Ein Schritt vor, zwei zurück

Aserbaidschan sollte die positive wirtschaftliche Entwicklung stärker dazu nützen, um auch die demokratische Entwicklung im Land voranzutreiben.
Diese Woche fand in Baku, der Hauptstadt von Aserbaidschan, das achte Treffen des gemischten parlamentarischen Ausschusses des Europäischen Parlaments und des Parlaments der Republik Aserbaidschan statt.

Schlüsselrolle bei Erdöl und Erdgas

Aserbaidschan ist ein nicht unwichtiges Land in den Beziehungen zu Europa, ist es doch ein Energielieferant – derzeit von Erdöl, in Zukunft in verstärktem Ausmaß auch von Erdgas. Es ist damit auch das Ursprungsland bzw. der Beginn der geplanten Nabucco-Pipeline.
Aserbaidschan kommt darüber hinaus aber auch eine Schlüsselrolle für Erdöl und vor allem Ergaslieferungen von Regionen jenseits der Kaspischen See, insbesondere aus Kasachstan und Turkmenistan, zu. Hier besteht das Problem, dass die Kaspische See zwar einerseits ein Reservoir für Energie ist, dass sie aber andererseits zuerst für Energielieferungen jenseits der Kaspischen See überwunden werden muss, um in der Folge die Energie in die Erdöl- und Erdgasleitungen, die in Aserbaidschan ihren Ursprung haben, einzuspeisen.

Schmerzhafter Zustand

Neben der Energiefrage spielt zweifellos der Kontext des Islam in dieser Region eine zentrale Rolle. Aserbaidschan ist ein betont laizistisches und ein schiites Land. Aber es handelt sich um einen anderen Schiismus als er im Iran angewandt oder besser gesagt von den religiösen Führern des Irans verordnet wird. Aserbaidschan ist zudem in den Konflikt Armeniens mit Nagorno Karabach involviert. Es handelt sich dabei um ein Gebiet, das vornehmlich von Armeniern bewohnt war, zwischenzeitlich Aserbaidschan zugeschlagen wurde, allerdings nach dem Zerfall der Sowjetunion von Armenien besetzt worden ist. Diese Besetzung und Vertreibung der ansässigen Bevölkerung durch Armenien umfasst auch die angrenzenden Gebiete.
Es ist nicht nur ein Unrecht, was hier geschieht, sondern auch ein schmerzhafter Zustand für Aserbaidschan, der aller Wahrscheinlichkeit nach von den politischen Kräften ausgenützt wird, um im Land selbst ein System aufrecht zu erhalten, das nur sehr schwer als Demokratie bezeichnet werden kann – auch wenn es Wahlen gibt. Aserbaidschan ist ein Fall jener autoritären kapitalistischen Systeme, die zwar Privatwirtschaft zulassen, wo diese Privatwirtschaft allerdings extrem monopolisiert bzw. oligopolisiert und eng mit den politischen Kräften des Landes verbunden ist. Angesichts des Erdöl- und Erdgasreichtums ist sie zudem eng mit den aus Erdöl und Erdgas resultierenden Einkommen verknüpft.

Cultural heritage in Baku

Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans, kann sich durchaus sehen lassen und ist aufgrund verschiedener öffentlicher Investitionen in der jüngsten Zeit noch attraktiver geworden. Die Stadt verfügt zum einen über einen historischen Stadtkern, der in erster Linie aus der osmanischen Besetzung früherer Zeiten herrührt. Zum anderen finden sich unzählige Bauten aus der Gründerzeit, als vor etwas mehr als 100 Jahren der Erdölboom Aserbaidschan „heimgesucht“ hat. Aber auch viele moderne Bauten prägen das Stadtbild, auch wenn sie nicht unbedingt an jene architektonische Qualität heranreichen, die die türkischen wie die Gründerzeitbauten auszeichnen.
Es wird viel renoviert und man bemüht sich, das „cultural heritage“, also das kulturelle und architektonische Erbe zu bewahren und zu pflegen. Hinsichtlich der Eigentumsverhältnisse dürfte auch in diesem Fall die „Familie“ des Präsidenten, im weiteren wie im engeren Sinn, zuschlagen – jedenfalls äußern die NGOs des Landes in dieser Hinsicht massive Kritik.

Negative Bestandsaufnahme

Ich bin schon einen Tag vor dem offiziellen Beginn der gemischten parlamentarischen Sitzung nach Baku gereist, um gestern zwei herausragende Vertreter solcher NGOs zu treffen. Sie haben mir eine politische Analyse des Landes gegeben, die sich als äußerst wertvoll für die danach stattfindenden Diskussionen erweisen sollte. Ich hatte die beiden schon im vergangenen Jahr kennengelernt, als ich mit meinem Kollegen Jan Marinus Wiersma in Aserbaidschan gewesen bin und war sehr froh, sie auch diesmal wiederzusehen.
Ihre Analyse fiel insgesamt sehr negativ aus. Es hat sich inzwischen nichts zum Positiven verändert, die Regierung von Präsident Alijew hat sich gefestigt. Sie gibt sich zwar moderner und die ParlamentarierInnen fungieren nicht als Sprachrohr einer kommunistischen Partei, wie das in der Sowjetunion der Fall gewesen ist. Sie sind vielmehr das Sprachrohr ihrer persönlichen Interessen im wirtschaftlichen Bereich. Selbst die zahlreichen unabhängigen Abgeordneten vertreten im Wesentlichen eine gemeinsame politische Linie, und das ist der autoritäre Kapitalismus privater Investitionen. Es fließt zwar viel Geld aus den Erdöleinnahmen in die Infrastruktur. Durch die Tatsache, dass die Bauwirtschaft nicht mehr mithalten kann, steigen die Preise aber ins Unermessliche. Diese Preissteigerungen kommen in erster Linie den verschiedenen Clans zugute, die an der Bauwirtschaft beteiligt sind.

Mitläufer-Opposition

Viel zu wenig wird in die Diversifizierung der Wirtschaft, in die Schaffung neuer und moderner Jobs und damit in die Schaffung einer Mittelklasse investiert. Demokratische Opposition ist so gut wie nicht vorhanden. Sie ist grossteils in die gesamte Maschinerie bzw. das System eingebunden. Das trifft auch für den Medienbereich zu, bei dem es zu massivem Druck kommt, wenn die Berichterstattung zu kritisch ausfällt – etliche JournalistInnen sind in Gefängnissen inhaftiert.
Vor diesem Hintergrund erwartet man sich von den ohnehin kaum vorhandenen Erneuerungsprozessen wenig. Und den NGOs ist auch bewusst, dass ihre Kritik und ihre Suche nach Demokratie keinen großen Widerhall in der Öffentlichkeit haben.

Virtueller Zugang

Die NGO-Vertreter äußerten natürlich auch Kritik an Europa, das ausschließlich an der Energie interessiert sei. Ich versuchte einmal mehr klarzustellen, dass das zweifellos stimme, weil es außerhalb der EU kaum wirklich demokratische Länder gibt, aus denen wir Energie beziehen können. Weder Algerien noch Saudi-Arabien, weder der Iran noch Russland stehen als Prototypen für demokratische Entwicklungen und Zustände. In Bezug auf diese Länder sind die gegebenen Verhältnisse in Aserbaidschan geradezu positiv.
Es geht aber auch gar nicht darum, Energie gegen Demokratie abzutauschen. Dabei handelt es sich um eine einigermaßen virtuelle Darstellung der Verhältnisse. Demokratie kann nicht über Pipelines geliefert werden, wie es die NGO-Vertreter forderten, und ein solches Wunschdenken kann nicht von Europa aus gesteuert werden. Man könnte diesen Prozess mit Gewalt und unter Einsatz des Militärs in Gang bringen, wie es die USA tun. Aber gerade das Beispiel des Irak zeigt leider mehr als deutlich, dass eine solches Vorgehen zu Bürgerkrieg, unzähligen Toten, zu Verwüstung und Zerstörung führt und keinesfalls zu Demokratie.

Halbherzige Lippenbekenntnisse

Ähnlich kritisch haben sich auch die in Aserbaidschan stationierten EU-Botschafter, die wir heute getroffen haben, geäußert. Substantielle und konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich ihrer Forderungen an die EU, die Demokratie im Lande stärker einzumahnen, waren allerdings nur spärlich zu vernehmen. Es ist kein angenehmes Gefühl, sich in einem Land zu befinden, in dem einerseits der wirtschaftliche Wohlstand augenscheinlich voranschreitet, in dem aber andererseits beim Demokratisierungsprozess keine entscheidenden Schritten nach vorne, ja manchmal eher zurück getan werden.
Der Mangel an demokratischen Verhältnissen stand auch im Mittelpunkt vieler Gespräche, die wir mit den ParlamentarierInnen geführt haben. Einige besonders kritische Bemerkungen wurden sogar in eine von uns gemeinsam verfasste Resolution aufgenommen. Trotzdem nimmt den KollegInnen niemand wirklich ab, dass ihnen die Demokratie, die Freiheit der Medien und die freie Bewegung und Entfaltung der NGOs tatsächlich am Herzen liegen.

Bei Präsident Alijew

Auch bei unserem Besuch beim Präsidenten, der uns zu einem äußerst offenen und sehr ausführlichen Gespräch eingeladen hatte, haben wir angemerkt, dass man die wirtschaftliche Entwicklung stärker dazu nützen sollte, um auch die demokratische Entwicklung im Land voranzutreiben. Präsident Alijew hat uns entgegengehalten, dass sich Aserbaidschan in einer sehr schwierigen Umgebung befinde. Das Land grenze an den Iran – über die demokratische Situation dort brauche man nicht viel zu sagen. Es grenze an Russland, das entsprechenden Druck ausübe und dessen demokratische Entwicklung ebenfalls bekannt sei.
Es gäbe außerdem islamistische Strömungen, aus dem Iran ebenso wie aus Saudi-Arabien. Auch auf die angrenzenden Regionen Tschetschenien oder Dagestan träfe dies zu. Zusätzlich bestünde der Konflikt mit Armenien, das in hohem Ausmaß von Russland unterstützt werde. Vor diesem Hintergrund sei die Bewegungsfreiheit Aserbaidschan äußerst beschränkt.

Die Last der Geschichte

In der derzeitigen frühen Stufe einer beginnenden Entwicklung wäre es gar nicht möglich, das demokratische Niveau unserer europäischen Länder zu erreichen. Und auch die leidvolle Geschichte Aserbaidschans während des Kommunismus und der Sowjetunion könne nicht so einfach weggewischt werden.
Präsident Alijew hat dabei allerdings vergessen zu erwähnen, dass sein Vater, der Staatsgründer des neuen Aserbaidschan, über Jahre und Jahrzehnte einer der führenden Köpfe der kommunistischen Sowjetunion gewesen ist und in dieser Funktion nicht nur den Kommunismus, sondern auch die Sowjetunion im eigenen Land vertreten hat.

Clan-Herrschaft und Korruption

Trotz all dieser Ausführungen bleibt das Problem bestehen, dass Aserbaidschan zu wenig unternimmt, um parallel zum wirtschaftlichen Aufschwung demokratische Entwicklungen zu fördern. Die Herrschaft der Clans und die damit verbundene Korruption hinsichtlich der Staatseinnahmen parallel und durch die Investitionen insbesondere in den Infrastruktur- und Bausektor führen eher zu Schritten zurück als nach vorne. Und genau das ist extrem schade für dieses im Grundsatz sympathische Land mit seinen sympathischen BewohnerInnen.

Baku, 13.9.2007