Gasstreit: Konsequenzen für Europa

Wir brauchen eine selbstbewusste, gemeinsame europäische Energiepolitik auf dem Gassektor. Und diesbezüglich gilt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten
Wieder, wie unter der österreichischen Präsidentschaft, kam es zu einem Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine. Rat und Kommission reagierten spät und schwach.

Schmerzliche Konsequenzen

Da ich in der Fraktionswoche den Vorsitz führte, lud ich ukrainische und russische Vertreter in unseren Vorstand ein. Ebenso beharrte ich auf der Anwesenheit von Präsident Barroso in der Parlamentspräsidiale, also der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden. Die Lage blieb verworren. Was aber immer mehr klar wurde, war, dass es an einer gemeinsamen, europäischen Energiepolitik mangelt. In diesem Zusammenhang formulierte ich einige grundsätzliche Gedanken welche Lehren die EU aus der gegenwärtigen Krise ziehen sollte.
Die jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Russland und der Ukraine hatten schmerzliche Auswirkungen auf viele KonsumentInnen in einigen Ländern der EU. Für diese Konsequenzen kann man drei Verantwortliche ausfindig machen: Russland bzw. Gazprom, die Ukraine bzw. Naftogas sowie die EU selbst, vor allem die Kommission, aber auch die französische und die tschechische Ratspräsidentschaft. Denn die EU hat die Anzeichen, dass es zu einer Wiederholung der Ereignisse von Anfang 2006 unter der österreichischen Präsidentschaft kommen könnte, nicht ernst genommen. In der Tat kam es sogar noch viel schlimmer.

Gemeinsame Energie- und im konkreten Gaspolitik entwickeln

Am 2. Oktober unterzeichneten die beiden Ministerpräsidenten Vladimir Putin und Yulia Tymoshenko ein Abkommen, das nicht nur die Gaslieferungen von Russland an die Ukraine betraf, sondern auch den Gastransit nach Europa. Wenige Tage später wurde dieses Memorandum durch ein Abkommen zwischen Gazprom und Naftogas ergänzt. Darin bekundete man die Absicht, noch vor dem 1. November 2008 (!) einen langfristigen Kontrakt für den Transit von Gas zu vereinbaren. Und noch vor dem 30. 10.2008 (!) sollten auch die Vereinbarungen hinsichtlich der Gaslieferungen aus Zentralasien unter Dach und Fach sein. Aber die EU hat selbst dann nicht reagiert, als klar wurde, dass all diese Zielsetzungen nicht erreicht wurden.
Kein Wunder also, dass Beobachter und Kritiker wie Timothy Garton Ash auch in diesem Zusammenhang die EU als „lächerlich, schwach und aufgeblasen“ bezeichnen und „fast die verächtlichen Reaktionen von Gazprom und Putin teilen“. Wenigstens nach den Erfahrungen der letzten Wochen sollten wir die Konsequenzen aus diesem Desaster ziehen und eine gemeinsame und kohärente Energie- und im konkreten Gaspolitik entwickeln.

Verpflichtung aller Mitgliedsländer zur Anlegung von Gasreserven

Wir müssen uns im Klaren sein, dass Russland weiter eine zentrale Rolle für die europäische Gasversorgung spielen wird. Aber alle Möglichkeiten der Diversifizierung, also der Versorgung aus anderen Gasressourcen, müssen angedacht und umgesetzt werden. Dabei geht es sowohl um die für Österreich besonders wichtige Nabucco-Pipeline in den Kaspischen Raum als auch um eine Trans-Sahara-Pipeline aus Nigerien über Algerien. Viele dieser betreffenden Regionen haben ihr eigenes Risikopotential, aber Europa muss eine wohldurchdachte Risikostreuung betreiben. Dazu gehören auch vermehrte Terminals für LNG, also verflüssigtes Gas. Nur bei gleichzeitiger Diversifizierung sollten weitere Pipelines zwischen der EU und Russland gebaut werden. Bilaterale Abkommen sollten mit einer umfassenden EU-Energiepolitik abgestimmt werden.
Weiters braucht man verstärkte Investitionen in das europäische Verteilernetz. Dabei geht es auch um vermehrte Verbindungen zwischen den einzelnen Pipelines um Versorgungsprobleme in einem Teil Europas durch Umlenkungen temporär ausgleichen zu können. Allerdings bedarf es auch einer koordinierten Lagerpolitik und vor allem der Verpflichtung aller Mitgliedsländer zur Anlegung von Gasreserven. Nur so können dann die angedachten Solidaritätsmaßnahmen funktionieren.

Es braucht trilaterale Vereinbarungen

Wie schon erwähnt, Russland bleibt trotz alledem ein wichtiges Versorgungsland und die Ukraine ein wichtiges Transitland. Daher braucht es trilateraler Vereinbarungen zwischen der EU, Russland und der Ukraine. Am besten wäre natürlich ein gemeinsames Eigentum an den Transitleitungen zwischen Unternehmungen aus den drei Regionen. Eine solche internationale Betreiberorganisation wurde ja schon vor einiger Zeit angedacht, jetzt ist der Augenblick, darauf zurück zu kommen. Die EU müsste auch klarmachen, dass bei mangelndem Willen zur Zusammenarbeit Russland und die Ukraine nicht mit einem Entgegenkommen seitens der EU rechnen könne. Weder gäbe es dann eine Fortsetzung des Annäherungsprozesses im Falle der Ukraine noch könnte – im Falle Russlands – Gazprom mit einem verstärkten direkten Einsatz auf unseren Gasmärkten rechnen. Europa braucht verlässliche und zur engen Zusammenarbeit bereite Partner.
Selbstverständlich sind all diese Maßnahmen auf dem Gassektor von all den grundsätzlichen Strategien des Energiesparens, der Erhöhung der Energieeffizienz und der vermehrten Orientierung an nachhaltigen Energieformen zu begleiten. Dazu gehören nicht nur Maßnahmen in Europa selbst, sondern auch Kooperationen mit anderen Kontinenten, z. B. auch die Nutzung der enormen Möglichkeiten der Solarenergie im Norden Afrikas. Aber all dies ersetzt nicht eine selbstbewusste, gemeinsame europäische Energiepolitik auf dem Gassektor. Und diesbezüglich müssen die EU-Kommission und das EU-Parlament noch viel Überzeugungsarbeit leisten, aber ich glaube, wir hätten die europäische Öffentlichkeit auf unserer Seite.

Brüssel, 8.1.2009