Geld für den Kosovo

Mit dem neuen Programm „CARDS“ will die EU-Kommission in den Jahren 2000 – 2006 1,1 Milliarden Euro für den Kosovo ausgeben. 
Es ist 22 Uhr vorbei und man hört den Muezzin rufen. Eigentlich hat man nicht den Eindruck, dass Pristina eine sehr muslimische Stadt ist. Es gibt einige Moscheen, in der Ferne hört man, so wie jetzt, den Muezzin, aber die Menschen und das Treiben in den Straßen und Gassen der Stadt, vor allem die flanierenden Jugendlichen – sie machen nicht den Eindruck, als seien sie als Muslime anders als die Jugendlichen in anderen Städten unseres Kontinents.

Ankunft mit Hindernissen

Ich bin jetzt den zweiten Tag am Balkan. Gestern, zweimal von Warschau aus gestartet und letztendlich doch – mit großer zeitlicher Verzögerung – von Wien nach Skopje geflogen, landete ich um etwa drei Uhr nachmittags in der mazedonischen Hauptstadt. Von dort brachte mich ein Auto – die anderen Kollegen waren schon voraus gefahren – über die Grenze bei Blace nach Pristina. Der Grenzübergang bei Blace hat traurige Berühmtheit erlangt, weil es hier in der Vergangenheit zu ungeheuren Staus kam. Man war nicht darauf vorbereitet, den massiven Verkehr und vor allem die vielen LKWs aufzunehmen, die die Versorgung des Kosovo sicherzustellen hatten.

Grenzverkehr

Auch gestern gab es viel Verkehr, allerdings war die Wartezeit durch eine Verbesserung der Grenzabfertigung auf insgesamt etwa eine Stunde reduziert, während man noch vor einiger Zeit etwa drei bis vier Stunden warten musste. An der Grenze selbst herrschte reges Treiben, unter anderem waren drei Busse mit Albanern, die nach Deutschland geflüchtet waren, unterwegs – die Flüchtlingsrückkehr ist also noch voll im Gang. Was mögen sich die Rückkehrer aus Deutschland denken? Ich bin mir gar nicht sicher, ob sie freiwillig zurückkehren oder zurückgekehrt werden. Sind sie froh, wieder in ihre Heimat zu kommen oder sind sie traurig, dass sie eine neu gefundene Heimat in Deutschland wieder aufgeben müssen, um zu ihren Brüdern und Schwestern in die Armut zurückzukehren?
Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass wir uns heute wahrscheinlich kaum in das Schicksal von Menschen versetzen können, die in ein fremdes Land vertrieben werden, ohne die Sprache zu kennen und die wieder zurückgetrieben werden in ihre ursprüngliche Heimat, die aber für sie eine Stätte der Armut und Entbehrung und vielleicht letztendlich auch des Grauens geworden ist.

In Pristina angekommen, habe ich meine Kollegen vom Europäischen Parlament getroffen, die bereits mitten in einem Briefing seitens der Kosovo-Agentur der Europäischen Kommission steckten. Der Zweck unserer Reise ist ja nicht im Allgemeinen ein Informationsaustausch oder eine Solidaritätserklärung mit den Kosovo-Albanern und/oder den Kosovo-Serben. Nein, unsere Reise – an der Parlamentarier des Außenpolitischen- und des Budgetausschusses des Europaparlaments teilnehmen – dient der Überprüfung der Aktivitäten der EU, vor allem aber auch der Überprüfung jener Aufgaben, die die EU in Zukunft zu füllen haben wird.

Wiederaufbau-Programm

Ist es realistisch, dass in den nächsten Jahren insgesamt 5,5 Milliarden Euro auf dem Balkan ausgegeben werden sollen? Kann der Balkan, insbesondere der Kosovo, jene Mittel auch absorbieren und tatkräftig umsetzen, die hier vorgesehen sind – für die Infrastruktur, für den Wiederaufbau, für die Landwirtschaft? Das sind Fragen, die wir uns im Europaparlament stellen. Einerseits hat die EU-Kommission den Vorschlag gemacht hat, die finanzielle Vorausschau insofern zu ändern, als 5,5 Milliarden Euro für die nächsten Jahre zur Verfügung gestellt werden sollen und andererseits wird aus dem Rat, d.h. von den Vertretern der Mitgliedsländer, in Zweifel gezogen, ob diese Mittel auch wirklich am Balkan und insbesondere am Kosovo sinnvoll umgesetzt werden können.
Nach dem Vorschlag der Kommission sollen mit dem neuen Programm „CARDS“ in den Jahren 2000 – 2006 1,1 Milliarden Euro für den Kosovo ausgegeben werden. Für Serbien, unter der Voraussetzung, dass Milosevic verschwindet, soll es in etwa 2,3 – 2,5 Milliarden Euro geben. Der Rest soll vor allem nach Albanien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Montenegro sowie in einige übergeordnete Regionalprojekte fliessen. Einerseits ist das viel Geld, wenn man allerdings den Bedarf hier sieht, auch wieder wenig.

Theorie und Praxis

Ist es also die richtige Summe, wenn man Bedarf und Umsetzungsfähigkeit in Relation stellt? Natürlich bekommen wir auf diese Frage nicht von heute auf morgen eine Antwort. Das, was man uns gestern Abend mitteilte, war ein Überblick über die Ideen und Vorstellungen der Kosovo-Agentur der EU sowie über jenen Bereich, der im Rahmen von UNMIK, also der Vereinten Nationen, die im Kosovo tätig sind, durch die EU zumindestens mitfinanziert werden soll und wo die Europäische Union durch ihren Vertreter Joly Dixon die Hauptverantwortung trägt.

Ja, es wird mit dem Wiederaufbau begonnen – man beginnt, ein Bankensystem zu schaffen, Steuern einzutreiben und Gebühren für Leistungen, beispielsweise für Strom und Wasser, zu erheben. So versucht man, auch diesen Staat Kosovo – ob es nun irgendwann ein unabhängiger Staat oder ein Teilstaat in Jugoslawien sein wird – auch arbeits-, funktions- und überlebensfähig zu machen.

Es ist dabei viel guter Wille vorhanden, und es ist sicherlich auch schon viel geschehen. Das Straßenbild ist, wie gesagt, ein ganz anderes, als es sich uns im Oktober dargeboten hat. Und es ist auch ein ganz anderes, als ich es mit einer kleinen Parlamentarier-Delegation vor über zwei Jahren erlebt habe, also noch vor den kriegerischen Ereignissen des Vorjahres.

Strom für den Winter

Heute Früh besuchte unsere Delegation einen Komplex, der aus zwei Kraftwerken und mehreren Kohlebergwerken besteht. Die Kraftwerksblöcke A und B – Kosovo A und B – haben Berühmtheit erlangt, weil sie einerseits sehr veraltete Kraftwerke, anderseits aber einfach notwendig sind, um ein Minimum an Strom und Wärme im Kosovo zu erzeugen und anzubieten.
Der vergangene Winter war sicherlich furchtbar für die BewohnerInnen des Kosovo, und er war sicher auch nicht einfach für die vielen Helfer der internationalen Organisationen und der zur Hilfe bereiten Staaten. Oft gab es – wenn überhaupt – nur zwei bis drei Stunden Strom und Heizung. Im nächsten Winter soll es besser werden. Aber durch die Flüchtlingsrückkehr gibt es mehr Stromkonsumenten als zuvor. Und es gibt höhere Ansprüche. Deshalb bemüht sich die EU massiv, vor allem das modernere der beiden Kraftwerke so in Stand zu setzen, dass dieser Winter gut überstanden werden kann.

Von Umweltverträglichkeit keine Spur

Dazu braucht man aber 160 Millionen Mark, die derzeit noch nicht garantiert sind. Damit könnte man allerdings das aus den 80er-Jahren stammende Kraftwerk B einigermaßen in Schwung bringen. Und den aus den 60er-Jahren stammenden Kraftwerksblock A sowieso. Beide sind sicherlich nicht besonders umweltfreundlich – eher das Gegenteil ist der Fall -, aber die Umweltverträglichkeit ist etwas, was heute hier kaum jemanden interessiert. Hauptsache, man hat wenigstens Strom…
Neben dem Kraftwerk liegen mehrere Kohlebergwerke, die wirtschaftlich mit dem Kraftwerk verbunden sind. Es sind ungeheure Flächen, die hier dem Tagbau gewidmet sind. Auch diesbezüglich würde man aber noch heuer 3 – 4 Millionen Mark benötigen, um wichtige Verbesserungen in Angriff zu nehmen. Es muss beispielsweise auch ein kleiner Fluss umgelegt werden, der heute mitten durch das Bergwerksgelände fließt und einerseits für Wassereinbrüche sorgt, andererseits aber den effizienten Abbau von Kohle verhindert.
Die hier abgebaute Kohle ist nicht die schlechteste – sie hat einen relativ hohen Heizwert und einen relativ geringen Schwefelwert. Deshalb meinen viele, dass dieser Bergbau, der gleich in der Nähe der Stadt Pristina stattfindet, Zukunft hat. Kaum eine andere Kohle auf europäischem Boden kann der internationalen Konkurrenz so Stand halten wie die Kohle aus diesem Gebiet nahe von Pristina.

Zielsetzungen

Der Eindruck, den wir von Kraftwerk und Bergbau hatten, war trotzdem insgesamt nicht der Beste. Zum Teil war er eher erschütternd. Aber man wird damit leben müssen und man wird froh sein, wenn man jene notwendigen Mittel erhält, um Kraftwerk und Bergbau so in Schwung zu bringen, dass den Kosovo-Bewohnern wenigstens ein erträglicher Winter gewährleistet werden kann.
Natürlich gibt es auch mittel- bis langfristige Zielsetzungen, die der Wirtschaft, der Wirtschaftlichkeit des Kraftwerkes, natürlich auch der Kohleproduktion entgegen kommen würden. Zum Beispiel eben das Ziel, dass alle in Zukunft für den Strom bezahlen. Heute wird es schon als großer Erfolg angesehen, dass 22% der Stromkonsumenten ihre Stromrechnung auch einigermaßen regelmäßig bezahlen. Das ist nicht verwunderlich, bei der Armut, die hier herrscht. Es ist aber trotzdem nicht akzeptabel, dass es so Wenige sind, wenn man weiß, dass für weniger wichtige Dinge auch viel Geld ausgegeben wird. Die öffentliche Versorgung auf eigene Beine zu stellen, ist eine elementare Notwendigkeit.

Zu Besuch bei der KFOR

Nach einem Mittagessen mit Vertretern der Weltbank und verschiedener amerikanischer Hilfsorganisationen ging es schließlich mit dem Hubschrauber nach Subareka. Dort empfing uns die KFOR, die hier im Wesentlichen aus österreichischen Militärs besteht. Unter Eskortierung österreichischer Militärfahrzeuge besichtigten wir mehrere Haus-Projekte, also Projekte, bei denen durch EU- und Nachbarschaftshilfe bzw. auch durch Familienarbeit viele ganz oder teilweise zerstörte Häuser wieder aufgebaut worden sind. Unser Besuch fand großen Anklang bei den Bewohnern dieser Häuser und auch bei den Medien aus dem Kosovo.
Ich selbst unterhielt mich mit dem Kommandanten und einigen Offizieren des österreichischen Bundesheers. Sie sind nicht nur zur Sicherheit da, sondern sie versuchen auch, helfend ins Alltagsleben einzugreifen. Unter anderem haben sie ein Projekt „Kinder weg von der Straße“ initiiert, mit dem sie versuchen, durch die Anlage von Spiel- und Sportplätzen den Kindern und auch den Jugendlichen eine andere Beschäftigung zu geben, als auf der Straße herumzulungern und sich zu fadisieren oder vielleicht auch manchen Unsinn zu unternehmen.

Österreichisches Engagement

So wie auch bereits in Bosnien war ich sehr beeindruckt von der Tätigkeit und dem Engagement der österreichischen Soldaten. Sie geben ein gutes Beispiel für praktische Hilfe und dafür, durch persönliches Engagement mit öffentlicher und privater Unterstützung etwas Sinnvolles auf die Beine zu stellen.
Sicher – sie werden nicht schlecht bezahlt, aber es ist ja auch nicht unbedingt besonders aufbauend oder aufregend, hier im Kosovo Dienst zu tun. Das, was sie tun, machen sie jedenfalls mit großem Engagement und der Bereitschaft, nicht nur zuzuschauen, sondern auch tatkräftig zu helfen. Und diese Einstellung finde ich äußerst positiv.

Am Nachmittag ging es mit dem Hubschrauber wieder zurück nach Pristina, wo wir Gespräche mit einigen Nicht-Regierungsorganisationen und auch mit den Vertretern der Mitgliedsländer der EU führten, bei denen wir unsere Erfahrungen über die EU-Hilfe im Kosovo ausgetauschten. Ich glaube, dass die Task-Force der EU, die unmittelbar nach dem Krieg im Kosovo ihre Arbeit aufgenommen hat und die Kosovo-Agentur, die seit Februar als Nachfolge der Task-Force tätig ist, gute Arbeit geleistet haben. Das gilt auch für die internationale Gemeinschaft insgesamt.

Internationale Hilfstruppen vorerst beibehalten

Wahrscheinlich sind zu viele Organisationen hier – öffentliche, private, europäische, nicht-europäische. Auf der anderen Seite ist es aber auch positiv, dass verschiedene Gruppierungen mit ihren Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Ländern hier tätig sind. Und einen Beweis dafür abgeben, dass es die Krise im Kosovo, dass uns die Entwicklung nach dem Ende des Krieges, nicht gleichgültig ist. Dass wir uns, im Gegenteil, insgesamt sehr engagieren. Und die Freundlichkeit, mit der wir auf unserer Fahrt durch die Dörfer empfangen wurden, als wir die verschiedenen Hausprojekte besichtigt haben, ist sicherlich auch ein Symbol dafür, dass die Menschen genau das verstanden haben.
Sicher – es gibt einige Radikale, die froh wären, wenn wir längst weg wären. Ich habe aber den Eindruck, dass die Stimmung der Bevölkerung insgesamt durchwegs positiv ausgerichtet ist. Und ich glaube, dass sie weiß, dass der vorzeitige Abzug unserer Truppen und Hilfsorganisationen nicht zum Wohle des Kosovo wäre, sondern zu seinem Nachteil.

EU-Arbeit vor Ort effizienter gestalten

Unbeschadet der guten Arbeit Europas hier im Kosovo muss die Leistung der EU verbessert werden. So haben wir im Parlament beispielsweise davor gewarnt, die Kosovo-Agentur mit zwei Beiräten oder Beschlussorganen zu versehen, die jeweils von den Mitgliedsländern beschickt werden – und es hat auch tatsächlich schon zu Verzögerung geführt. Wobei es jetzt natürlich schwierig ist, nachzuforschen, wer daran schuld ist – die Vertreter der Mitgliedsländer oder die Kommission, die das Ganze vielleicht ungeschickt gehandhabt hat.
Jedenfalls ist die Konstruktion als solches falsch. Natürlich muss man die Kommission, vor allem die Kosovo-Agentur, hier vor Ort arbeiten lassen. Und sicher muss es Kontrolle geben, strenge Kontrollen. Aber zuerst muss es einmal das Vertrauen geben, dass diejenigen, die hier sitzen, auch wirklich helfen wollen – mit einem möglichst rationellen und effizienten Einsatz der Mittel der EU. Das ist es, worauf es ankommt, das muss gewährleistet sein. Und in diesem Sinn müssen wir im Europäischen Parlament tätig sein.

Bestmöglicher Einsatz der Mittel

Wir müssen genau überlegen und definieren, wie die Mittel, die wir in Zukunft für die Arbeit am Balkan, insbesondere am Kosovo, bereitstellen werden, verwendet werden. Und wir sollten nicht allzu schnell wieder einen Kompromiss mit der Kommission, und vor allem mit dem Rat, eingehen. Das betrifft auch die jüngste Ankündigung von Chirac, eine „Balkan-Konferenz“ einzuberufen. Es geht nicht um große Konferenzen, wo sich einige Spitzenpolitiker profilieren können. Es geht um die Tagesarbeit, es geht darum, dass auch die Mitgliedsländer der EU, die Regierungen bereit sind, dafür zu sorgen, dass die Kosovo-Agentur, die Rat, Kommission und Parlament gemeinsam geschaffen haben, auch wirklich arbeitet und die Mittel effizient einsetzen kann. 
Pristina, 1.6.2000