Für ein soziales und solidarisches Europa

Man kann sich weder vom Rest der Welt noch von den Erweiterungsländern abkapseln. Alle Aussagen in Richtung „Stopp der Erweiterung“, die zumindest implizit suggerieren, dass die Erweiterung schuld an den bestehenden Problemen in Europa ist, sind aus meiner Sicht absolut unsinnig.
Unmittelbar nach den Vorträgen von Jean Claude Juncker und Tony Blair im Europäischen Parlament fand in Wien die Tagung der Europäischen Sozialdemokraten statt. Aus der Zusammenarbeit des Vorsitzenden der Europäischen Partei, Paul Nyrup Rasmussen und der SPÖ kam es zur Ratstagung in Wien, die durchaus auch eine Fortsetzung der Debatte über die zwei Seiten von Europa war.
Allerdings waren einige Premierminister nur sehr kurz anwesend, so dass keine tiefgehende Diskussion entstand. Die Frage, wie es in Europa weitergehen soll und wie insbesondere das ökonomische und das soziale Element miteinander verbunden werden können, blieb offen.

Soziales Europa

Ich selbst habe mich, da Martin Schulz zu diesem Zeitpunkt schon abgereist war, namens unserer Fraktion sehr eindeutig für ein soziales Europa ausgesprochen. Und ich habe gefordert, nicht nur darüber zu diskutieren, sondern durch konkrete Beispielen zu zeigen, wie Europa in eine soziale Richtung gehen kann.
So brauchen wir zwar in Europa einen gemeinsamen Dienstleistungsmarkt, der auch den Ländern Ost-Europas die Möglichkeit gibt, im Bereich der Dienstleistungen am gemeinsamen Markt teilzunehmen. Die Struktur dafür darf aber keinesfalls die Dienstleistungsrichtlinie des Herrn Bolkenstein mit der Gefahr eines sehr starken sozialen Dumpings sein.

Konkrete Beispiele

Außerdem brauchen wir auch in Europa eine Unterstützung der sozialen und öffentlichen Dienste – also der so genannten Dienste im allgemeinen Interesse. Es kann ja nicht nur darum gehen, private Dienstleistungen anzubieten. Die BürgerInnen müssen auch das Gefühl haben, dass es für die Bereiche Erziehung, Gesundheit oder Wohnen eine öffentliche Verantwortung gibt und sie nicht allein auf den freien Markt angewiesen sind.
Schließlich geht es auch um die Arbeitszeitrichtlinie, also darum, wie die Arbeitszeit in Europa nach oben hin begrenzt ist. In diesem Punkt gibt es noch heftige Diskussionen. Die britischen KollegInnen im Europäischen Parlament haben in unserer Fraktion mit uns für eine deutliche Obergrenze der Arbeitszeit gestimmt, während die britische Regierung sehr stark auf ein opting out, also die Möglichkeit eines Ausstiegs aus den Obergrenzen, drängt. Auch hier gilt es, einen vernünftigen Kompromiss zu finden und zu verhindern, dass wir eher in die Richtung gehen mehr zu arbeiten anstatt besser ausgebildete ArbeitnehmerInnen zu haben. Qualität, nicht Quantität lautet die Devise.

Sache der Länder

In diesen drei Bereichen wollen wir in den nächsten Monaten versuchen, sehr konkrete Ergebnisse zu erzielen um zu zeigen, dass dieses Europa sehr wohl sozial ist, ohne im Widerspruch zur Entwicklung eines gemeinsamen Marktes und zu entsprechenden Anpassungsmaßnahmen, die eine internationale Wettbewerbsfähigkeit ermöglichen, zu stehen. Genau das ist allerdings vor allem auch die Aufgabe der einzelnen Länder.
Es ist nicht zu übersehen, dass kleine Länder, die offen für internationale Handelsbeziehungen sind und versucht haben, die Erweiterung gut zu nutzen, besser dastehen als die großen, die oft geglaubt haben, nach außen sehr aktiv zu sein, aber im inneren keine Reformen durchführen zu müssen.

Stufenweiser Prozess

Mir geht es ganz sicher nicht um ein Nachlaufen hinter liberalen Vorstellungen. Sehr wohl müssen wir uns aber darauf vorbereiten, dass die heute notwendige Auseinendersetzung mit den großen Konkurrenten China, Indien, aber – im landwirtschaftlichen Sektor – auch mit Brasilien entsprechende Anpassungsschritte erfordert. Und diese sollten rechtzeitig und stufenweise gesetzt anstatt von außen aufgezwungen zu werden.
In diesem Zusammenhang steht auch die Debatte über die Erweiterung. Ich kann nur wiederholen, dass ich absolut dazu stehe, dass die Erweiterung Europa und auch Österreich viel gebracht hat. Sie hat uns insgesamt konkurrenzfähiger gemacht, vor allem jene Länder, die sie gut ausgenützt haben: durch Investitionen, durch gemeinsame Aktivitäten, durch das Heranziehen von Investitionen und Arbeitskräften aus unseren Nachbarländern. Derartige Maßnahmen müssen stufenweise erfolgen. Man darf dabei die eigenen Arbeitsplätze und ArbeitnehmerInnen nicht vernachlässigen – daher sind Übergangsfristen durchaus sinnvoll.

Wider die Solidarität

Man kann sich weder vom Rest der Welt noch von den Erweiterungsländern abkapseln. Alle Aussagen in Richtung „Stopp der Erweiterung“, die zumindest implizit suggerieren, dass die Erweiterung schuld an den bestehenden Problemen in Europa ist, sind aus meiner Sicht absolut unsinnig. Sie mögen gewissen populistischen Strömungen entgegen kommen. Aber sie zeigen nicht vom Verständnis dessen, was wir in Europa brauchen. Und sie sind absolut unvereinbar mit der internationalen Solidarität, für die ja gerade unsere sozialdemokratische Partei stehen sollte – in Europa, aber auch auf nationaler Ebene.
In besonderem Ausmaß gilt das für den Balkan. Ich würde es für absolut desaströs halten, würden wir jetzt am Balkan etwa im Falle Kroatiens signalisieren, dass mit einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union grundsätzlich nicht zu rechnen ist – zumindest nicht in absehbarer Zeit.

Perspektiven geben

Wir müssen diese Länder ganz im Gegenteil motivieren, Fortschritte zu machen. Wir müssen aufzeigen, dass wir sehr genau darauf achten werden, ob sie entsprechende Reformen durchführen. All das muss aber mit der Perspektive der Mitgliedschaft geschehen. Auch aus österreichischer Sicht. Wir haben ein großes wirtschaftliches, aber auch menschliches und humanitäres Interesse, dass sich unsere Nachbarn positiv entwickeln und eine derartige europäische Perspektive haben.
Parallel müssen wir uns in Europa auf weitere Schritte der Erweiterung vorbereiten und unsere Institutionen entsprechend reformieren, die Entscheidungsstrukturen verbessern und effizienter gestalten. Notwendige Maßnahmen, die allesamt in der Verfassung vorgesehen waren.

„Lichter der Berührung“

Zu den Regierungen des Balkans habe ich zugegebenermaßen eine persönliche und emotionale Einstellung. Mich hat schon immer die Geschichte und Entwicklung der Monarchie interessiert – und ganz besonders beeindruckt hat mich die Geschichte dieser Region mit ihrem türkischen Einfluss und ihrer Literatur, ohne ein Experte auf diesem Gebiet zu sein. Erst kürzlich habe ich „Lichter der Berührung“ von Dragan Velikic gelesen. Die Handlung des Buches spielt in Wien, Belgrad, Triest und Pula und beschreibt die Vernetzung gerade Österreichs und insbesondere Wiens mit den Regionen südöstlich von unserem Land.
Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass wir gerade auch aus österreichischer Sicht in diesen starken geschichtlichen Verbindungen und Vernetzungen, aber vor allem auch den wirtschaftlichen Zusammenhängen des Heute sehr für diese Region eintreten und verhindern sollten, dass es zu neuen Unruhen und Disputen kommt, wenn dieser Region die europäische Perspektive weggenommen wird.
Während ich die „Lichter der Berührung“ las, wurde übrigens Dragan Velikic zum Botschafter Serbien-Montenegros in Österreich bestimmt. Es freut mich sehr, dass ein Mann, der zweifellos über nationalistische und andere Grenzen hinweg denkt und arbeitet, das Amt eines Botschafters inne hat.

Wien, 26.6.2005