Ein Land im Beobachterstatus

Wenngleich die österreichische Regierung weiterhin an Vorbereitungen für die Volksbefragung festhält, ist zu hoffen, dass sich in den nächsten Monaten die aufgeheizte Stimmung und die Lage insgesamt beruhigen werden.
Frankreich hat es geschafft: Erst einen Tag nach Beginn der französischen Präsidentschaft feiert das Land einen wahren Triumph. Allerdings nicht in der Politik, sondern im Fußball: Frankreich ist Europameister geworden.
Und Österreich, eigentlich ein österreichischer Schiedsrichter, hat den Franzosen dabei geholfen. Nicht beim eigentlichen Endspiel, aber im Match gegen Portugal. Die Portugiesen haben uns das übel genommen. Es hat viele Kommentare gegen uns gegeben, die dahinter einen Racheakt gegen die portugiesische Präsidentschaft, die die Maßnahmen gegen Österreich verkündet und in Gang gesetzt hat, vermuteten.

Der Fussball und die Massnahmen

Meinen Gesprächspartnern gegenüber habe ich immer wieder betont, dass dies nichts mit Politik zu tun hat. Denn wahrscheinlich ist die Stimmung gegen Frankreich, da dieses Land doch die führende Kraft bei den Maßnahmen gegen Österreich war, eher negativ als die Stimmung als gegen Portugal.
Auch die Vorwürfe manchen portugiesischen Medien gegenüber, dass Guterres durch seine Haltung gegenüber Österreich mit Schuld trage an der Niederlage Portugals, ist sicherlich Unsinn. Aber man sieht, dass der Fall Österreich, die Causa Prima, die Maßnahmen gegenüber Österreich, in der Neusprache der Regierung die Sanktionen gegenüber Österreich genannt, selbst im Sport eine Rolle spielen – obwohl mittlerweile die Lage ein bisschen entspannt ist. Der Vorschlag von Gueterres, Beobachter zu nominieren, die für den Präsidenten des europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte die Lage in Österreich analysieren und Bericht erstatten, ist dankenswerter Weise von Bundeskanzler Schüssel angenommen worden. Immerhin!

Beobachterstatus

Diese Nachricht bekam ich, als Jospin gerade seine Bemerkungen beim Vorstand der Sozialdemokratie während unseres Besuches in Paris angebracht hat. Für mich war es eine Freude zu hören, dass vielleicht ein kleiner Schritt gemacht wurde, um die Dinge zu beruhigen. Das Riess-Passer und natürlich Haider verkündet hatten, mit diesem Vorschlag nicht einverstanden zu sein, wundert mich nicht. Mich hat vielmehr ein bisschen erstaunt, dass Schüssel dem Vorschlag zugestimmt hat. Aber wahrscheinlich ist auch in ihm die Sehnsucht groß, aus diesem Schlamassel herauszukommen.
Wenngleich diese Regierung weiterhin an Vorbereitungen für die Volksbefragung festhält, so hoffe ich doch, dass sich in den nächsten Monaten die aufgeheizte Stimmung und die Lage insgesamt etwas beruhigen werden. Es ist ja nicht so, dass in Österreich alles gut läuft. Abgesehen von den innenpolitischen Themen – Pensionsreform, Streik im öffentlichen Sektor hinsichtlich Gehalt und Arbeitszeit – gibt es immer wieder Vorfälle, die zur Beunruhigung Anlass geben. Vorfälle wie beispielsweise das Hinausdrängen von Anton Pelinka aus der Vertretung Österreichs bei der Beobachtungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, jener EU-Institution, die hier in Wien ihren Sitz hat.

Gefahr für die Demokratie

Verschiedene Überlegungen und Gesetzesvorhaben hinsichtlich des Eingriffes in die Privatsphäre, um den Kampf gegen die Kriminalität zu führen, wiederum zeigen, dass diese Regierung und ihr Justizminister ein Problem für die Demokratie, wie wir sie heute verstehen, sind. Das belegt auch die Tatsache, dass der Justizminister als ehemaliger Anwalt von Haider nach wie vor, zumindest über seine Kanzlei, auch parteiisch im Justizwesen mitmischt.
Jene Persönlichkeiten, die vom Präsidenten des Menschengerichtshofes ausgesucht werden, um die Lage in Österreich zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen, insbesondere auch hinsichtlich des Verhaltens der FPÖ, werden aus meiner Sicht gerade auch jene Vermischung und Verquickung von Politik und Justiz untersuchen müssen, die für mich der Justizminister repräsentiert.

Es ist aus meiner Sicht nicht angenehm, dass Österreich sich einer solchen Analyse bzw. Beobachtung oder, wie eine weit verbreitete Zeitung unseres Landes gemeint hat, einer solchen Bespitzelung, unterziehen muss. Ich wäre jedenfalls froh, könnte in der europapolitischen Entwicklung die Teilnahme Österreichs an diesem Prozess doch etwas getrennt gesehen werden von den innenpolitischen Querelen. Das würde der Qualität nicht nur der Europapolitik, sondern auch der innenpolitischen Auseinandersetzung sehr dienlich sein.

Kampf gegen den Rechtspopulismus

Der Kampf und die Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus gehen jedenfalls weiter, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa. Wir haben dieses Thema erst vergangenen Montag bei einer Tagung der Europäischen Sozialdemokraten in Bern diskutiert, denn das ist natürlich eine Frage, die auch die Schweizer Partei interessiert, die sehr intensiv nach einem Ausweg sucht, wie man diesen Rechtspopulismus bekämpfen kann.
Es ist vor diesem Hintergrund schon ein ungeheurer Spagat, der von der österreichischen Regierung versucht wird: Einerseits möchten Schüssel und Ferrero-Waldner konstruktive Europapolitik betreiben und andererseits haben sie einen Klotz am Bein, der mit Euroopapolitik nichts am Hut hat, sondern einfach emotionalisieren möchte und an einer Volksbefragung festhält. Und sogar glaubt, die Drohung mit der Volksbefragung, die Drohung mit Klagen gegenüber der EU, hätten geholfen.

Missachtung des europäischen Standards

Genau das ist es, was mich am meisten bedenklich stimmt: Diese Art, den europäischen Standard, der darin besteht, die Probleme gemeinsam zu diskutieren und am Verhandlungstisch um Lösungen zu ringen, zu missachten. Ich habe darüber erst gestern Abend in Tirana mit dem stellvertretenden Ministerpräsident aus Schweden gesprochen, der einer der Vorsitzenden der Konferenz in Albanien war. Für uns beide ist die Diskussion um Österreich von großem Wert, da sie gezeigt hat, dass Europa nicht nur eine Frage der Wirtschaft, des gemeinsamen Marktes ist, sondern eine Frage der politischen Inhalte und Werte.
Und für uns beide stellt sich die Diskussion um Österreich doch als eine Diskussion darüber dar, wie Regierungen, die ihre Völker vertreten, an diesem Prozess teilnehmen – ob mit Drohgebärden, mit fremdenfeindlichen Äußerungen, mit Beschimpfungen der Partner und deren Regierungen oder Staatsoberhäupter. Oder ob bei aller Interessenvertretung und Wahrung der eigenen Standpunkte doch versucht wird, Schritt für Schritt eine europäische Gesinnung aufzubauen. Und das wird in Österreich vielfach nicht verstanden.

Minderwertigkeitskomplexe

Aus einem Minderwertigkeitskomplex heraus versuchen viele Stärke zu zeigen und zeigen sich erst recht schwach. Das Demonstrieren des Verkehrsministers am Brenner, das halbstarke Herumschreien eines Haiders, aber auch die in Relation dazu relativ gemäßigten Töne, die aus manchen Kreisen der ÖVP kommen – das alles ist nicht das, was die ÖVP noch vor kurzer Zeit vertreten hat, eine doch zutiefst pro-europäische Gesinnung, ein Interesse am Aufbau gemeinsamer Institutionen, ein Interesse, Österreich als gewichtigen, konstruktiven Partner in der EU darzustellen und ins Spiel zu bringen.
Ich würde mir wünschen, dass wir bald wieder in diese Rolle und nicht mehr aus der Rolle fallen. 
Wien, 3. Juli 2000