Für einen politischen und effizienten Parlamentarismus

Wir müssen unsere parlamentarische Arbeit reformieren und politisieren und dürfen uns nicht auf die bürokratischen Elemente der Alltagsarbeit beschränken.  
Bei aller Konzentration auf Österreich und darauf, einen richtigen Weg zu finden, die Kritik an der Regierung und am Land ernst zu nehmen, gilt es gerade jetzt mehr denn je mit Selbstbewußtsein zumindest jene Wählerschicht zu vertreten, die mich persönlich als Sozialdemokraten gewählt hat und die von dieser Regierung zutiefst enttäuscht ist.

Die ganz „normale“ Arbeit

Es bleibt außerdem die ganz alltägliche und „normale“ Arbeit als Abgeordneter zu leisten bzw. als Vizepräsident der Fraktion für parlamentarische Angelegenheiten. Als solches ist es meine Aufgabe, mit den sogenannten Koordinatoren in den einzelnen Ausschüssen die Arbeit der Plenartagungen vorzubereiten, danach zu trachten, daß wir gute Entscheidungen im Plenum zustande bringen, daß die internen Divergenzen gelöst oder zumindest in den Hintergrund gedrängt werden.
Die Koordinatoren, also die Fraktionsvorsitzenden innerhalb der einzelnen Ausschüsse, sind sehr selbstbewußte Vertreter der sozialdemokratischen Ausschußmitglieder, die nicht immer daran interessiert sind, daß man sich in ihre Angelegenheiten einmischt, die aber auf der anderen Seite, immer dann, wenn sie es für notwendig halten, Hilfe und Unterstützung einfordern. Aber das ist nur eine verständliche menschliche Eigenschaft, die ich auf allen Ebenen der Politik und der Verwaltung kennengelernt habe.

Von der Bürokratisierung zur Politisierung

Ich habe jedenfalls mit meinem neuen Mitarbeiter auf fraktioneller Ebene, einem jüngeren Luxemburger, an einem Reformkonzept für unsere Arbeit gearbeitet. Dieser junge Mann, der bisher Mitarbeiter des Koordinators im Wirtschaftsausschuß war, wollte zuerst nicht so recht wechseln. Aber nachdem die Generalsekretärin der Fraktion und ich selbst besprochen haben, daß wir unsere Arbeit reformieren und politisieren wollen und daß wir nicht auf die bürokratischen Elemente der Alltagsarbeit beschränken möchten, hat er zugesagt, mich als Vorsitzenden der Koordinatoren zu unterstützen. Ich bin sehr froh darüber, denn er hat von Anfang an mit großem Engagement meine Ideen unterstützt und eigene wichtige Ideen eingebracht.
So konnten wir auch ein besseres Modell zur Arbeitsweise der Koordinatoren erarbeiten. Wir müssen in Zukunft klarer definieren, wo bei einzelnen Gesetzesanträgen und Berichten Konflikte bestehen – interne Konflikte innerhalb der Fraktion, vor allem zwischen den Delegation aus den verschiedenen Ländern, und externe Konflikte zwischen anderen Fraktionen. Und wir müssen es schaffen, eine verbesserte mediale Präsentation unserer Vorhaben und unseres Abstimmungsverhaltens zu erreichen sowie vor den Plenarsitzungen unsere Ziele festzulegen und danach zu überprüfen und zu evaluieren, ob wir diese Ziele auch erreicht haben.

Bruchlinien

In unserer parlamentarischen Arbeit verlaufen im übrigen die Konflikte zu den anderen Fraktionen sehr unterschiedlich. Mit den Konservativen ergeben sich vor allem Konflikte im Rechtsbereich, wo es um individuelle Freiheiten geht, um die Rechte der Zuwanderer und der Minderheiten – hier gibt es den liberalen Kern auf unserer Seite und einen harten konservativen Kern der Europäischen Volkspartei auf der anderen Seite.
In Fragen der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik dagegen verlaufen die Bruchlinien anders. Hier wirkt sich besonders deutlich aus, daß wir nach den letzten Wahlen nur die zweitstärkste Fraktion sind. Und da können wir oftmals unserer sozialpolitischen Vorstellungen gegen die Front der Liberalen und Konservativen nicht umsetzen.
Im Bereich der Wirtschaftspolitik sind die Bruchlinien etwas diffuser, verlaufen unterschiedlich, da die Liberalen dort, wo es um stärkere aus ihrer Sicht dirigistische Eingriffe geht, gegen uns stimmen, in anderen Fällen wieder durchaus manchmal unsere Vorstellungen teilen.

Die „Konferenz der Präsidenten“

Die unterschiedlichen inhaltlichen Vorstellungen kommen natürlich gerade bei der Planung und Organisation der Plenarsitzungen zum Ausdruck. Die Frage, welche Tagesordnungspunkte wann auf die Tagesordnung gesetzt werden und welche mediale Bedeutung diesen Situierungen eingeräumt wird, beeinflußt natürlich nicht nur die Außeneindrücke der parlamentarischen Arbeit, sondern auch das Abstimmungsergebnis, zum Beispiel durch die Anzahl der Abgeordneten, die bei den jeweiligen Abstimmungen anwesend sind, welche größeren mündlichen Anfragen – sei es an die Kommission oder an den Rat – zugewiesene werden, in welche Stoßrichtungen die Resolutionen verfaßt werden, wie jetzt etwa vor dem Beschäftigungsgipfel in Lissabon, bzw. wie die Vorschläge der EU-Kommission für ihr Gesetzgebungswerk im heurigen Jahr beurteilt werden, hat nicht nur organisatorische , sondern auch politische Aspekte.
All das wird in der sogenannten Konferenz der Präsidenten diskutiert, die unter Vorsitz der Parlamentspräsidentin alle Fraktionsvorsitzenden umfaßt. Da unser Vorsitzender Enrique Baron beim Vorstand der sozialdemokratischen Partei Europas anwesend sein wollte, habe ich es wieder einmal übernommen, ihn bei der Konferenz der Präsidenten zu vertreten. Wie in den meisten Fällen konnten wir auch diesmal große Übereinstimmung hinsichtlich der Tagesordnung finden. Mein Verhältnis zum Vorsitzenden der größten Fraktion, der Europäischen Volkspartei EVP, ist relativ gut, da ich ihn aus dem Auswärtigen Ausschuß schon seit einiger Zeit. Vielleicht hilft auch manchmal die gemeinsame deutsche Sprache, eine rasche und gute Verständigung herbeizuführen.

Zeichen setzen

Im Laufe der dieswöchigen Konferenz der Ausschußvorsitzenden habe schließlich ich auch unsere Präsidentin gebeten, daß sie selbst an der Eröffnung der Rassismusbeobachtungsstelle in Wien am 7. April teilnimmt. Sie wollte diese Aufgabe an Renzo Imbeni delegieren. Ich hielt dem aber entgegen, daß es besser sei, wenn die Präsidentin selbst, die noch dazu keine Sozialistin ist, angesichts der vielen unfundierten Gerüchte über ein sozialistisches Komplott gegen die schwarz-blaue Regierung, an dieser Eröffnung teilnimmt. Der Vorsitzende der EVP konnte schließlich nicht anders, als diesen meinen Wusch zu unterstützen – und so war es auch mit allen anderen Vorsitzenden, so daß sich Nicole Fontaine, die Präsidentin des EU-Parlaments, gezwungen sah, sich dieser heiklen Aufgabe zu unterziehen.
Ansonsten allerdings spielte Österreich, zumindest bei dieser Sitzung, keine Rolle. Und es war durchaus angenehm, sich einmal intensiv um das normale, aber nicht unwichtige parlamentarische Geschehen zu kümmern – und nicht nur um Kritik und die Verteidigung von Österreich. 
Brüssel, 10.3.2000