Gemischt-parlamentarische Arbeit

Diese Woche trafen wir in Brüssel mit unseren Parlamentarier-KollegInnen aus Georgien und aus Bosnien-Herzegowina zusammen.
Die vergangene Parlamentswoche war von zwei gemischt-parlamentarischen Sitzungen eingerahmt.

Gemischt-parlamentarische Sitzung mit Georgien

Am Montag tagten wir gemeinsam mit unseren KollegInnen aus Georgien. Diese zeigten sich etwas zu zufrieden und stolz über die Situation in ihrem Land. Zugegeben, Georgien hat sich wirtschaftlich gut entwickelt. Und es hat durch Präsident Saakaschwili ein hervorragendes Standing auf internationaler Ebene – zuletzt in Frankreich.
Trotzdem glaube ich nicht, dass das Land sehr kreativ an die Lösung der bestehenden Konflikte, für die zweifellos vor allem Russland verantwortlich zeichnet, herangeht. Wenn dieses Thema auch stets im Mittelpunkt der Diskussionen steht, so habe ich nicht den Eindruck, dass das auch für die konkreten politischen Handlungen der Regierung in Tiblisi gilt.

Schleppende Reformen

Ein weiteres Problem liegt im Justizbereich. Wir pflegen seit einiger Zeit Kontakte mit georgischen Richtern, die sich bitter über Korruption und mehr noch über politische Einflussnahme von außen beschweren. Es hat einige Reformen gegeben, auf die der Vorsitzende bei unserer gemischt-parlamentarischen Sitzung hinreichend hingewiesen hat. Diese mögen auch durchaus in die richtige Richtung gehen. Andererseits berichten uns aber Menschen aus Georgien selbst, dass dies alles nur auf dem Papier stehe und die tatsächliche Einflussnahme wesentlich größer sei, als offiziell zugegeben wird.
Die Diskussion, die wir gemeinsam mit unseren KollegInnen in Brüssel geführt haben, war zweifellos hilfreich. Ich möchte es nochmals betonen: Georgien ist sicher ein erfolgreiches Land. Umso trauriger ist daher, dass die Machtbefugnis, die Saakaschwili von seinen WählerInnen bekommen hat, dermaßen ausgenützt wird. Es gibt weder im Justiz- noch im politischen Bereich generell allzu viele Möglichkeiten für die ohnedies schwach ausgebildete Opposition und für die Unabhängigkeit der Gerichte.

Gemischt-parlamentarische Sitzung mit Bosnien-Herzegowina

Heute, am Donnerstag, fand eine Sitzung des gemischten parlamentarischen Ausschusses mit unseren KollegInnen aus Bosnien-Herzegowina statt. Das war ein durchaus schwieriges Treffen. Es handelt sich um Land, das es nach wie vor nicht geschafft hat, wichtige Reformen durchzusetzen. Das betrifft in erster Linie die Polizei- und die Verfassungsreform.
Vor allem die Polizeireform ist die Voraussetzung dafür, dass die EU mit Bosnien-Herzegowina ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen unterzeichnet. Die Polizeireform ist aber auch deshalb wichtig, weil man sich bei Verbrechen nicht nach ethnischen Kriterien orientieren kann und soll, sondern an den Menschen, die dieser Verbrechen beschuldigt werden. Hier gibt es noch großen Aufholbedarf.

Blockade der Verfassungsreform

Der Premierminister der Republika Srpska, Milorad Dodik, ist äußerst skeptisch und stand auf der Bremse, hat allerdings Anfang März den Grundsätzen der Poliezeireform zugestimmt. Der andere starke Mann, Haris Silajdzić – Führer der Bosniaken und von diesen ins Staatspräsidium gewählter Vertreter – hat allerdings zuletzt die Polizeireform abgelehnt und legt seinerseits der Verfassungsreform Steine in den Weg. Silajdzić besteht auf einer Totalreform, die de facto die Entitäten – einerseits die Republika Srpska und andererseits die muslimisch-kroatische Föderation – abschaffen und durch einen einheitlichen Staat, der in erster Linie den Bosniaken Vorteile bringen würde, ersetzen würde.
Ein solches Vorhaben ist unrealistisch und könnte von der Republika Srpska nie akzeptiert werden. Im Prinzip sollte es durchaus in diese Richtung gehen, dass regionale und territoriale Einteilungen nicht nach ethnischen Kriterien erfolgen. Die Serben würden es aber nie akzeptieren, und so blockiert diese Haltung der führenden Bosniaken lediglich die Verfassungsreform.

Integrationsmittel Schule

Wir haben auch eingehend über das Schulwesen diskutiert. Der kroatische Vertreter hat lautstark darauf gepocht, dass es ausreichend Schulen und Universitäten mit kroatischer Sprache geben soll. Die bosnische, kroatische und serbische Sprache sind einander sehr ähnlich und die Menschen verstehen sich auch untereinander. Trotzdem trägt eine Sprache zur Identität bei. Unsere Vorsitzende Doris Pack hat diese äußerst eigensinnigen und an den jeweiligen ethnischen Gruppen orientierten Forderungen vehement kritisiert.
Ich meinte in diesem Zusammenhang, dass die eigenen Schulen bzw. der muttersprachliche Unterricht zweifellos sinnvoll sind, wenn sie in einem Gesamtkonzept eingebettet sind, bei dem es nicht zu getrennten Schulen und damit zu getrennter Erziehung kommt. Stattdessen sollen die SchülerInnen die Möglichkeit haben, an den jeweiligen Schulen auch das Spezifische einer Sprache zu erlernen. Die Schule ist ein zentrales Integrationsmittel. Wenn man der Schule ihre Integrationsfähigkeit nimmt und sich auf das Separate konzentriert – noch dazu in einem Land, das durch den Krieg und die Ereignisse der vergangenen Jahrzehnte ohnedies sehr gespalten ist – macht das wenig Sinn. Außerdem muss darauf geachtet werden, dass die Kosten in Relation zum Nutzen stehen.

Noch vor dem Sommer nach Sarajewo?

Beim Mittagessen regte einer der Kollegen aus Bosnien-Herzegowina an, unsere Vorsitzende Doris Pack sollte in den nächsten Tagen unbedingt noch einmal nach Sarajewo kommen, um auf die Notwendigkeit zur Durchführung von Reformen aufmerksam zu machen. Nur so könne verhindert werden, dass Bosnien-Herzegowina zurückfällt. Doris Pack antwortete, dass sie gerne komme – allerdings nur in meiner Begleitung. Zu einer solchen Mission bedürfe es einer gemeinsamen breiten Basis.
Es wäre also durchaus möglich, dass wir noch vor den Sommerferien für einen Tag nach Sarajewo fahren. Vielleicht findet dann auch ein Gespräch mit dem neu ernannten Hohen Beauftragten der Internationalen Gemeinschaft, Miroslav Lajcak, statt. Lajcak ist ein slowakischer Diplomat, der auch bei der Trennung von Serbien und Montenegro gute Arbeit geleistet hat.

Annäherung Serbiens an die EU

Am Dienstag haben wir im Außenpolitischen Ausschuss des Parlaments eine Diskussion mit Carla del Ponte, der Chefanklägerin bei Internationalen Strafgerichtshof für Kriegsverbrechen im ehemaligen Jugoslawien in Den Haag und mit dem Außenminister Serbiens, Vuk Jeremic, geführt. Bei beiden Gesprächen stand die Frage der Auslieferung vermeintlicher Kriegsverbrecher im Mittelpunkt.
Insbesondere Jeremic vermittelten wir – und das ist auch von einer breiten Mehrheit im Parlament so beschlossen worden -, dass wir Serbien die Möglichkeit geben wollen, sich an die Europäische Union anzunähern. Wir möchten diese Schritte in den nächsten Wochen und Monaten ermöglichen, ohne in diese Debatte permanent das Kosovoproblem einzubringen.

„Double approach“

Das, was ich als „double approach“-Projekt bezeichnet habe, also das Beschreiten zweier verschiedener Wege, scheint mir das einzig Vernünftige. Wenn das Problem Kosovo auf den Tisch kommt, sollte Serbien bereits enger an die Europäische Union angebunden sein. Und wir sollten den politischen MandatarInnen, der Medienöffentlichkeit und der Öffentlichkeit in Serbien insgesamt bereits signalisiert haben, dass ein Eintreten für die Unabhängigkeit des Kosovo kein antiserbisches Verhalten bedeutet.
Aus diesem Grund sollte ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit Serbien unterzeichnet werden, das klar belegt, dass wir Serbien auf seinem Weg in die Europäische Union begleiten und unterstützen wollen, zugleich aber glauben, dass ein Verbleib des Kosovo in Serbien die Probleme eher vergrößern würde und wir deshalb für eine vernünftige und akzeptable Lösung im Kosovo eintreten. Beide sollen sich in einer guten Nachbarschaft wiederfinden, und beide sollen sich später in der Europäischen Union wiederfinden. Jetzt allerdings gilt es, diesen schmerzvollen Prozess zu vollziehen. Wir sollten nicht so unrealistisch sein, von Serbien Jubel und Unterstützung für die Unabhängigkeit des Kosovo zu erwarten. Wir sollten stattdessen alle Voraussetzungen dafür schaffen, dass dieser Prozess möglichst schmerzfrei vor sich geht. Und genau das ist letztendlich auch im Interesse des Kosovo selbst zu sehen.

Informelles Gespräch mit Außenminister Jeremic

Nach dem außenpolitischen Ausschuss führten unser Fraktionschef Martin Schulz und ich ein informelles Sechs-Augen-Gespräch mit Vuk Jeremic. Ich kenne den neuen serbischen Außenminister, der Berater von Präsident Tadic gewesen ist, schon seit einiger Zeit. So verlief unser Gespräch auch in einer sehr freundschaftlichen Weise. Wir hoffen, dass Jeremic, obwohl er in der Kosovofrage den offiziellen serbischen Standpunkt vertreten muss, trotzdem mithilft, diesen Prozess möglichst reibungslos zu gestalten.
Ob das so sein wird, hängt allerdings nicht zuletzt von Präsident Putin ab. Unsere diesbezüglichen Gespräche in Moskau haben uns nicht besonders optimistisch gestimmt. Auch Jeremic hat mehr oder weniger vermittelt, dass er – im Interesse Serbiens – davon ausgeht, dass Putin sein Veto gegen eine Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen erheben wird.

Kritischer Dialog

Apropos unser Besuch in Moskau: Ebenfalls am Dienstag waren Martin Schulz, Jan Marinus Wiersma und ich selbst zu einem Mittagessen des russischen Botschafters eingeladen, bei dem wir über unsere Ende Mai durchgeführte Reise nach Moskau berichtet haben. Wir wollten aber zugleich die Gelegenheit nützen, um unsere Beziehungen zum hiesigen russischen Botschafter zu stärken – ohne dabei auf die kritischen Bemerkungen, die wir angesichts der aktuellen Entwicklungen in Russland vorzubringen haben, zu verzichten.

Brüssel, 27.6.2007