Fraktionssitzung in Athen

athenUm der griechischen Regierung, die sich bemüht, die Fehler der Vergangenheit und der vergangenen Regierungen gut zu machen, unsere Unterstützung und Solidarität zu beweisen, hielten wir in Athen eine Fraktionssitzung ab. Neben den routinemäßigen Vorbereitungen auf die kommenden Plenarsitzungen und einem intensiven Gespräch mit dem Außenminister im kleinen Kreis, hatten wir ausführliche Diskussionen mit Premierminister Papandreou und seinem leidgeprüften Finanzminister.

Athen macht einen sehr guten und in vielfacher Hinsicht wohlhabenden Eindruck. Es hat sich jedenfalls nicht zuletzt auf Grund der Olympischen Spiele und der dafür erbrachten Investitionen gemausert. Und demgemäß waren viele KollegInnen, die zum ersten Mal nach Athen kamen, sehr überrascht. Wobei auch das angenehme Frühlingswetter und die Sonne einen Beitrag zur guten Stimmung beitrugen. Nur die Demonstrationen und die dadurch verursachten besonderen Sicherheitsmaßnahmen verdeutlichen die spezielle Krise. Es ist eine schier unmögliche Aufgabe die die sozialistische griechische Regierung übernommen hat. Und diese geht sie mit Entschlossenheit und bewundernswerter Ruhe an.

Selbstverständlich führen die getroffenen Maßnahmen im Lande zu Diskussionen und auch in der Fraktion steht die “ Austerity“ Politik immer wieder am Pranger. Und sympathisch kann sie einem als Sozialdemokrat sicher nicht sein. Aber haben die betroffenen Länder eine Alternative? Prinzipiell müssen Länder wie Griechenland ihre Wirtschaft und ihr Budget in Ordnung bringen. Und das geht ohne strenge Sparmaßnahmen nicht. Dass dabei die Rating Agenturen mit ihrer unverantwortlichen Bewertungspolitik Öl ins Feuer gießen, ist eine andere Geschichte. Zuletzt hat der Beschluss über einen EU weiten Stabilisierungsfonds (ESM) sogar für Griechenland eine Abwertung mit sich gebracht. Denn so „argumentieren“ die Agenturen, die Inanspruchnahme der Mittel aus dem ESM würde mit einer Entschuldung Griechenlands einhergehen und das bedeutet einen „haircut“, also einen Einkommensverlust für die privaten Anleger. So kraus die Logik sein mag, Griechenland kann sich auf den Finanzmärkten nicht gegen die Konsequenzen dieser Logik wehren.

Nach der Diskussion mit dem griechischen Finanzminister Papaconstantinou hat mich ein griechischer Autor, der gerade ein Buch über die europäische Sozialdemokratie schreibt, zu diesem Thema interviewt. Konkret fragte er mich unter anderem, was ich unter einem sozialen Europa verstehe und ob diese Forderung heute noch Sinn mache? Nun, ich war immer schon skeptisch gegenüber einem inflationären Gebrauch dieses Begriffs. Aber mangels eines besseren habe ich ihn natürlich auch gebraucht, aber doch immer abgegrenzt gegenüber dem relativ klar definierten Begriff Sozialstaat.

Aber klar ist für mich, dass zu einem sozialen Europa die Verringerung der Einkommensschere zwischen Arm und Reich gehört. Und da ist angesichts der wachsenden Ungleichheit viel vernachlässigt worden. Leider haben auch manche Sozialdemokraten die wachsende Einkommenskluft übersehen. Ich bin froh, dass Premierminister Papandreou auf diese Problematik eingegangen ist. Zur Verteilungsgerechtigkeit gehört auch, dass die Gewinne – und vor allem solche auf den Finanzmärkten – die Löhne nicht überholen. Aber genau das ist in vergangenen Jahren geschehen.

Selbstverständlich gehört zu einem sozialen Europa die Harmonisierung von Mindeststandards auf sozialem Gebiet. Aber auch das klingt einfacher als es ist, da sowohl die sozialrechtlichen Traditionen als auch die Einkommensniveaus sehr unterschiedlich sind. Und jedenfalls dürfen die Mindeststandards höhere Standards nicht verhindern.

Eine ausgeprägte und funktionierende Sozialpartnerschaft gehört auch zum sozialen Europa. Und unter Sozialpartnerschaft verstehe ich ein System von Verhandlungen und Vereinbarungen, bei dem beide Seiten gleich stark sind. Jedenfalls müssen die Gewerkschaften die in der Wirtschaft ohnedies stärkere Stellung der Unternehmerschaft kompensieren können. Und die Globalisierung hat ohnedies die Position der Unternehmer gegenüber der der Arbeitnehmer gestärkt. Umso mehr müsste man den Arbeitnehmern und deren Interessenvertretungen eine Chance geben, die europäische Wirtschafts- und Sozialpolitik zu beeinflussen. Da die Interessen der Arbeitnehmer und deren Vertretungen von Hochlohn- und von Niedriglohnländern oftmals divergieren, wäre eine besondere Berücksichtigung und Einbeziehung der Gewerkschaften in europäische Entscheidungsprozesse besonders gerechtfertigt.

Angesichts Wirtschaftskrise und Globalisierung mit einem verstärkten globalen Wettbewerb kann das Ziel eines sozialen Europas nicht in der Übertragung des Wohlfahrtsstaates und seiner Errungenschaften auf die europäische Ebene bestehen. Aber gerade der verstärkte weltweite Wettbewerb, der den Arbeitnehmern zum Unterschied zu den Unternehmern kein Ausweichen in „günstigere“ Länder erlaubt bzw. es ihnen nicht möglich macht, damit zu drohen, schwächt die Arbeitnehmerschaft besonders. Stärkere und stärker koordinierte Gewerkschaften könnten mehr erreichen und das ist sicher auch eine der großen Aufgaben, die die Gewerkschaften genauso erreichen müssen wie die sozialdemokratischen Parteien Europas.

Vieles was in letzter Zeit vor allem im Zusammenhang mit der Krise einiger Euroländer vorgeschlagen wurde ist nicht falsch. Aber es fehlen einige wichtige Maßnahmen, wie zum Beispiel gemeinsame Euroanleihen und ein stärkeres Bekenntnis zur Finanztransaktionssteuer, die im Übrigen auch einen wesentlichen Bestandteil eines sozialen Europas darstellen würde. Und in diesem Sinn sind die Vorschläge nicht ausgewogen und vor allem nicht sozial ausgewogen.