Europäische Standards sind gefragt!

Wie die endgültige Ordnung am Balkan vor allem im Hinblick auf die zukünftigen Mitgliederstaaten aussehen wird, kann heute noch nicht gesagt werden.
Ich komme aus Albanien/Tirana und möchte nach Italien/Rom. Aber so leicht ist das gar nicht, jedenfalls nicht vormittags. So nahm ich den Frühflieger von Tirana nach Athen und warte nun auf den Flug von Athen nach Rom. Dabei habe ich genügend Zeit, einige Gedanken über meinen gestrigen Tag in Tirana, der Hauptstadt Albaniens und in der Hafenstadt Durres niederzuschreiben.
Beide Städte habe ich oft besucht und dabei sind mir die äußeren Veränderungen durchaus aufgefallen. Vor allem Tirana ist weitaus sauberer und bunter als in der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch des Kommunismus. Auch in Durres gibt es eine Reihe neuer und renovierter Häuser und Hotels. Am Zustand der Straßen und der verschmutzten Strände hat sich allerdings nicht viel geändert.

Politisches Chaos

Wenig bis gar nichts geändert hat sich an den verworrenen politischen Verhältnissen. Der Streit zwischen den beiden Hauptprotagonisten, den Sozialisten und Demokraten, Fatos Nano und Sali Berisha, ist nach einer kurzen Abkühlphase wieder voll entflammt. Vor allem verschiedene Mängel bei den jüngsten Lokalwahlen waren Anlass zu erneuter Polemik. Aber immerhin findet dieser Streit nun auch im Parlament statt, da die Opposition der Demokraten ihren Boykott schon vor längerer Zeit aufgegeben hat und wieder parlamentarisch aktiv ist.
Dafür haben sich die Auseinendersetzungen innerhalb der Sozialisten verstärkt. Premierminister Fatos Nano konnte seine neuen Kandidaten für den Außen- und Innenminister im Parlament nicht durchbringen, da ein Teil der eigenen Leute nicht zustimmte. Inzwischen haben sich Nano und sein Vorgänger Illan Metha, der zuletzt auch Außenminister war, gegenseitig der Korruption beschuldigt.

Imageschädigende Korruptionsvorwürfe

Premierminister Nano hofft, beim Parteikongress am 12. Dezember die volle Unterstützung seiner Partei zu bekommen, seine innerparteilichen Gegner zu isolieren und dann auch im Parlament seine Regierung wieder vervollständigen zu können.
Staatspräsident Alfred Moisiu, der auf Grund eines Kompromisses zwischen Fatos Nano und Sali Berisha gewählt wurde, ist hingegen skeptisch, ob eine Regierung politisch und verfassungsmäßig solange ohne Außen- und Innenminister auskommen kann. Als wir ihn besuchten, hat er dies auch klar zum Ausdruck gebracht.
Ich habe meinerseits sowohl ihm gegenüber als auch im anschließend tagenden gemischten Ausschuss der Parlamentarier aus dem EU-Parlament und dem albanischen Parlament zum Ausdruck gebracht, dass die gegenseitigen Korruptionsvorwürfe dem Ansehen Albaniens extrem schaden, da sie das ohnehin vorhandene schlechte Image weiter verstärken würden. Die Justiz müsste nun aktiv werden und die Vorwürfe untersuchen.

Endgültige Ordnung am Blakan bleibt ungewiss

Abends ging es dann nach Durres zu einem Essen, das Parlamentspräsident Servet Pellumbi gegeben hat. Dieser war genau über meine Aussagen zum Kosovo im Europäischen Parlament informiert und unterstützte sie auch. Auch Pellumbi meinte, dass die Albaner im Kosovo mehr tun müssten, um die von ihnen angestrebte Unabhängigkeit zu erzielen. Sie zu fordern ist zu wenig, es muss auch demokratische Reife und ethnische Toleranz an den Tag gelegt werden, kurz europäische Standards – auch wenn diese nicht überall in Europa voll verwirklicht werden – sind gefragt.
Wie allerdings die endgültige Ordnung am Balkan vor allem im Hinblick auf die zukünftigen Mitgliederstaaten aussehen wird, kann heute noch nicht gesagt werden. Falls in Mazedonien die Albaner auf Grund ihrer Geburtenrate in 10 oder 15 Jahren die Mehrheit erlangen würden – was die „Mazedonier“ fürchten wie „der Teufel das Weihwasser“ – dann gebe es mit einem unabhängigen Kosovo und Albanien drei „albanische“ Staaten, die um Aufnahme in die EU ansuchen würden!
Aber soweit ist es ja noch nicht, und wir können heute nicht alle zukünftigen Probleme lösen. Heute müssen wir vor allem wirtschaftlich helfen und Albanien unterstützen, dass es als Transitland nicht mehr für die internationale Kriminalität in Frage kommt. Was den Menschenhandel betrifft, ist dies bereits weithin gelungen. Beim Drogenhandel allerdings ist noch viel zu tun.
Athen/Flughafen, 28.10.2003