Finanzspritze für Jugoslawien

Gerade in den nächsten zwei bis drei Jahren ist in der Balkanregion ein hoher Investitionsbetrag in unserem eigenen Interesse gegeben. 
In Serbien geht der Veränderungsprozess weiter. Manchmal mühsamer als gewünscht, aber dennoch stetig. Am Sonntag ist geplant, und ich hoffe es kommt auch dazu, dass wir – Doris Pack und ich – Belgrad einen Besuch abstatten und mit dem neuen Präsidenten Kostunica sowie anderen Vertretern der bisherigen Opposition, also den Mitstreitern von Kostunica, zusammentreffen.
Dabei wollen wir auch herausfinden, wie wir als Parlamentarier helfen können, den Dialog mit Jugoslawien zu intensivieren, aber vor allem auch die finanziellen Beziehungen zwischen EU und Jugoslawien auf eine neue Basis zu stellen.

Finanzielle Vorausschau

Mit dieser Frage wird sich auch heute und morgen der Europäische Rat in Biarritz beschäftigen. Der Rat – und das ist immer wieder auch in den letzten Wochen zum Ausdruck gekommen – möchte Kostunica und die neue Regierung in Belgrad auch finanziell unterstützen. Man möchte es jedoch vermeiden, eine neue finanzielle Vorausschau, die den budgetären Spielraum für die Hilfe an Jugoslawien erhöhen könnte und sollte, zu repetieren. Das Parlament beharrt auf einer solchen Revision, und ich bin im Prinzip auch vom Außenpolitischen Ausschuss beauftragt, wenn es einen Bericht aus dem Budgetausschuss gibt, die Stellungnahme für den Außenpolitischen Ausschuss zu verfassen.
Ich habe die Ermächtigung bekommen, das auch im kurzen Weg gemeinsam mit den Koordinatoren mit den einzelnen Fraktionen zu tun, aber da sich der Rat so beharrlich dagegen wehrt, hat der Budgetausschuss bisher eine Berichtssrevision der finanziellen Vorausschau noch nicht offiziell beschlossen. Und hier geht es weniger um die innerparlamentarischen Diskussionen im Detail, sondern vielmehr darum, dass der Rat, ohne das genauer zu präzisieren, meint, das Geld sei anderswo auffindbar. Aus unserer Sicht ist es weder aus der Region auftreibbar, da ja nach wie vor die gesamte Balkanregion einen großen Nachholbedarf hat, noch aus anderen Regionen, die ohnedies vernachlässigt werden bzw. meinen, dass sie auf Grund des Bedarfes und des Drucks aus dem Balkan, aber auch aus den Erweiterungsländern, in eine schwierige Lage kommen und gewissermaßen zum Stiefkind der europäischen Aufmerksamkeit werden.

Zu wenig Geld für zu viele Aufgaben

Darin liegt sicher etwas Wahres, wenngleich auf Grund von ineffizienten und bürokratischen Strukturen im Rahmen der EU manches Geld, das zur Verfügung gestellt worden ist, gar nicht ausgegeben wurde. Ich meine nun nicht, dass nicht jenen finanziellen Mitteln die Priorität gegeben werden soll, die durch entsprechende Umstrukturierung zumindest kurzfristig machbar sind. Doch mittel- bis langfristig scheint es mir unmöglich zu sein, im gegenwärtigen finanziellen Rahmen die Aufgaben der Erweiterung, des Wiederaufbaus am Balkan und alle anderen Aufgaben in angemessener Form zu erledigen. Es kommt hinzu, dass es einen wiederholt gefassten Beschluss gibt, nicht mehr als 1,27 % des Bruttosozialproduktes der EU-Länder auszugeben. Im heurigen Jahr werden es etwa 1,1 % sein, der Rat schlägt im nächsten Jahr sogar 1,054 % vor.
Aus diesem Weg heraus besteht durchaus ein Spielraum innerhalb der von der EU festgelegten und akzeptierten Obergrenze von 1,27 % des Bruttosozialprodukts. Sicher will man sich bis zum Prozess der Erweiterung noch einiges frei- und vorbehalten, um nicht die Erweiterung automatisch mit einer Erhöhung der Obergrenze zu verbinden.
Aber dennoch meine ich, dass gerade in den nächsten zwei bis drei Jahren in der Nachbarschaft ein hoher Investitionsbetrag in unserem eigenen Interesse gegeben ist. Natürlich, moralisch betrachtet gibt es Grenzen für das finanzielle Engagement in Serbien bzw. Jugoslawien. Wir haben uns in ruhigerem Ausmaß finanziell in Kroatien engagiert, mehr oder weniger auf humanitäre Hilfe konzentriert, solange Kroatien nicht bereit war ,die Grenzen von Bosnien-Herzegowina nicht nur formell anzuerkennen, sonder auch faktisch den Gesamtstaat zu unterstützen und solange Kroatien nicht bereit war, mit dem internationalen Gerichtshof in Den Haag zusammenzuarbeiten. Wenn wir dasselbe heute von Jugoslawien bzw. Serbien verlangen, so würde das, zumindest kurzfristig, Kostunica in große Schwierigkeiten bringen.

Prioritätensetzung

Und so habe ich, wie auch andere, immer wieder betont, ja, Milosevic gehört vor das internationale Tribunal in Den Haag, aber das ist nicht die erste und primär wichtigste Frage, die wir heute stellen. Ja, das neue Jugoslawien muss Bosnien-Herzegowina in seinen neuen Grenzen unterstützen und kräftigen und sich nicht nur auf gute Beziehungen zur Republik Srpska konzentrieren. Aber auch das ist nicht etwas, dass sie von heute auf morgen in vollem Umfang erreichen können.
Was wir aber verlangen müssen, ist sicherlich die Freilassung aller politischen Gefangenen, welcher Nationalität sie innerhalb Jugoslawiens auch gewesen sind, und Serbien muss sicherlich auch vernünftige Angebote nicht nur primär in Montenegro, sondern auch im Kosovo machen, wenn Serbien und Jugoslawien möchten, dass sowohl Montenegro als auch mittel- bis langfristig der Kosovo ein integraler Bestandteil der jugoslawischen Föderation ist – ohnehin schon Föderation, weil es aus meiner Sicht sicherlich unrealistisch ist zu verlangen, dass der Kosovo wieder eine Provinz Serbiens wird. Aber dass der Kosovo gleichberechtigt mit Serbien und Montenegro in einer Föderation spezieller Art das neue Jugoslawien bildet, ist eine Forderung, die man vernünftigerweise haben kann und da gilt es, sowohl gegenüber Jugoslawien als auch gegenüber den Kosovo-Albanern entsprechenden Druck auszuüben.

Der Lauf der Geschichte

Wir wollen keine Vervielfachung von Ministaaten am Balkan, deren gibt es ohnedies genug. Wir wollen keine neuen Grenzziehungen, sondern bestehende Grenzen stabilisieren und zur Grundlage einer neuen Kooperation, einer neuen grenzüberschreitenden Zusammenarbeit machen. Auch wenn es grotesk ist, dass man zuerst Grenzen aufbaut, um sie dann wieder durchlässiger zu machen und vielleicht auch wieder einmal abzubauen.
Aber das ist der Lauf der Geschichte, den wir in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Und das ist auch der Verlauf der Geschichte, der auch im Nahen Osten notwendig ist, wo gerade ungeheure Unruhen den Friedensprozess gefährden. Hier muss ebenfalls dieser Weg gegangen werden, zuerst neue stabile Grenzen zwischen Israel und Palästina zu schaffen, natürlich auch zwischen Israel, Lybien und Syrien, bevor eine neue Form von Kooperation geschaffen werden kann. Heute eine gemeinsame Stadt zwischen Israel und Palästina zu schaffen ist unmöglich, morgen und übermorgen eine Basis für eine enge Kooperation zwischen den beiden Staaten zu schaffen ist möglich, sinnvoll, ja sogar notwendig.  
Wien, 13.10.2000