Eine Straßburger Plenarwoche am Beispiel der Oktobersitzung

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Straßburg

Die Plenarwochen im Europäischen Parlament sind gekennzeichnet durch eine Fülle von Sitzungen und Besprechungen, die leider oft parallel zu den Plenardebatten stattfinden. Man muss dann nach Interesse und Wichtigkeit entscheiden, wohin man geht. In dieser Woche kam hinzu, dass ich mehrmals den verhinderten Martin Schulz als Fraktionsvorsitzenden vertreten musste.

Außenpolitische Themen

So musste ich Montag und Dienstag die Fraktionssitzungen leiten, zusätzlich zur üblichen Vorsitzführung bei unseren Ausschusskoordinatoren, die jeweils am Dienstag stattfindet, um die Tagesordnung der nächsten Plenarsitzung vorzubereiten. Montags abends gab es dann Abstimmungen im außenpolitischen Ausschuss über die Gestaltung des zukünftigen Auswärtigen Dienstes der EU – sollte der Vertrag von Lissabon ratifiziert werden. Danach hatten wir unser monatliches Jour fix zur Koordination der außenpolitischen Aktivitäten der Fraktion.
Außenpolitische Themen beschäftigten mich noch mehrmals in dieser Woche. So traf ich gemeinsam mit Martin Schulz den Chefverhandler der Türkei für die Beitrittsverhandlungen. Auf die Schilderung der vielen Probleme und Schwierigkeiten für einen Beitritt meinte er, für die Türkei seien die Verhandlungen ein wesentlicher Antriebsfaktor für die inneren Reformen. Er ist sich bewusst, dass es in den nächsten acht bis zehn Jahren keinen Beitritt geben wird. Aber er glaubt, dass Europa aus wirtschaftlichen und demografischen Gründen die Türkei brauchen wird. Bei allem Risiko, dass das Unternehmen nicht gelingen wird, sollen die Verhandlungen trotzdem weitergeführt werden. Die moderatere Haltung in der Kurdenfrage und das entspannte Verhältnis zu Armenien sind das Ergebnis des Verhandlungsprozesses mit der EU und im beiderseitigen Interesse.

Türkei und Balkan

Das Verhältnis Türkei und Armenien war dann auch Gegenstand eines Gesprächs, das ich mit einem Fraktionsvorsitzenden einer Oppositionspartei aus Armenien führte. Er begrüßte die Entspannungsgespräche, war sich aber nicht sicher, ob sie von beiden Seiten ehrlich geführt und gemeint waren, und das bezog sich sowohl auf die Regierung in Jerewan als auch in Ankara.
Die Türkei ist zweifellos der schwierigste Beitrittskandidat. Aber auch die Erweiterungsprozesse am Balkan haben ihre Tücken. Zur Vorbereitung eines Berichtes, der in den nächsten Wochen im auswärtigen Ausschuss und dann im Plenum beraten werden soll, berief ich die Balkan-Arbeitsgruppe ein, um einen möglichen Text dieses Berichtes zu diskutieren. Der sollte einerseits positive Signale aussenden, anderseits jedoch auf die dringendsten Probleme der einzelnen Länder aufmerksam machen. Was meinen Bericht hinsichtlich der Erweiterungsverhandlungen mit Kroatien betrifft, so besprach ich mit einem Mitarbeiter des Ausschusses die einzelnen neuralgischen Punkte.

Transaktionssteuer und Medienvielfalt

In dieser Woche behandelten wir aber auch die Beziehungen zwischen den USA und Europa, nicht zuletzt in Hinblick auf den gemeinsamen Gipfel im November. Dazu mussten wir auch über eine Resolution verhandeln, die Aussagen zu den wichtigsten Themen aus der Sicht des Parlaments treffen sollte. Nach Einreichung der verschiedenen Resolutionen aus der Sicht der einzelnen Fraktionen haben wir versucht, eine gemeinsame Resolution zu basteln. Leider ist beispielsweise der Hinweis auf die Diskussion einer Transaktionssteuer beim G 20-Treffen bei der Abstimmung im Plenum wieder hinausgefallen. In diesem Punkt hat sich die liberale und rechte Mehrheit durchgesetzt – mit den Stimmen der ÖVP. (siehe dazu auch meine kurze Rede im Plenum).
Waren sich in diesem Falle die Liberalen und die verschiedenen Rechtsgruppierungen einig, war das im Falle einer Resolution zur Medienvielfalt und insbesondere zur diesbezüglichen Lage in Italien anders. Hier stand eine Koalition von Mitte Rechts bis Rechtsextrem einer Koalition von ganz links bis zu den Liberalen gegenüber. Zwar ging kein einziger Abänderungsantrag der Rechten durch, aber weder unsere gemeinsame Resolution noch eine der von den einzelnen Fraktionen eingebrachten Resolutionen fand eine Mehrheit. Der Vorschlag der Liberalen wurde mit 338 Ja-Stimmen zu 338 Nein-Stimmen abgelehnt. Nur eine Stimme hat uns zur Mehrheit gefehlt. So waren es die Berlusconi-Abgeordneten, die in der Bar mit Champagner ihre erfolgreiche Ablehnung unserer Initiative für einen europäischen Gesetzentwurf für Medienfreiheit feierten. „Natürlich“ haben auch in diesem Fall die ÖVP-Abgeordneten diese Initiative abgelehnt.

Gasversorgungssicherheit und USA

Mittwoch früh gab es eine Besprechung zum Gesetzentwurf über die Gasversorgungssicherheit in Europa. Der Berichterstatter zu diesem Thema, ein konservativer spanischer Abgeordneter, hatte die Schattenberichterstatter der einzelnen Fraktionen eingeladen, um seine ersten Ideen zu präsentieren. Jeder Berichterstatter braucht ja, um seine Abänderungsvorschläge zum Gesetzesentwurf der Kommission durchzubringen, eine Mehrheit und daher ist er/sie an einer gedeihlichen Zusammenarbeit mit den Schattenberichterstattern interessiert.
Parallel dazu fanden weitere Sitzung und Gespräche statt, so zum Beispiel eine Sitzung der Parlamentarischen Delegation zum Kongress der USA und ein Vorbereitungsgespräch der fraktionellen Delegation, die diese Woche in die USA reist, um von Sicherheitsfragen über Klimaschutz bis zur Frage der Finanzmarktregulierung mit unseren US-KollegInnen, aber auch mit ExpertInnen zu reden. Zu diesem Gespräch luden wir auch Vertreter der US-Mission in Brüssel ein, um uns über den letzten Stand der diesbezüglichen Entwicklungen zu informieren.

Minderheiten und Roma

Ein Thema, das mich immer wieder beschäftigt, ist die Situation in unserem Nachbarland der Slowakei, insbesondere jene der ungarischen Minderheit, aber auch das Verhältnis zwischen Ungarn und der Slowakei. Momentan gibt es zwei Streitpunkte: einerseits das neue Sprachengesetz in der Slowakei und anderseits die Verankerung einer Gruppe von „ungarischen“ Abgeordneten aus den Nachbarländern (aus dem „Karpathenbecken“) in der Geschäftsordnung des ungarischen Parlaments.
Das Sprachengesetz dürfte in Kürze adaptiert werden, zumindest dürfte eine minderheitenfreundliche Interpretation erfolgen. Schließlich gibt es ja auch einige Gemeinden in der Slowakei, in denen die Ungarn in der Mehrheit und die Slowaken in der Minderheit sind. Erfreulich ist, dass sich die SMER, also die Partei von Premierminister Robert Fico, in den kommenden Regionalwahlen von der Partei des Extremisten Slota getrennt hat. Im Übrigen vereinbarten wir, uns einem uns allen gemeinsamen Anliegen, nämlich der Situation der Roma in beiden Ländern, zu widmen.
Auch der neue Kommissar der Slowakei, der ehemalige Botschafter der Slowakei besuchte mich übrigens in Straßburg, um über seine zukünftige Tätigkeit in der EU-Kommission zu reden. Bei dieser Gelegenheit bedankte er sich für mein Engagement für die Slowakei.

Straßburg, 22.10.2009