Ein Volk, zwei Staaten

Die Vergangenheit der gemischten Strukturen zwischen türkischer und griechisch-zypriotischer Bevölkerung ist auch im Süd-Westen der Insel ablesbar. Umso trauriger ist es, dass dieser Vergangenheit keine lebendige Gegenwart und Zukunft entspricht.
Den zweiten Teil unseres Osterurlaubs verbrachten wir in der Nähe von Limassol. Limassol hat durch den bereits erwähnten Rückgang der regen Tätigkeit des Hafens Famagusta an Bedeutung gewonnen.

Russische Einflüsse

In dieser Stadt kommt eine starke russische Komponente zum Tragen. Zypern pflegt seit langem gute Beziehungen zur Ukraine, aber auch zu Russland. In den Restaurants sieht und hört man oft Russen, es gibt russische Geschäfte, vor allem in Limassol mit den entsprechenden Hafendienstleistungen und internationalen Seeverbindungen.
Von Limassol ausgehend besuchten wir auch Paphos, eine moderne Stadt mit viel Tourismus. Auch dort existiert noch ein altes türkisches Viertel, das eine Moschee beherbergt, die gerade restauriert wird.

Vergangenheit ohne Gegenwart und Zukunft

Die türkischen Viertel haben heute allerdings an Bedeutung verloren. Das zeigt sich besonders deutlich in Limassol – das Zentrum ist nahezu verfallen, wenngleich es eine Moschee gibt, die noch in Betrieb zu sein scheint.
Die Vergangenheit der gemischten Strukturen zwischen türkischer und griechisch-zypriotischer Bevölkerung ist so gesehen auch im Süd-Westen der Insel ablesbar. Umso trauriger ist es, dass dieser Vergangenheit keine lebendige Gegenwart und Zukunft entspricht.

Langsame Vermischung?

In Limassol traf ich einen Kollegen und Freund aus dem Europäischen Parlament, der uns erklärte, dass ein Gericht entschieden habe, dass dem Anspruch eines türkischen Zyprioten auf dessen Haus in Limassol vom Gericht entsprochen wurde. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass es doch wieder zu einer langsamen Vermischung kommen könnte.
Allerdings müssen auf diesem Weg noch extrem schwierige Probleme gelöst werden. Letztendlich kann der griechisch-zypriotische Teil verlangen, dass die gleichen Maßnahmen auch im Norden gesetzt werden. Im Norden wurden aber weit mehr Häuser durch türkische Zyprioten bzw. durch eingewanderte Türken aus Anatolien besetzt. Vor diesem Hintergrund ist es für die Verwaltung des Nordens besonders schwierig, die unzähligen Häuser, die die griechischen Zyprioten verlassen haben bzw. bei der Teilung der Insel verlassen mussten, den ursprünglichen BewohnerInnen zurückzugeben. Wohin sollten dann all jene Türken gehen, die in den vergangenen Jahren aus Anatolien zugewandert sind – zweifellos mit der Absicht, die türkische Gemeinschaft auf Zypern zu stärken?

Zuwanderer aus Anatolien

Es wird immer wieder betont, dass die Probleme nicht zwischen den Zyprioten türkischer und griechischer Herkunft bestehen, sondern sich vielmehr aufgrund der starken Zuwanderung aus der Türkei in den vergangenen Jahren ergeben haben.
Innerhalb des türkisch-zypriotischen Teils ist es zu einer Verlagerung gekommen. Viele türkischen Zyprioten haben die offizielle zypriotische Staatsbürgerschaft angenommen und das Land verlassen. Im Gegenzug sind Türken aus Anatolien nach Zypern zugewandert. Auf diese Weise hat sich im türkisch-zypriotischen Teil eine neue Bevölkerungszusammensetzung ergeben. Jenen Bevölkerungsteilen, die die gemeinsame Geschichte gar nicht erlebt haben, wurde nun ein größeres Gewicht verliehen.

Keine Bindung

Im griechisch-zypriotischen Teil hat sich aufgrund dieser Entwicklungen Widerstand gegen die Vereinigung Zyperns gebildet. Es handelt sich aus deren Sicht inzwischen nicht mehr um eine Vereinigung mit den ursprünglichen Bevölkerungsschichten, sondern mit Menschen, die mit der Geschichte des Landes und auch mit der Erfahrung des guten Zusammenlebens in der Vergangenheit nicht verbunden sind.
In diesem Zusammenhang war interessant, dass mir der Bürgermeister von Nicosia-Süd erklärt hat, dass die genetische Zusammensetzung der griechischsprachigen und der türkischsprachigen Bevölkerung auf Zypern völlig identisch ist. Im Unterschied dazu ist sie zur griechischen wie auch türkischen Bevölkerung in ihren Stammländern völlig konträr. In diesem Sinn sind die Zyprioten von der genetischen Struktur her ein eigenes gemeinsames Volk, während die Türken und die Griechen sich deutlich von ihnen unterscheiden.

Genetische Zusammensetzung

Ob die genetische Zusammensetzung dazu führten, dass die beiden Bevölkerungsteile wieder stärker aneinanderrücken, kann ich nicht beurteilen. Es wäre allerdings absolut notwendig und wichtig, die schändliche Trennung, die sich quer über die Insel und quer durch Nicosia zieht, endlich zu beseitigen und ein gemeinsames Zypern, das auf alle Bevölkerungsteile Rücksicht nimmt, in die Europäische Union aufzunehmen.
Wir brauchen zudem eine zweifellos komplizierte, aber letztendlich trag- und umsetzungsfähige Entscheidungsstruktur innerhalb der Insel, die die türkischsprachige Bevölkerung nicht als Minderheit ansieht, sondern als ein konstitutives, staatsbegründendes Volk.

Moslemisches Heiligtum

Zum Abschluß unseres Aufenthaltes auf Zypern besuchten wir ein Heiligtum für Muslime. Eine Tante von Mohammed ist auf Zypern bei der Moschee Hala Sultan Tekke begraben. Die Moschee liegt an einem See in der Nähe des Flughafens und befindet sich in einem äußerst guten Zustand.
Der amtierende Präsident und ehemalige Ministerpräsident der sogenannten nordzypriotischen Republik, Mehmet Ali Talat, erzählte mir einmal, dass er selbst immer wieder dieses Heiligtum besucht. Auch wenn Talat kein besonders religiöser Mensch ist, hat dieses Heiligtum für ihn wie für die Muslime insgesamt – insbesondere für jene, die auf Zypern leben – eine sehr große Bedeutung.

Limassol, 15.4.2006