Es bleibt kompliziert

Dem Selbstbewusstsein der Amerikaner muss ein zunehmendes Selbstbewusstsein der Europäer – ohne Überheblichkeit und Arroganz – gegenübergestellt werden.
Schon mehrmals wurde ich zu einer Sondertagung des Transatlantic Policy Networks (TPN) eingeladen. Aber erst diesmal, Anfang Dezember, hatte ich die Zeit, an einem Treffen in Washington teilzunehmen. Dabei ging es sowohl um die politischen als auch um die wirtschaftlichen Aspekte der transatlantischen Zusammenarbeit bzw. des Verhältnisses zwischen Europa und den USA.

Gespanntes Verhältnis

Das Verhältnis zwischen beiden Kontinenten bzw. genauer zwischen der EU und den USA ist ja durchaus gespannt. Wirtschaftlich gibt es immer wieder Streitfälle. Die USA haben Europa vermehrt vorgeworfen, durch eine extrem protektionistische Landwirtschaftspolitik und durch restriktive Massnahmen beim Import genmanipulierter Lebensmittel den europäischen Markt gegen die amerikanische Konkurrenz abzuschotten.
Umgekehrt haben die Europäer viele protektionistische Massnahmen der USA, zuletzt einen Sonderzoll auf Stahlimporte, vor die Schlichtungsstelle der Welthandelsorganisation gebracht und dort auch Recht behalten. Und genau am Tag vor dem Beginn unseres Treffens blieb Präsident Bush nichts anderes übrig, als die Sonderzölle auf Stahl wieder aufzuheben. Maßgebend war dabei sicher nicht nur der Schiedsspruch der Welthandelsorganisation WTO, sondern auch die detaillierte Planung der Europäer, in welchen Bereichen sie Retorsionsmassnahmen in Form von Zöllen einheben und so den amerikanischen Export behindern würden.
Allerdings ist dies gar nicht so leicht, denn aufgrund der Verflechtungen der Wirtschaft und der großen Unternehmungen in einer globalen Welt ist eine Unterscheidung in amerikanische bzw. europäische Unternehmer nicht einfach. Und viele Unternehmen brauchen billige Importe, um günstig exportieren zu können. Die neuen Hauptverantwortlichen des Transatlantischen Wirtschaftsdialoges, die Chefs von Coca Cola – Douglas Daft – und von Unilever – Niall FitzGerald -, die an unserer Diskussion teilnahmen, sind Kronzeugen für diese globale Vernetzung.

Mega Multi War-Mart

Ein in den amerikanischen Medien, aber auch bei unserer Tagung diskutiertes Beispiel ist der Einzelhandelskonzern Wal-Mart, der inzwischen zum größten Unternehmen der Welt aufgestiegen ist. Er kauft weltweit die billigsten Produkte ein – und ist mit Abstand der größte Importeur chinesischer Produkte geworden.
Damit setzt er auch viele US-amerikanische Produzenten (Arbeitgeber – Arbeitnehmer) unter einen enormen Kostendruck. Das ruft nicht zuletzt die Gewerkschaften auf den Plan. Durch seine extrem billigen Angebote unterläuft der Konzern aber natürlich die Proteste der Gewerkschaften. Der Konsument im Menschen siegt über den Produzenten (Arbeitnehmer/Arbeitgeber), oftmals im gleichen Menschen. Dass das extrem billige Angebot auch prekäre Arbeitsverhältnisse und -bedingungen bei Wal-Mart selbst voraussetzt, ist „selbstverständlich“.

China am Vormarsch

Das Beispiel Wal-Mart zeigt auch, woher zunehmend die größte Konkurrenz für unsere Arbeitsplätze kommt: aus den industrialisierten Ländern der Dritten Welt, aus China und aus Indien. Das chinesische Modell einer forcierten Industrialisierung und verstärkter Exporte bereitet den alteingesessenen Industrieländern, aber inzwischen auch einigen Entwicklungsländern, große Sorgen.
Zweifellos kann es nicht darum gehen, China eine rasante Wirtschaftsentwicklung zu verbieten. Weder wäre dies möglich noch moralisch vertretbar. Aber China aufzufordern, im Zuge dieser Entwicklung verstärkt die Menschenrechte inklusive der grundlegenden Arbeitnehmerrechte einzuhalten, mit der Umwelt sorgsam umzugehen, etc., könnte durchaus ein gemeinsames Interesse der übrigen Welt sein. Allerdings sind wir nur dann glaubwürdig, wenn wir uns selbst entsprechend verhalten, beispielsweise die Umweltziele von Kyoto einhalten, was aber die Regierung Bush ablehnt.

Nicht gemeinsame Werte, sondern gemeinsame Interessen

Es gäbe also für die EU und die USA Gründe genug, sich auf gemeinsame Positionen im Rahmen einer immer stärker zusammenwachsenden, aber auch durch neue „Konkurrenten“ gekennzeichneten Welt zu einigen. Aber der US-amerikanischen Position, dass diese Einigung auf der Basis ihrer eigenen Spielregeln erfolgen muss, müssen wir ein klares Nein entgegen halten. Entweder gibt es gemeinsam ausgehandelte Spielregeln oder gegenseitig anerkannte Regeln, wie es Stuart Eizenstat in der Diskussion forderte, in jedem Fall aber geht es um die Anerkennung einer Partnerschaft und den Respekt füreinander.
Das gelingt umso leichter, als man nicht von gemeinsamen Werten, sondern von gemeinsamen Interessen ausgeht, die jeder für sich definieren muss, bevor man die Gemeinsamkeiten feststellen kann. Viele Meinungsumfragen zeigen, dass es durchaus verschiedene Wertvorstelllungen in der europäischen und der amerikanischen Bevölkerung gibt. Die AmerikanerInnen sind patriotischer, religiöser und freiheitsliebender als die EuropäerInnen, die vor allem sozialer eingestellt sind – jedenfalls was die Rolle der Regierungen betrifft.
Natürlich sind dabei die Unterschiede zu den Republikanern ausgeprägter als zu den Demokraten. Da wir es aber mit einer ausgeprägt republikanischen Administration zu tun haben, ist es jetzt besonders wichtig, nicht so zu tun, als hätten wir alle die gleichen Wertvorstellungen. Angesichts der neuen Wettbewerbsverhältnisse wäre es allerdings auch sinnvoll, nicht permanent in kleine gegenseitige Wirtschaftsscharmützel einzutreten. Vielmehr sollten wir, wo immer, unseren ArbeitnehmerInnen helfen, sich an die neuen Wettbewerbsverhältnisse anzupassen. Unter anderem indem wir dafür sorgen, dass auch die Menschen im „Rest“ der Welt – und das ist der weitaus größere Teil der Erdbevölkerung – von der zunehmenden Industrialisierung profitieren. Das wäre ein Beitrag zum gemeinsamen Wirtschaftsaufschwung, aber auch zu einer umweltfreundlicheren und sozial gerechteren und friedensorientierteren Welt.

Keine Lehren gezogen

Damit komme ich zum zweiten Themenschwerpunkt unserer Tagung: der Außen- und Verteidigungspolitik, insbesondere der Sicherheitspolitik. Weder haben die Amerikaner den Schock des 11. September noch ihre Enttäuschung über viele europäische Staaten anlässlich des Irak-Krieges überwunden. Vielen ist das bisher enttäuschende Ergebnis der US-Intervention – es wurden keine Massenvernichtungswaffen gefunden und der Terrorismus im Irak, aber auch in der Türkei, in Saudi Arabien, etc. hat zugenommen – keine Lehre.
Im Gegenteil: Der wachsende Terrorismus bestärkt sie nur in ihrer Haltung, dass die US-Intervention gerechtfertigt war. Zwar hat der stellvertretende Außenminister Richard Armitage bei unserer Tagung ebenso versöhnliche Töne anklingen lassen wie der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick, aber auch hier gilt, dass nur eine klare Haltung der EU hinsichtlich der Notwendigkeit einer gemeinsamen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Amerikaner von ihrer starren Haltung wegbewegen kann.

Defintion gemeinsamer Interessen

Dem Selbstbewusstsein der Amerikaner muss ein zunehmendes Selbstbewusstsein der Europäer – ohne Überheblichkeit und Arroganz – gegenübergestellt werden. Nur so können wir die gemeinsamen Interessen in der Sicherheitspolitik, insbesondere in der Terrorbekämpfung, definieren. Für die Herausformulierung dieses europäischen Selbstbewusstseins werden die kommenden Tage ganz entscheidend sein, in denen sich zeigen wird, ob und wie sich die Staats- und Regierungschefs auf eine europäische Verfassung und auf eine europäische Sicherheitsdoktrin einigen können.
Diese Position hat vor allem EU-Kommissar Chris Patten, der ebenfalls an unserem Treffen teilnahm, klar gemacht. Als möglicher Faktor einer Zusammenarbeit sah er die Entwicklung einer gemeinsamen Position Russland gegenüber, die Frage der Demokratie und der Menschenrechte in der arabischen Welt sowie die Bekämpfung des Terrorismus.

Das Ziel

Ich für meinen Teil habe auf mehr Engagement der Amerikaner im Nahen Osten Wert gelegt. Eine Konfliktlösung im Nahen Osten, zumindest eine Beruhigung in dieser Region, würde einen notwendigen, wenngleich nicht hinreichenden Beitrag zur Bekämpfung des Terrorismus bedeuten. Es gibt kein Patentrezept im Kampf gegen die Intoleranz, besonders in der Form des Terrorismus. Aber sowohl eine sozial ausgeglicherene Welt und vor allem die Verringerung der Armut als auch ernsthafte Lösungsversuche im Nahen Osten würden die Bekämpfung des Terrorismus umfassender und effektiver machen. Niemand hätte dann eine Entschuldigung in dieser Auseinandersetzung. Und vor allem der Dialog mit der arabischen bzw. der islamischen Welt würde fruchtbringender ausfallen.

Und die Methode?

Aber selbst wenn sich Europäer und Amerikaner auf dasselbe Ziel – die Bekämpfung des Terrorismus – einigen, müssen sie sich erst auf die geeigneten Instrumente und Methoden einigen, um das Ziel zu erreichen. Die USA haben insbesondere mit Präsident Bush, Vizepräsident Cheyney, Verteidigungsminister Rumsfeld, seinem Stellvertreter Wolfowitz, etc. eine leichte Hand zu den Kriegsführern bekommen. Bei den Europäern – jedenfalls den meisten unter ihnen – wirkt das Trauma der vielen Kriege, die Europa geschwächt und ausgeblutet haben, noch immer sehr schwer. Und hoffentlich werden die unermesslichen Leiden dieser europäischen „Bürgerkriege“ niemals vergessen. Daher besteht bei vielen Europäern eine gesunde Skepsis gegen die Anwendung militärischer Gewalt. Dies sollte man nicht mit Feigheit oder Defaitismus gleichsetzen. Das auch bei unseren Debatten genannte Beispiel des Zurückweichens der Westmächte vor Hitler in München ist im Falle Iraks nicht angebracht. Hitler war dabei, ein Land nach dem anderen unter seine Kontrolle zu bringen, es gab weder wirksame Sanktionen noch Waffeninspektoren. Hätte der Westen die Invasion in Kuwait akzeptiert, so wie er den Einmarsch der sowjetischen Truppen in Ungarn und Tschechoslowakei akzeptiert hat, dann hätte man von einem zweiten München sprechen können.

Mehr Dialog!

Wie man sieht, zwischen den Amerikanern inklusive den „Amerikanern“ in Europa und den Europäern inklusive den allerdings nicht allzu zahlreichen „Europäern“ in den USA bestehen weniger hinsichtlich der generellen Ziele als in Bezug auf die Wege und Methoden zum Erreichen dieser Ziele noch große Differenzen. Mehr Sicherheit erfordert jedenfalls mehr Dialog zwischen den USA und der EU, allerdings auch innerhalb der EU. Der sich auch erst in den letzten Jahrzehnten herausgebildete typisch europäische Weg der EU erklärt und versteht sich nicht von selbst. Er muss aktiv vertreten und vermittelt werden!
Washington, 7.12.2003