Eine Partei lernt laufen

Die Europäische Sozialdemokratie ist noch weit davon entfernt, eine Europäische Partei zu sein. 
Wieder einmal bin ich in Berlin. Diesmal allerdings nicht wegen des Schlosses, sondern um am Kongreß der europäischen Sozialdemokratie teilzunehmen. Der Parteitag ist ruhig verlaufen. Es war nicht sehr spannend, und es gab keine Aufregung – weder im negativen noch im positiven Sinn. Das ist allerdings nicht unbedingt das, was man sich üblicherweise von einem Parteitag erwartet.

Kein Parteitag im eigentlichen Sinn

Die Europäische Sozialdemokratie ist noch weit davon entfernt, eine Europäische Partei zu sein. Es handelt sich vielmehr, wie es der ausscheidende Parteivorsitzende Rudolf Scharping formuliert hat, um einen Verbund von verschiedenen europäischen Parteien, die noch zu wenig gemeinsam haben, sich noch zu wenig als Element einer gemeinsamen Partei verstehen.
Sehr interessante Diskussionen fanden bei den sogenannten runden Tischen statt. Und am Rande des Parteitages kam es zu interssanten Begegnungen und Gesprächen. Aber es war trotzdem kein Parteitag im klassischen Sinn, der Stimmungen erzeugt, der Emotionen weckt, der Pro und Kontra entfacht.

Robin Cook, neuer SPE-Vorsitzender

Zum neuen Vorsitzenden wurde in Berlin Robin Cook gewählt. Für viele ist er nicht unbedingt die beste Wahl, denn sie meinen – wahrscheinlich nicht ganz zu unrecht -, dass die Gefahr besteht, Cook könnte manche pro-europäische Initiative abtöten oder zurückdrängen.
Auf der anderen Seite hege ich trotzdem die Hoffnung, dass Cook die britische Labour Party und damit auch Groß Britannien insgesamt stärker in den europäischen Meinungsbildungsprozess einbringen wird und seine Partei auch stärker für die gemeinsame europäische Sache begeistern wird.

Groß Britannien wichtiger europäischer Partner

Wir sind in Europa inzwischen so weit fortgeschritten, dass wir ohne Groß Britannien keine wichtigen Schritte mehr unternehmen können. Und selbst wenn Groß Britannien bei einzelnen Projekten, wie etwa beim Euro, nicht mitmacht, ist eine zukünftige stärkere Zusammenarbeit unumgänglich.
Wenn es gelingt, das Vereinigte Königreich stärker in europäische Fragen einzubeziehen und auch sein „natürliches“ Verhältnis zu den Vereinigten Staaten durch ein, vielleicht ähnlich starkes, neues Verhältnis zu Europa und in Europa zu ergänzen, dann ist ein ganz wesentlicher Schritt getan. Und wenn die Wahl Robin Cooks dazu beitragen kann, so hätte das durchaus seine Vorteile.

Stimmungshemmender Schnellschuss

Die laue Stimmung des Parteitages hat sich natürlich auch dadurch ergeben, dass die SPD und vor allem Gerhard Schröder, der sich klar hinter die Vorstellungen der SPD gestellt hat – den Entwurf für eine sehr starkes zukünftiges Europa, mit einem starken Parlament, einem umgewandelten Rat in Form einer zweiten Kammer des Parlaments und einer starken europäischen Regierung, schon vor dem Parteitag präsentiert hatte.
Das Konzept von Schröder ist dabei kein ausschliesslich auf die Stärkung Europas orientiertes Konzept. Aber es beinhaltet doch wesentliche Elemente, die man sehr positiv sehen muss. Diese Vorlage hat Furore gemacht. Sie hat einige Diskussionen hervorgerufen. Frankreich hat sich noch nicht wirklich eindeutig geäußert.
Jedenfalls war aber durch die verfrühte Präsentation schon viel Luft heraussen. Und auch wenn es am Parteitag selbst da und dort noch zu Diskussionen darüber gekommen ist, so hat es doch nicht mehr jene Emotionen hervorgerufen, die es bei einer direkten Präsentation gegeben hätte.

Noch wird in der eigenen Suppe gekocht

Auch das ist nicht ganz untypisch für die Europäische Partei: Wichtige europapolitische Vorschläge finden im Rahmen einer SPD Diskussion statt, aber nicht im Rahmen einer SPE Diskussion. Mit dieser Situation müssen wir offensichtlich noch einige Zeit zurechtkommen.
Viele von uns haben sich interessanterweise auf die im Anschluß stattfindende Fraktionssitzung gefreut, die ja nicht immer das Spannendste darstellt, aber wo wir doch ganz konkrete Arbeit leisten können. Natürlich spielt hier auch die Tatsache hinein, dass am Parteitag nicht die Europaparlamentarier, sondern die Parteivorsitzenden und einige andere Delegierte unmittelbar im Mittelpunkt stehen. Was prinzipiell positiv ist, denn es sollten sich ja nicht nur die Europaabgeordneten für Europa engagieren. Aber subjektiv fühlt man sich vielleicht doch etwas in die Zweite oder Dritte Reihe gedrängt.

Ein Statut muss her

Und so freuten wir uns eben ganz einfach, wieder in der Fraktion zu diskutieren und damit selbst in der ersten Reihe zu stehen. Ein Thema war dabei das Statut für die europäischen Parteien. Wir wollen auf Grund der Entscheidungen von Nizza kommende Woche in der Straßburgsitzung das Statut der Europäischen Parteien beschließen.
Ein verbessertes Statut ist dringend notwendig, denn bisher gab es zwischen den Fraktionen im Europäischen Parlament und den politischen Parteien eine sehr verschwommene Situation, die endlich geklärt werden sollte. Wir brauchen eigene europäische Parteien, die zumindest in einer Anzahl von Ländern aktiv tätig sind und von dort Abgeordnete ins Europäische Parlament entsenden. Die große Frage ist natürlich, wie transparent sie sein soll. Darauf gibt es aus meiner Sicht eine ganz klare Antwort: so transparent und offen wie möglich!

Spenden ja, aber wer?

Eine zweite Frage kreist um die Spenden privater Institutionen, soweit es sich um große Konzerne etc. handelt. In diesem Punkt ist die Fraktion gespalten. Es gibt viele, die abstrakt gesehen zu Recht meinen, Spenden von Firmen würden immer die Gefahr in sich bergen, Abstimmungsergebnisse zu beeinflussen. Das gilt natürlich auch für private Personen.
Es ist schwierig, eine Unterscheidung zwischen Privaten, die unbegrenzt spenden dürfen, wenn sie Einzelpersonen sind und Privaten, die nicht spenden dürfen, wenn sie Unternehmungen sind, zu treffen. Dass öffentliche Unternehmungen nicht spenden dürfen, ist ohnedies im Vorschlag festgehalten.

Transparenz auf allen Ebenen

Es wird sich zeigen, wie nächste Woche im Parlament darüber abgestimmt wird. Auch und gerade hier gilt jedenfalls meine unmissverständliche Forderung nach voller Transparenz. Selbst wenn private Unternehmungen spenden dürfen, so muss das zu 100 Prozent aufscheinen. Mir persönlich scheint eine solche Vorgangsweise durchsichtiger und klarer zu sein als ein totales Spendenverbot privater Firmen. 
Berlin, 8.5.2001