Gemeinsame Vergangenheit und Zukunft

Österreich ist derzeit für viele Länder der Region das Eingangstor zu Europa. Diese Entwicklung sollte uns stolz machen und offensiver von uns vertreten werden.
Meine beiden Besuche in Sarajevo zu Beginn dieser Woche als auch hier in dieser Gegend haben einmal mehr gezeigt, wie eng die österreichische Geschichte und Österreich im Zusammenhang seiner kuk-Vergangenheit mit dieser Region verbunden sind.

Österreichische Spuren

In Sarajevo erfolgte die Ermordung des österreichischen Thronfolgers und es gibt unzählige Gebäude aus der österreichisch-ungarischen Monarchie. Das Museum, das wir während unseres Aufenthaltes kurz besucht haben und das mit europäischer Hilfe renoviert worden ist, zeigt gleich im Eingangsbereich, unter welcher Regentschaft es errichtet wurde: unter Josef I. Viele Dinge in Sarajevo erinnern also an Österreich-Ungarn.
Das gleiche gilt für jene Region, in der ich mich jetzt befinde. Im Anschluss an unseren Besuch in Vukovar fuhren wir nach Osijek. Hier wurden ein großes Fort und mehrere Kasernen zur Verteidigung gegen die Türkei errichtet. Unser Treffen in einem Gerichtsgebäude, wo wir uns über die Justizreform, aber auch über die Frage der Kriegsverbrecherprozesse und des Zeugenschutzes unterhielten, vermittelte ebenfalls ein fast heimatliches Gefühl. Es handelt sich um ein typisches Gerichtsgebäude, wie man es auch in Österreich heute noch findet und das von Österreich-Ungarn errichtet worden ist.

Eingangstor nach Europa

Ich möchte noch einmal auf das Gymnasium von Vukovar zurückkommen. Im Zuge meiner Diskussion mit den SchülerInnen fragte ich in den Raum, wer schon einmal außerhalb des Landes gewesen sei. Es meldeten sich ein Junge und zwei Mädchen, alle drei waren in Österreich. Der Junge besuchte Wien und kritisierte, dass die Stimmung nicht so positiv war wie er sich das vorgestellt hatte. Ein Mädchen hielt sich für 14 Tage in Judenburg auf und war begeistert von der Landschaft und vom Umweltschutz und war generell voll des Lobes. Das andere Mädchen hat für ein paar Jahre mit ihren Eltern in Salzburg gelebt und bedauerte, dass in seiner Heimat so wenige Menschen die deutsche Sprache beherrschen. Wann immer es möglich sei, käme sie nach Österreich, weil es ihr hier so gut gefällt.
Dieses Erlebnis zeigt, dass Österreich derzeit für viele Länder dieser Region das Eingangstor nach Europa ist. Man sollte also nicht immer an Massenmigration oder an Verbrecher denken, sondern primär an diese jungen Menschen, für die Europa, das europäisches Bewusstsein, die europäische Gesinnung, aber auch ihre wirtschaftliche Zukunft sowie Wissenschaft und Forschung oft sehr stark mit Österreich und seinen Besonderheiten verbunden sind. Diese Entwicklung sollte uns stolz machen und durchaus offensiver von uns vertreten werden.

Familien-Besuche

In Osijek haben wir im Zuge unseres kurzen Aufenthaltes auch zwei Familien besucht. Eine davon lebt am Stadtrand und ist kroatischer Herkunft. Sie hat unter dem Krieg gelitten und wurde mit einem kleinen Häuschen versorgt. Die Frau ist im Krieg von einem Serben kroatischer Herkunft oder einem Kroaten serbischer Herkunft angeschossen worden, und wie das Schicksal es will, wohnt jener Mann, der sie angeschossen hat, nur einige Häuser entfernt. Sie zeigte sich trotz allem optimistisch, dass die Dinge wieder gut laufen, ebenso wie ihr Mann. Er erzählte uns, dass es in ihrem Dorf kein serbisches und kein kroatisches Kaffeehaus gibt, sondern ein gemeinsames und dass die beiden Völker auch in der Fußballmannschaft vereint sind .
Die zweite Familie, die wir besuchten, war serbischer Herkunft. Sie hat im Zuge des Krieges ihre Gemeindewohnung verlassen, weil sie sich dort nicht mehr sicher gefühlt hat und hatte große Schwierigkeiten, nach dem Krieg wieder in ihre Wohnung zurückzukehren. Das Argument lautete, dass sie ihre Wohnung freiwillig verlassen hätte. Nun, so ganz freiwillig ist das ganz offensichtlich nicht gewesen. Dieses ältere Ehepaar hat schließlich doch eine Wohnung bekommen, allerdings gibt es nach zwei Jahren immer noch keinen Mietvertrag. Die Frau zeigte sich extrem gerührt und konnte es nicht fassen, dass jemand, den sie gestern erst im Fernsehen gesehen hat, sie nun in ihrer Wohnung besuchte. Sie hat mich gebeten, „unser“ Land in die EU zu bringen und war zu Tränen gerührt, dass es jemanden gibt, der sich um ihr persönliches Schicksal kümmert.

Den Hass überwinden

Von Osijek aus fuhren wir zurück nach Zagreb. Dort traf ich, erneut mit großem Medienrummel, den Vorsitzenden der Sozialdemokratie, Zoran Milanovic. Milanovic hatte gehofft, dass er eine Regierung bilden kann, nachdem er bei den Wahlen stark zugelegt hatte. Trotzdem hat die HDZ von Sanader, allerdings mit Unterstützung mehrerer Minderheitenparteien, die Regierung gebildet.
Insgesamt war mein Besuch in Kroatien äußerst positiv und konstruktiv. Nicht zuletzt meine Reise nach Vukovar wurde von der kroatischen Öffentlichkeit stark zur Kenntnis genommen. Mir ging es vor allem darum zu vermitteln, dass zwei Dinge notwendig sind: Erstens das Gedenken an das, was Furchtbares passiert ist und zweitens die intensive Bestrebung, genau darüber hinaus zu kommen und eine neue Zukunft zu beginnen. Natürlich könnte man noch mehr zur Stärkung der Minderheitenfrage, zur Überwindung der Klüfte, zur Renovierung der Häuser und Unterkünfte der rückkehrenden Flüchtlinge beitragen.

Vorbildhaft

Kroatien hat jedenfalls schon sehr viel geleistet. Ich bin nicht überzeugt davon, dass jeder EU-Mitgliedsstaat soviel gemacht hätte, hätte er einen derart furchtbaren, ethnisch und religiös begründeten Bürgerkrieg durchlebt.
Nicht in jedem Land sind mindestens fünf oder sechs Minderheitenvertreter im Parlament vertreten, unabhängig davon, wie viele WählerInnen sie haben. Und nicht in jedem Land ist beispielsweise ein Rom im Parlament vertreten, der nicht nur die Roma, sondern auch mehrere andere, etwa die deutschsprachigen, Minderheiten repräsentiert. In diesem Punkt ist Kroatien Europa weit voraus.

Zagreb, 8.2.2008