Ein Land blüht auf

Das zukünftige Stabilisierungs- und Beziehungsabkommen Albaniens mit der Europäischen Union stellt nicht das Ende, sondern den Beginn eines Prozesses dar, in dem eine behutsame Annäherung an die EU erfolgt. 
Von Pristina aus sind wir mit einer alten Tupolev nach Tirana geflogen. In Tirana angekommen, war die Zeit der Bodygards vorbei.

Herausgeputzt

Ein strahlend blauer Himmel hat uns hier empfangen und man hatte fast das Gefühl, eine Urlaubsreise anzutreten. Auf der Fahrt in die Stadt hinein wurde dieser Eindruck noch unterstrichen. Sehr viele Häuser sind in bunten Farben frisch bemalt worden – ocker, gelb, rostbraun und blaue Farbtöne bestimmen das Strassenbild und vermitteln einen wirklich mediterranen Eindruck.
Die Straßen sind zudem viel sauberer, und die vielen Hütten und Buden, die früher kleine Verkaufsläden darstellten, sind verschwunden. Ein bisschen zu viel an Ordnung und Sauberkeit? Ich frage mich, wo die Menschen, die hier etwas verdienen konnten, jetzt arbeiten und wie sie zu ihrem Geld kommen.

Wahlnachlese

Was wir gesehen haben, machte aber jedenfalls insgesamt einen guten Eindruck auf uns und dementsprechend optimistisch war auch unsere Grundeinstellung. Der Zweck unseres Aufenthaltes in Tirana war die formelle Sitzung mit unseren KollegInnen aus dem albanischen Parlament. Während es in Pristina vor allem darum gegangen war, am Vorabend der Wahlen die Verhältnisse zu beobachten, ging es uns in Albanien darum, nicht zuletzt auch die Streitigkeiten, die während der vergangenen Wahlen im Sommer stattgefunden hatten, in den Gesprächen mit den verschiedenen albanischen Vertretern aufzuklären.
Da die demokratische Partei PDS, die jetzt Allianz für den Sieg heißt, aufgrund angeblicher Wahlfälschungen an den Sitzungen des Parlaments aus Protest nicht teilnimmt, haben wir die albanischen Sozialisten, die den Parlamentspräsidenten stellen, gebeten, die Vertreter der Opposition für dieses Treffen einzuladen. Und sie sind auch tatsächlich gekommen.

Änderung des Wahlgesetzes

Gerade als wir in Tirana eintrafen, wurde der IHR-Bericht, jenes für die Wahlen zuständigen Instituts der OSCE, veröffentlicht. Zentrale Aussage dieses Berichts ist, dass es zu einer Reihe von Unregelmäßigkeiten sowie einem nicht sehr demokratischen Auslegen und Ausnützen des bestehenden Gesetzes gekommen ist und in diesem Zusammenhang die Opposition um einige Abgeordnete geprellt wurde.
Allerdings sah die IHR keine Veranlassung, die Wahlen zu wiederholen oder in einigen Sprengeln Neuwahlen abzuhalten, da man nach ihrer Einschätzung ohnedies davon ausgehen müsse, dass durch die bestehende Gesetzeslage die gleichen Tricks angewendet werden könnten. Stattdessen wurde empfohlen, das Wahlgesetz entsprechend zu ändern, und zwar durch eine gemeinsame Kommission mit Vertretern der Regierung und der Opposition, die entsprechende Vorschläge ausarbeiten soll.

Streitgefechte zwischen Regierung und Opposition

Genau diesen Vorschlag haben wir aufgegriffen und gegenüber den Parlamentariern, aber auch gegenüber der Presse, eine entsprechende Empfehlung abgegeben. Es ist sehr traurig, dass man sich in diesem Land, das ganz andere Probleme, vor allem den wirtschaftlichen Aufbau oder den Kampf gegen die Korruption hat, nach wie vor Streitgefechte zwischen Regierung und Opposition an Nebenfronten liefert.
Auf der einen Seite steht eine Opposition, die nicht an den Parlamentssitzungen teilnimmt und die, wenn sie von der sozialdemokratischen bzw. sozialistischen Partei spricht, diese immer nur als Kommunisten bezeichnet. Und auf der anderen Seite steht eine Regierungsmehrheit aus Sozialisten und mehreren kleineren Parteien, die versucht, über das normale Maß hinaus möglichst viele Abgeordnete im Parlament zu bekommen, um einen allein entscheidenden Einfluss auf die Wahl des neuen Staatspräsidenten zu haben.
In diesem Zusammenhang haben die Albaner, leider gemeinsam mit internationalen Experten, eine sehr eigenartige Regel gefunden: das Parlament wird, wenn man sich nicht auf einen Präsidenten einigt, aufgelöst. Eine Voraussetzung, die eher zur Instabilität als zur Stabilität beitragen würde…
Wie üblich bei solchen Treffen gab es gemeinsam mit den albanischen KollegInnen auf Einladung des albanischen Parlamentspräsidenten ein Arbeitsessen, das einmal mehr bewiesen hat, dass es gerade in den armen Ländern eine nach wie vor sehr gute Qualität an Speisen gibt. Das Fleisch, der Fisch, das Gemüse, schmecken, wenn es sich weniger um agro-industrielle Massenproduktion handelt, wirklich nach dem, als was es bezeichnet wird.

Prekäre Energiesituation

Am kommenden Tag fand im Hotel Rogner, wo wir während unseres Aufenthaltes auch wohnten, ein Frühstück mit dem nach wie vor jungen Ministerpräsidenten Ilir Meta statt. Das Thema Wahlen stand auch hier im Vordergrund der Diskussion. Aber ich habe schliesslich das Gespräch auch auf die wirtschaftliche Situation, insbesondere die Energiesituation, hingelenkt, nach dem ich erfahren hatte, dass es immer wieder zu Stromabspaltungen kommt. Es steht ausser Frage, dass, wenn so etwas passiert, der Anreiz für Investoren nicht sehr groß sein wird.
Ilir Meta war sich bewusst, dass es sich um ein dringend zu lösendes Problem handelt. Es gilt, möglichst bald eine zusätzliche Kapazität an Wasserkraft, aber vor allem auch an thermischer Kraft sicherzustellen. Auf Dauer kann es einfach nicht funktionieren, dass man immer nur Strom aus dem Ausland bezieht, wenn es zu einer Versorgungslücke kommt. Wir haben die selbe Problematik zum Teil in Mazedonien, aber vor allem auch im Kosovo kennen gelernt.

Energiekooperation und Aufbau eines gemeinsamen Netzes

In dieser Frage hat sich meine und unser aller Meinung bestätigt, dass gerade die Frage der Energie und der Energieversorgung eine für die ganze Region gemeinsam zu erledigende Angelegenheit ist. Es müssen entsprechende Massnahmen der Energiekooperation, des Ausbaues eines gemeinsamen Energienetzes und der entsprechenden Anschlüsse sowie Verbindungen insgesamt mit dem Europäischen Energienetz getroffen werden, um jene Versorgung sicherzustellen, die eine Grundlage für den wirtschaftlichen Aufbau der Region darstellt.
Nach dem ausführlichen und interessanten Gespräch mit dem Ministerpräsidenten Albaniens ging es zurück in die Sitzung mit den Parlamentariern, wo wir weitere Fragen der Sicherheit, des Wirtschaftsaufbaus und der Korruptionsbekämpfung besprochen haben.

Stabilisierungs- und Beziehungsabkommen mit der EU

Auch das zukünftige Stabilisierungs- und Beziehungsabkommen mit der Europäischen Union war ein Thema. Ich habe versucht, deutlich zu machen, worum es dabei geht: Ein solches Abkommen mit der Europäischen Union stellt nicht das Ende, sondern eher den Beginn eines Prozesses dar, in dem langsame Schritte einer Annäherung an die Europäische Union erfolgen. Insbesondere im wirtschaftlichen Bereich, aber auch bei der Verwirklichung einer Gesellschaft des Rechtes und der Freiheit sowie parallel dazu die Kooperation mit den Nachbarn müssen unbedingt ausgebaut werden.
Die nachfolgenden Diskussionen darüber waren sehr, sehr positiv. Es ist eigentlich zum ersten Mal inhaltlich und im Dialog gesprochen worden – ein durchaus positives Zeichen!
Als wir zu Mittag unser Hotel verließen und zum Flughafen fuhren, begegnete ich der neuen Außenministerin, die ich schon aus früherer Zeit kenne. Sie war internationale Sekretärin der sozialistischen Partei. Sie beherrscht mehrere Sprachen, hat viele internationale Kontakte und ich nehme an, dass sie ihre Arbeit gut macht. Sie hat kürzlich den bisherigen Außenminister Paskal Milo abgelöst, der Integrationsminister geworden ist. Wenn die Beiden ihre Arbeit gut aufteilen würden, könnte dieses Team für die Annäherung Albaniens an die Europäische Union durchaus eine hervorragende Leistung erbringen. Ich hoffe, dass sie sich nicht in Kompetenzstreitigkeiten ergehen, sondern gemeinsame Ziele formulieren und umsetzen können.

Gehen, um wieder zu kommen

Die Außenministerin hat mich jedenfalls eingeladen, sie das nächste Mal ebenfalls zu besuchen und ein ausführlicheres Gespräch mit ihr zu führen. Ich möchte diese Angebot gerne wahrnehmen, nachdem ich mit ihrem Nachfolger, dem neuen internationalen Sekretär der Sozialdemokratie, am Rande unserer gemeinsamen parlamentarischen Sitzung eine Kooperation vereinbart habe, um auch ihn in das europäische, politische Geschäft „einzuführen“ und ihm bei seiner Arbeit entsprechende Unterstützung zu geben.
Waren wir vor wenigen Tagen in Mazedonien noch relativ skeptisch und pessimistisch, so waren die vergangenen Tage im Kosovo und in Albanien doch von einer größeren Zuversicht geprägt. Ungern verließ ich an einem herrlichen „Sommer“tag Anfang Oktober Tirana. Ich hätte mich noch gerne umgesehen und auch ein bisschen erholt. Aber zwischenzeitlich möchte ich doch auch ein bisschen Zeit in Wien verbringen, denn auch in meiner Heimatstadt warten verschiedene politische Aufgaben auf mich.  
Tirana, 11.10.2001