Es gibt kein Europa à la carte

Es ist unangenehm, aber angesichts der weltweiten Krise unvermeidbar, dass nach Jahren der positiven Entwicklung und der hohen Gewinne nun schlechtere Zeiten angebrochen sind. Aber das ist kein Argument gegen die Erweiterung und gegen die EU als solches.
Ich bin immer wieder erstaunt und betroffen von dem Größenwahn des früheren rumänischen Präsidenten Nicolae Ceausescu.

Kilometer 0

Der von ihm begonnene und dann „notwendigerweise“ vollendete Palast im Zentrum der Stadt Bukarest ist ein extremes Zeugnis eines autoritären und diktatorischen Regimes. Die Missachtung der täglichen Interessen der Bevölkerung und die Übersteigerung persönlichen Macht- und Repräsentationsinteresses könnten kaum sichtbarer zum Ausdruck kommen. Daher ist das Denkmal für die Revolution mit Hinweis auf km 0 im Zentrum der Stadt durchaus verständlich.
20 Jahre sind seit dem Umbruch in Rumänien und den anderen osteuropäischen Ländern vergangen. Manche meinen, wir sind vielleicht noch immer bei km 0. Ich hingegen glaube, dass wir schon etliche Kilometer weiter gekommen sind. Aber die Dinge entwickeln sich viel langsamer. Sie sind verwickelt wie auch der nach wie vor sichtbare Kabelsalat in den Straßen der Hauptstadt – nicht nur hier in Rumänien. Und das ist auch nicht allein die „Schuld“ der neuen Mitgliedsländer. Inzwischen sind Ost und West sehr eng miteinander verbunden, wie gerade jetzt in der Wirtschafts- und Finanzkrise sichtbar wird.

Die einen nicht gegen die anderen ausspielen

Viele, insbesondere österreichische Banken sind in Osteuropa tätig und von der krisenhaften Entwicklung in einigen neuen Ländern besonders betroffen. Es ist unangenehm, aber angesichts der weltweiten Krise unvermeidbar, dass nach Jahren der positiven Entwicklung und der hohen Gewinne nun schlechtere Zeiten angebrochen sind. Aber das ist kein Argument gegen die Erweiterung und gegen die EU als solches. Im Gegenteil: Es ist ein starkes Argument für ein stärkeres, kooperatives und solidarisches Europa. Es gibt kein Europa à la carte. Man kann sich nicht nur die positiven Seiten aussuchen und die negativen vermeiden.
Aber natürlich bestätigt sich auch hier in Bukarest, dass die soziale Dimension nicht vernachlässigt werden darf. Wie dürfen die Arbeitnehmer eines Landes nicht gegen die eines anderen ausspielen. Genauso wenig, wie wir die Mehrheit gegen die Minderheiten, die Einwanderer gegen die „Einheimischen“ ausspielen dürfen, etc. Gerade deshalb haben mein Kollegen Jan Marius Wiersma und ich unser Buch über und gegen den Populismus auch in Bukarest vorgestellt.

Populär, aber nicht populistisch

Politik muss populär sein, aber sie darf sich nicht dem Populismus hingeben. Die notwendigen Vereinfachungen dürfen die Grenzen der Verfälschung nicht überschreiten. Und niemand, vor allem nicht Minderheiten und Zuwanderer, dürfen als Verantwortliche und Schuldige für die Probleme herhalten. Wir dürfen diese Spaltung der Gesellschaft und das Ausspielen der Einen gegen die Anderen nicht akzeptieren. Die soziale Betroffenheit ist das Wesentliche und nicht die ethische Herkunft.
Wenn daher die CDU/CSU jüngst in Deutschland beschlossen hat, Kroatien sollte in die EU aufgenommen werden, aber danach sollte es eine Erweiterungspause geben, so halte ich das für blanken und gefährlichen Populismus. Denn einerseits geht die Erweiterung ohnedies nur sehr langsam vor sich. Die Reformen und Hausaufgaben in den Ländern benötigen Zeit. Und andererseits wäre es falsch, der Bevölkerung und vor allem der Jugend in der Balkanregion ein solch abweisendes Signal zu setzen. Dies würde zur verstärkten Auswanderung und eventuell sogar zum Abzug von Investitionen führen. Als Nachbarn dieser Region würde dies auch auf uns negative Auswirkungen haben. Von einer positiven wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung würden wir hingegen profitieren.

Bukarest, 17.3.2009