Ein Wiedersehen mit Oskar

Ein inspirierendes Zusammentreffen mit Oskar Lafontaine auf einem europapolitischen Kongreß der Schweizer Sozialdemokraten zwei Wochen vor den Schweizer Parlamentswahlen.
Die Schweizer Sozialdemokraten haben mich zwei Wochen vor den Parlamentswahlen zu einem europapolitischen Kongreß eingeladen. Ich sollte zur aktuellen Situation der EU und den kommenden Vorhaben sprechen.
Die Schweizer SP ist ja die europafreundlichste Partei in der Schweiz – sie ist nicht nur für die soeben im Schweizer Parlament beschlossenen Verträge mit der EU massiv eingetreten, sondern befürwortet auch einen Beitritt der Schweiz in die EU. Ich habe also nicht viel Überzeugungskraft gebraucht, um die Sinnhaftigkeit der EU darzustellen. Was ich vor allem zu vermitteln versuchte, war die Notwendigkeit, die EU als ein Instrument der Gestaltung zu verwenden. Denn der uns alle treffende Prozeß der Internationalisierung und Globalisierung kann nicht verhindert werden, aber er kann durch wirtschaftlich und politisch kräftige Marktteilnehmer beeinflußt werden. Und wenn die EU dabei nicht mitspielt, werden die USA allein die ausschlaggebende Rolle spielen.
Gerade angesichts der kommenden Verhandlungen in den Welthandelsorgansiationen ist es wichtig, das zu betonen. Wie, wann und unter welchen Bedingungen die weiteren Schritte der Liberalisierung im Handel gesetzt werden, das kann von Europa, wenn es mit einer Stimme spricht, wesentlich beeinflußt werden. Darüber wird im EU-Parlament auch bereits heftigst diskutiert, wobei die Franzosen besonders aktiv sind. Daß allerdings die Franzosen, die sich auf dem Gebiet der kulturellen und gesundheitlichen Dienste der Marktöffnung gegenüber negativ verhalten, in anderen Bereichen die Marktöffnung besonders aggressiv für sich ausnutzen, sei an dieser Stelle nur nebenbei erwähnt.
Auch ich bin der Meinung, daß es nicht prinzipiell um den freien, sondern um den fairen Handel geht. Fair gegenüber den Grundanliegen der Menschen wie beispielsweise den Menschenrechten, der Umwelt gegenüber, aber auch kulturellen Traditionen gegenüber. Nicht alles und jedes muß unter allen Umständen liberalisiert werden.

Kritik am Schröder-Blair-Papier

Aber zurück nach Zürich. Die Vorsitzende der SP-Schweiz, Ursula Koch, die ich noch aus jener Zeit kenne, in der wir beide in unseren jeweiligen Städten Planungsstadträte waren, hatte noch einen Gast eingeladen, zugegebenermaßen viel prominenter und spektakulärer als ich: Oskar Lafontaine.
Diese Einladung war nun nicht als eine Spitze gegen die SPD gedacht – Lafontaines Streit mit der SPD-Führung wurde von jeglichen Diskussionen ausgespart -, sondern als Signal für eine Sozialdemokratie, die sich engagiert für gesellschaftspolitische Veränderungen einsetzt. Ich hatte schon in meinem Referat die Linie bzw. Nichtlinie des Schröder-Blair-Papiers kritisiert. Europa und die globalen Veränderungsprozesse kommen in diesem Papier kaum vor. Dementsprechend wird zur Steuerung bzw. Beeinflussung der globalen Entwicklungen wenig bis gar nichts gesagt.
Hier hat dann Lafontaine eingesetzt und anhand der Finanzkrisen der letzten Zeit seine Kritik am globalisierten Finanzkapitalismus angebracht. Daraus sollte aber weder eine Resignation ins Unvermeidliche noch die Rückkehr zum nationalen Isolationismus folgen. Vielmehr gelte es, die notwendigen Maßnahmen gegen den kurzfristigen, oft spekulativen Kapitalverkehr zu ziehen – national und international. Im übrigen sind die Amerikaner dabei oft weniger zimperlich als die Europäer.
Auch Lafontaines Europaverständnis, das unseren langsam zusammenwachsenden Kontinent als eine große Chance sieht, den gefährlichen Kapitalbewegungen Einhalt zu gebieten und ein nachhaltiges Wachstum in Ost und West sowie Nord und Süd in Gang zu setzen, entspricht ganz meinem Verständnis.

Lafontaines hinterläßt in der europäischen Sozialdemokratie eine Lücke

Während mir Lafontaine ganz zu Beginn seiner Rede gedämpft und von den Auseinandersetzungen der vergangenen Wochen gezeichnet schien, kam er im Laufe seines Referates und der nachfolgenden Diskussion auf Hochtouren. Schade, daß ein so politisch denkender Mensch, der weit davon entfernt ist, ein politisch Radikaler oder hoffnungsloser Illusionist zu sein, nicht mehr innerhalb der bestehenden Sozialdemokratie an führender Stelle aktiv ist. Das spricht sicher einerseits gegen die Durchhaltefähigkeit Oskar Lafontaines in einer Konfliktsituation, aber andererseits auch gegen die Toleranz und die politische Linie der heutigen Sozialdemokratie in Europa.
Auf dem Weg zum Bahnhof nach einem gemeinsamen Essen mit Ursula Koch, Oskar Lafontaine und einigen Schweizer Nationalräten machte ich mir so meine Gedanken, insbesondere nach unserer Wahlniederlage in Österreich. Die Wahlplakate der rechtsstehenden Gruppen (von Blocher und noch weiter rechts), die vor Überfremdung warnten, erinnerten mich sehr an unseren Wahlkampf. Hoffentlich zeichnet sich in der Schweiz ein besseres Bild ab als bei uns.

(P.S.: Die Wahlen sind längst geschlagen, und leider hat sich diese meine Hoffnung in keiner Weise erfüllt…)

„Im Einsatz für einen EU-Beitritt griff ferner der österreichische SPÖ-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Hannes Swoboda, den Schweizer Sozialdemokraten unter die Arme. Er plädierte für einen Ausbau der Verfassungselemente in der EU, damit die Bürgerrechte in der EU verstärkt und diese vermehrt zu einer Zone der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts werde. Für die europäischen Sozialisten sei die Beschäftigung, aber eine Vielzahl von Instrumenten erforderlich. Der EU fehle es trotz einem in vielen Bereichen bereits vorhandenen sozialen Profil letztlich aber noch immer an der nötigen sozialen Dimension. Für Swoboda sollen nationale Identitäten und Sonderwege in de EU durchaus erhalten bleiben. Europa sei indes der Ort, um Auswüchsen der Globalisierung zu begegnen und gleichzeitig deren Vorteile zu nutzen.“
(Neue Zürcher Zeitung, Nr. 236, 11. Oktober 1999, S. 9)
 
Zürich, 9.10.1999