Eine Brücke als Symbol

In Bosnien-Herzogewina kann der Weg in Richtung EU nur beschritten werden, wenn die ParlamentarierInnen und die politisch Verantwortlichen selbst dafür Sorge tragen, dass die Standards eingesetzt und die Voraussetzungen getroffen werden, um zumindest ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen zu schließen.
In den vergangenen Tagen war ich in Bosnien-Herzogewina. In Mostar hat das Treffen zwischen dem Europäischen Parlament und dem Bosnisch-Herzogewinischen Parlament bzw. den Delegationen dieser beiden Parlamente stattgefunden.

Zwei Entitäten

Zu Beginn unseres Aufenthaltes besuchten wir Sarajewo, wo sich die Präsidien der beiden Häuser des bosnischen Parlaments befinden. Wir haben dort durchaus den Eindruck gewonnen, dass man an einer Kooperation innerhalb Bosnien-Herzogewina interessiert ist. Die Lage vor Ort ist nach wie vor sehr schwierig. Es gibt die zwei sogenannten Entitäten, also die zwei Gliedstaaten Republika Srpska und die Föderation aus den Kroaten und den Bosniaken mit den jeweiligen Minderheiten in beiden Regionen.
Diese beiden Einheiten, besonders die Republika Srpska, die auf dem Vertrag von Dayton beruhen, haben großes Interesse an der Autonomie bzw. Kompetenzlage und sind oft nur sehr widerstrebend bereit, der gemeinsamen nationalen Regierung Kompetenzen abzutreten. Allerdings hat es in etlichen Bereichen derartige Kompetenzverschiebungen gegeben und damit eine de facto-Änderung der Verfassung, die auf dem Vertrag von Dayton beruht. Das ist zugleich auch die einzige Chance, um überhaupt einen modernen effizienten Staat aufzubauen und eine nachhaltige staatliche Struktur zu etablieren. Alles andere würde, insbesondere wenn es in der Nachbarschaft zu Veränderungen kommt, etwa zum Zerfall von Serbien-Montenegro, de facto zur Unabhängigkeit des Kosovo führen. Wir müssen alles vermeiden, um in einer Situation, in der es sehr starke jeweilige Minderheitenpositionen gibt, neue krisenhafte Entwicklungen und Spannungen entstehen zu lassen.

Verstärkte Zusammenarbeit

In Mostar hat schließlich die eigentlicheTagung der beiden Ausschüsse stattgefunden. Auch dort gab es im Laufe der Diskussion zunehmend die Bereitschaft unserer Kolleginnen und Kollegen von Bosnien, sich um die gemeinsamen Probleme der unterschiedlichen Nationalitäten beziehungsweise Ethnien zu kümmern. Aktuell sind dies beispielsweise die Etablierung eines Mehrwertsteuersystems, die Frage eines gemeinsamen Verteidigungsministeriums, die Frage einer gemeinsamen Kultur-, aber auch stärkeren Wirtschafspolitik auf verschiedenen Ebenen. Und einmal mehr die Frage der Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Ein wichtiger Punkt, wissen wir doch, dass insbesondere in der Republika Srpska beispielsweise Karadciz und Mladic, aber auch andere vermeintliche Kriegsverbrecher, nicht aufgespürt worden sind bzw. bisher auch kein großes diesbezügliches Interesse geäußert wurde.

Die Brücke steht!

Mostar war auch deshalb als Tagungsort gewählt worden, weil vor kurzem jene berühmte Brücke, die von kroatischen Einheiten zerstört worden ist, wieder aufgebaut worden ist – eine alte Brücke aus der türkischen Zeit, die einerseits ein Symbol für das friedliche Zusammenleben von Kroaten und Muslimen in der Stadt gewesen ist und andererseits ein Symbol für den Hass und die Zerstörungswut, die eben dazu geführt hat, dass in einer Wahnsinnstat diese steinerne Brücke in einer exponierten Landschaftssituation zerstört worden ist.
Wie gesagt, sie ist wieder aufgebaut worden und ist heute ein Symbol für eine zwar nicht perfekte, aber langsam stärker werdende Zusammenarbeit. Sie verbindet den kroatischen mit dem muslimischen Teil der Stadt über den Fluss Neretva, wobei sich gerade auch in der Nähe unseres Hotels, das sich im kroatischen Teil neben dem Bischofsitz befindet, mehrere moslemische Friedhöfe und Moscheen liegen. Die verschiedenen Ethnien sind in der gesamten Region generell nicht säuberlich getrennt. Vielmehr hat es im Laufe der Geschichte verschiedene Arten der geographischen bzw. auch der menschlichen Durchmischung gegeben.

Gemeinsame Vergangenheit

Was in Mostar nach wie vor auffällt, ist die Vergangenheit aus der österreichisch-ungarischen Zeit. Wichtige, große Gebäude und Schulen sowie der Bischofssitz stammen aus dieser Zeit, ebenso wie wunderbare Platanenalleen, die der Stadt heute noch ein besonderes Gepräge geben. Auf eine gewisse Weise ist es berührend, dass diese Vergangenheit so deutlich sichtbar ist.
Bevor ich nach Bosnien-Herzogewina gefahren bin, habe ich einige Tage Urlaub im Grenzbereich zwischen Friaul und Slowenien gemacht. Es ist spannend zu sehen, dass auf beiden Seiten gerade in dieser Region sowohl der österreichisch-ungarische Einfluss als auch der Einfluss und die Kenntnis der deutschen Sprache sehr groß sind.

Sympathiebonus

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir zu wenig aus dieser Sympathie für unser Land und unsere Sprache machen. Nicht im Sinne, dass wir diesen Regionen etwas aufzwingen können, das ist ohnedies unmöglich. Zudem bestehen die Sympathien für uns gerade in der Tatsache, dass wir keine Großmacht sind, die etwas aufzwingen könnte, sondern stattdessen Verständnis und Sensibilität für diese Region haben, die weit über das hinausgehen, was andere Staaten in Europa zum Ausdruck bringen können.
Jedenfalls war es für mich beglückend und beeindruckend, auf dieser Brücke von Mostar zu stehen und zu sehen, dass es wieder bergauf gehen könnte – wenn beide Seiten bereit sind, nicht nur materielle Investitionen zu tätigen, sondern auch in das Hirn, das Herz, das Gewissen und in die Bereitschaft, miteinander die Zukunft zu gestalten, investieren würden. Ein kleines bisschen haben wir nach unseren Gesprächen diese Hoffnung, denn wir haben doch deutliche Veränderungen gegenüber unseren letzten Gesprächen wahrgenommen.

Spielregeln beachten!

Später an diesem Tag ging es dann nach Sarajewo, wo wir einen kurzen Spaziergang durch das Zentrum machten, um auch hier den Kolleginnen und Kollegen, die neu zu unserer Delegation dazugestossen sind, die Situation in dieser Stadt zu zeigen. Ausgangspunkt war jenes zerstörte Gebäude, das ebenfalls aus der österreichisch-ungarischen Zeit stammt und ursprünglich die Stadtverwaltung von Sarajewo beherbergt hat.
Leider ist es zu keinem Fortschritt beim Wiederaufbau dieses wichtigen Gebäudes gekommen, weil man sich in Sarajewo bzw. in Bosnien selbst nicht einigen konnte, was damit in Zukunft geschehen soll. Und so war auch die Europäische Union nicht bereit, das dafür vorgesehene Geld tatsächlich voll auszugeben. Stattdessen mahnt heute eine Tafel, auf der das Ende der Bauarbeiten mit Ende 2003 angegeben wird, die Bosnier daran, dass, wenn sie untereinander streiten, sie nicht darauf hoffen können, entsprechende finanzielle Leistungen zu erhalten.

Muslime als Vorkämpfer der Frauenrechte

Eine Station unseren kurzen Spazierganges war jene Stelle, an der vor genau 90 Jahren Erzherzog Ferdinand ermordet worden ist – auch das erinnert an die Präsenz Österreichs in diesem Land, eine Präsenz, die durchaus viele positive Effekte gebracht hat – ohne die Okkupation und Annexion Bosniens in irgendeiner Weise zu rechtfertigen.
In diesem Zusammenhang habe ich eine interessante Geschichte gehört: Die Tradition der Ausbildung an der medizinischen Fakultät in Wien für Frauen geht auf die Okkupation und Annexion Bosnien-Herzogewinas zurück. Der Kaiser hat nämlich die Tatsache, dass viele muslimische Frauen nur von Ärztinnen untersucht werden wollten, dazu genützt, die medizinische Fakultät in Wien zu zwingen, ihre Tore für Frauen zu öffnen. Als ich das der Vorsitzenden der bosnischen Delegation erzählte, war sie – eine Muslimin – ganz überrascht und stolz, dass ihr Volk einen solchen Beitrag zum Gender-Mainstreaming im alten Österreich beitragen konnte.

Der Hohe Beauftragte der Internationalen Gemeinschaft

Der nächste Besuch galt Lord Paddy Ashdown, dem Hohen Beauftragten der internationalen Gemeinschaft und dem Sonderbeauftragten der Europäischen Union. Er hat es sich zum Ziel gesetzt, diese Funktion langsam auslaufen zu lassen, muss aber im Zweifelsfall immer noch für die Durchsetzung des Rechts sorgen.
Begrüßenswert ist, dass er bei den vielen Anpassungsprozessen an die Europäische Union nicht mehr im Detail eingreifen musste, d.h. die Gesetze wurden vom Parlament selbst beschlossen und nicht mehr ex-kathedra durch den Hohen Beauftragten. Bei der Durchsetzung des Rechtes und der Einhaltung der Standards und Normen für verschiedene politische MandatarInnen sah sich der Hohe Beauftragte allerdings gezwungen, entsprechende Absetzungen vorzunehmen, da seiner Meinung nach – und wahrscheinlich hat er recht – mehrere FunktionärInnen, insbesondere der Republika Srpska, diesen Standards nicht gerecht geworden sind und er daher entsprechend durchgreifen musste.

Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen

Letztendlich kann auch hier in Bosnien-Herzogewina der Weg in Richtung Europäische Union nur begangen werden, wenn die ParlamentarierInnen und die politisch Verantwortlichen selbst dafür Sorge tragen, dass die Standards eingesetzt werden und die Voraussetzungen getroffen werden, um zumindest ein Stabilitäts- und Assoziierungsabkommen mit der EU zu schließen. In den kommenden Monaten müssen die noch notwendigen Gesetze im Parlament beschlossen werden, etwa das Mehrwertsteuergesetz, aber auch ein Gesetz über das Rundfunk- und Fernsehwesen, das den europäischen Normen entspricht.
Erst dann kann es zur Eröffnung von Verhandlungen über ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union kommen. Wenn man diese notwendigen Schritte in den nächsten Monaten unternimmt, könnte ein solcher Verhandlungsbeginn in der Mitte des nächsten Jahres durchgesetzt werden.
Brüssel, 5.11.2004