma und dem portugiesischen Botschafter als Vertreter der Präsidentschaft. Danach besuchten wir Robert Barry, den Vorsitzenden der OSCE-Mission in Bosnien-Herzegowina. An diesem Treffen nahm auch zufällig Freimund Duwe, der Medienbeauftragte der OSCE, teil.

Regierungsbildung

Sie alle waren gedämpft optimistisch, dass sich die Lage in der Region heute besser darstellt als vor einigen Jahren, ja selbst noch vor einigen Monaten. Langsam beginnen die Vertreter Bosniens zu verstehen, dass es gilt, das Minimum an gemeinsamem Staat herzustellen und zu stärken. Es ist ihnen nach Monaten gelungen, einen Regierungschef zu bestellen, der nun eine Regierung bilden möchte, bei der es mehr Minister gibt als früher, nämlich sechs anstatt drei – neben einem Außenhandels-, einem Innen- und einem Justizminister wird künftig je ein Minister für das Budget, für europäische Angelegenheiten sowie für Flüchtlinge und Menschenrechte verantwortlich sein.
Diese Regierung wird sich hoffentlich nicht nur nach ethnischen Grundsätzen orientieren – obwohl in Zukunft der Vorsitz alle acht Monate an eine andere ethnische Gruppe übergehen soll -, sondern versuchen, auch eine gemeinsame Politik zu schaffen. Dazu wird es auch in Zukunft mehrere gemeinsame Wirtschaftsinstitutionen geben, etwa auch für die Energieversorgung, um so einige, wie man sich ausdrückte, neue Embryos neuer gemeinsamer Institutionen in diesem Staat zu schaffen.
Noch heuer im November sollen außerdem Wahlen stattfinden und man hofft auch dabei, dass sich ethnische Parteien, die zumindest vom Grundsatz her allen ethnischen Gruppen offen stehen und eine Zusammenarbeit in Bosnien als solches haben möchten, noch etwas stärker durchsetzen werden als zuletzt bei den Regionalwahlen.

Entscheidungsfindungen

Natürlich sahen alle das Problem, dass der zuständige Kommissar, also Wolfgang Petritsch, indem er Entscheidungen trifft, wenn sich die Anderen nicht einigen können – nämlich die eigentlichen Volksvertreter – ihnen damit auch vielfach die Notwendigkeit abnimmt, sich zu entscheiden, Kompromisse zu schließen und auch Kompromisse den eigenen ethnischen Gruppen gegenüber zu vertreten. Genau diese Frage stellte sich dann auch bei meinem Gespräch mit Wolfgang Petritsch, den ich, während die Anderen zum Mittagessen gingen, besuchte, da ich ja früher nach Brüssel fahren musste, um meinen Bericht im Verkehrsausschuss zu vertreten und bei der Abstimmung darüber auch dabei zu sein.
Wolfgang Petritsch kannte und sah das Problem und er meinte, er überlasse auch, soweit es irgendwie möglich sei, den Anderen die Entscheidung. Und er sei aufgefordert worden, doch die Entscheidung über den Premierminister selber zu treffen. Er habe sich aber geweigert, diese Entscheidung an die Vertreter der vielen verschiedenen ethnischen Gruppen zurückzugeben, wo sie ja auch eigentlich hingehört, bis sie sich dann endlich auf eine relativ unbekannte serbische Person geeinigt hatten.

Bosnien nach Dayton

Ich besprach mit Petritsch auch, inwieweit Dayton durchführbar ist und es inwieweit nicht die Schwäche des bosnischen Staates perpetuiert hat. Er meinte, die Absicht der anderen Gesprächspartner, jetzt an Dayton etwas zu ändern, durch vertragliche Änderungen oder durch Änderungen der Verfassung, sei seitens der bosnischen Vertreter selbst nicht machbar – damit würde man zu viel verlangen. Petritsch geht es vielmehr darum, Dayton so auszufüllen und auszunützen, um einen gemeinsamen Staat der Zusammenarbeit herzustellen. Natürlich gilt es immer wieder, Entscheidungen zu treffen, die die Modernisierung und Öffnung des Staates und gleichzeitig klare Verhältnisse schaffen.
So hat Petritsch beispielsweise gemeinsam mit Robert Barry durchgesetzt, dass in Zukunft Funktionäre der öffentlichen Wirtschaft nicht politisch kandidieren können, da dies zu einer unglücklichen Verknüpfung von Staat und Wirtschaft führen würde. Er hat ebenfalls durchgesetzt, dass in Zukunft Personen, die in Wohnungen eingezogen sind, die ihnen eigentlich nicht gehören, sondern die andere verlassen haben oder im Zuge des Krieges verlassen mussten, ebenfalls nicht auf den Wahllisten vertreten sein können und nicht kandidieren dürfen.
Mit solchen Schritten ist ein bisschen mehr Sauberkeit, Klarheit und Transparenz und vor allem positives Verhalten der Politiker erzwungen worden. Es ist noch nicht die volle Überzeugung da, aber man kann nicht zu viel auf einmal erwarten.

Wolfgang Petritsch – Mann des Friedens und der Kooperation

Obwohl Petritsch sehr erkältet war, machte er auf mich einen überzeugenden, überzeugten und sehr engagierten Eindruck und es ist klar, dass er weder vorzeitig resignieren noch internationalem oder nationalem Druck weichen wird. Ich bin sehr froh, dass dieser überzeugte Mann des Friedens und der Kooperation, der großes Verständnis für interethnische Probleme hat, auf diesem Posten sitzt. Und noch dazu ein Österreicher ist, einer jener aufrechten Demokraten, der unser Land auf beste Art und Weise vertritt.
Vor dem Gespräch mit Wolfgang Petritsch ging es aber noch zu jenen Organisationen, die bei der Räumung der Minen besonderes Engagement entfaltet haben. Denn auch mit Unterstützung der EU werden Tag für Tag Minen geräumt, Häuser und Felder minenfrei gemacht und damit eine der wichtigen Voraussetzung für die Rückkehr zu Normalität, wirtschaftlichem Wiederaufbau und politischer Toleranz geschaffen. Erst gestern wieder ist ein Mann getötet worden, und sogar in dieser Nacht kam ein Mann ums Leben, als er mit seiner Frau Heu auf seinem Feld eingesammelt hat. Das ist eigentlich unfassbar: Ein Bauer geht auf sein Feld, spät am Abend, um das Heu einzusammeln und ein paar Minuten später ist seine Frau Witwe, weil irgendwann vor Jahren ein verbrecherisches Regime veranlasst hat, dass Minen gelegt werden.

Todesgefahr auf Schritt und Tritt

Diese Personenminen sind genau deshalb so furchtbar, weil durch sie noch lange nach den kriegerischen Auseinandersetzungen Menschen getötet werden – Unschuldige, Zivilisten, Kinder. Erst vor wenigen Wochen wurden drei Kinder beim Spielen im Garten in die Luft gesprengt. Man kann und muss deshalb mit ganzem Herzen und voller Überzeugung dafür eintreten, dass die internationalen Gemeinschaft Organisationen beauftragt, sich an der Minenräumung zu beteiligen.
Vor wenigen Tagen präsentierte mir in Wien ein Vertreter einer österreichischen Firma ein neues, ferngesteuertes Minenräumgerät. Natürlich möchte er damit auch ins Geschäft kommen. Der Chef der Minenräumung hier in Bosnien hat mir seine Visitenkarte gegeben und durchaus seine Bereitschaft signalisiert, sich diese neue Entwicklung anzusehen und falls sie sinnvoll ist, sie ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis aufweist, sich auch zu bemühen, diesem Produkt einen Absatz zu schaffen.

Finanz-Umschichtungen

Wir wurden als Parlamentarier auf ein weiteres Problem aufmerksam gemacht. Die EU-Vertretung hier in Sarajevo braucht, obwohl Dank des uns durchgesetzten Konzepts der Dezentralität und der Dekonzentration in den letzten Monaten sehr viel an Projektaufgaben entschieden werden konnte, nicht zuletzt auch für die Rückkehr der Flüchtlinge Geld und ist bereits jetzt am Limit der Finanzierbarkeit angelangt. Die Kommission wäre sogar bereit, wieder neues Geld zur Verfügung zu stellen, aber das muss natürlich durch die Gremien des Europäischen Rates und des Europäischen Parlaments abgesegnet werden.
Als ich mir die Dokumente angesehen habe, habe ich wieder gesehen, dass es hier nur um Umschichtungen von Posten geht, die schon vor wenigen Tagen zur Kritik geführt haben, als es um die Umschichtung ging, um so zusätzliches Geld für Montenegro verfügbar zu machen.
Ich möchte mich hier keineswegs gegen die Umschichtung aussprechen, aber man muss sich doch die Dinge im Detail anschauen, wo und wie hier umgeschichtet wird und wie die Kommission es begründet, dass sie Projekte mit hohen Finanzansätzen vorschlägt und wenige Wochen oder Monate später diese selben Ansätze wieder drastisch reduziert und erneut Geld umschichtet.

Kommunikationsstörungen

Irgendetwas stimmt nicht mit dieser Vorgangsweise der Kommission und ich verstehe auch nicht, warum die Kommission nicht rechtzeitig uns, die wir in dieser Region unterwegs sind, informiert, sich nicht mit uns Parlamentariern sowohl aus dem Finanzausschuss also auch aus dem außenpolitischen Ausschuss berät, um eine Lösung herbeizuführen.
Das verstärkt leider mein Bild, dass wir zwar gute Kommissare haben, aber in der Bürokratie Menschen sitzen haben, die stur ihre Arbeit erledigen und überhaupt nicht fähig sind, in Kommunikation mit den politischen Instanzen zu treten – und das sind eben der Rat und das Parlament – und eine Lösung zu finden. Wir können ganz einfach, nicht nur weil die Balkanregion jetzt wichtig ist, Mittel, die für Lateinamerika oder den Mittelmeerraum zur Verfügung standen, streichen und umschichten. Zumindest nicht ohne klare Begründung, ohne Dialog und Kommunikation.
Genau das wäre aber doch mit Recht von der Kommission zu erwarten und ich hoffe, dass wir in den nächsten Tagen zu einem vernünftigen Gespräch kommen, um hier den dringenden Bedarf, sowohl in Montenegro als auch in Bosnien, erfüllen zu können, ohne an anderen Stellen Lücken aufzureißen und neue Spannungen innerhalb des Parlaments zu schaffen – zwischen denen, die am Balkan tätig sind und denen, die in anderen Regionen ebenfalls europäische Interessen zu vertreten haben.

Stabilisierung im eigenen Interesse

Wie gesagt, ich muss zurück nach Brüssel – über Zürich -, um mich der Tätigkeit in meinem zweiten Ausschuss zu widmen: Mein Bericht über die Eisenbahnreform steht morgen zur Diskussion. Dennoch war es für mich eine zwar verkürzte, aber trotzdem informative und wichtige Reise. Ich habe gesehen, wie wichtig auch unsere europäische Politik in der Stabilisierung dieser Region sein kann. Und zwar dann, wenn wir klare Richtlinien vertreten, wenn wir auch finanziell helfen können und wenn wir möglichst in einer einheitlichen Sprache sprechen.
Das ist die Voraussetzung dafür, dass wir so stark oder manchmal sogar noch stärker als die Vereinigten Staaten von Amerika sind. Und es ist ja schließlich unsere Nachbarschaft, unsere gemeinsame Region, die wir stabilisieren wollen bzw. der wir den Frieden bringen wollen. Denn das gehört zum Mensch sein, und es ist außerdem unser eigenes Interesse. 
Flughafen Sarajevo, 20. Juni 2000