Groteske über das Visum

Die Mazedonier beteuern immer wieder, wie entsetzt und traurig sie darüber sind, dass sie früher ohne weiteres in alle Länder reisen konnten und heute dafür ein Visum benötigen. 
Es ist 22.30 Uhr. Vor wenigen Minuten bin ich vom Flughafen Brüssel kommend in meine kleine Wohnung zurückgekehrt.
Um 16.00 Uhr flogen wir von Skopje nach Wien. Ich sah in Wien eigentlich nur den Flughafen , wo ich umzustieg und nach Brüssel weiter reiste, um dort noch einen Arbeitstag im Parlament zu verbringen.

Die Frage, die wir gestern Nachmittage in Ohrid diskutierten, nämlich wie wir die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Migration und der internationalen Kriminalität besser gestalten könnten, hat uns auch heute Vormittag noch einmal beschäftigt. Nach einer zweieinhalb stündigen Autofahrt, vor allem durch das albanisch besiedelte Gebiet, trafen wir in Skopje den mazedonischen Ministerpräsidenten. Er kam einen Tag zuvor von einem Treffen mit den Ministerpräsidenten Albaniens und Montenegros aus Tirana zurück. Dort besprachen sie unter anderem die Notwendigkeit der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung, um Migration zu verstärken und hierfür auch die europäische Union um Unterstützung zu bitten.

Eine andere Art der Globalisierung

Natürlich ist das eine Aufgabe, die die Länder selbst zu bewerkstelligen haben, denn es geht auch um ihre Gesellschaftsstruktur und um ihren internationalen Ruf. Aber es ist auch unsere Aufgabe, vor allem unser Interesse, ihnen zu helfen, denn es geht um die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Und dort, wo es eine Kluft zwischen Arm und Reich gibt, ist sicherlich der Drang zur illegalen Migration, aber auch die Anziehung von Schmuggel, Drogen und der Prostitution besonders groß.
Ich war erfreut darüber, dass zunehmend ein beiderseitiges Interesse daran besteht, diese Dinge gemeinsam zu lösen, denn anders können sie nicht gelöst bzw. können die unangenehmen Erscheinungsformen der Globalisierung nicht zurückgedrängt werden. Ich habe vor kurzem erst ein Buch mit dem Titel „Der Drogenhandel, eine andere Art der Globalisierung“ gelesen. Das ist sicherlich etwas, was uns besonders betrifft und wo die BürgerInnen mit Recht verlangen, dass wir europäische Institutionen und europäische Kooperation dazu nützen, um den Drogenhandel einzuschränken.
Nach dem Treffen mit dem Ministerpräsidenten besuchten wir Parlamentspräsident Klirovski. Ich habe Klirovski schon öfters gesehen, er bedankte sich unter anderem für meinen Bericht zum Assoziierungs- und Stabilisierungsabkommen. Und schnitt wieder einmal die Frage der Visa an. Die Mazedonier beteuern immer wieder, und sie haben es auch gestern und heute getan, wie entsetzt und traurig sie eigentlich darüber sind, dass sie früher ohne weiteres in alle Länder reisen konnten und heute ein Visum brauchen. Zudem ist die Praxis der Visum-Ausstellung teils sehr langwierig und diskriminierend.
Das betrifft insbesondere die Visaausstellung durch Griechenland, und heute sind viele Mitgliedsländer der Europäischen Union dazu übergegangen, ein Schengen-Visum auszustellen, das da lautet: „Visum für alle Mitgliedsländer von Schengen, ausgenommen Griechenland.“

Teilweise sinnwidriger Visazwang

Ich verstehe den Unmut und die Ungeduld, aber ich habe in der Debatte mit dem Parlamentspräsidenten darauf aufmerksam gemacht, dass natürlich die vorher auch beim Ministerpräsidenten angeschnittenen Frage der Bekämpfung der illegalen Migration und der grenzüberschreitenden Kriminalität besonders wichtig ist. Je effizienter wir hier gemeinsam vorgehen, desto leichter wird es möglich sein, den Visa-Zwang abzuschaffen. Darüber hinaus wäre es bei gutem Willen sicherlich möglich, dass zunehmend jene Visaerledigungen, vielleicht aus der Wirtschaft, der Verwaltung etc. erleichtert werden, die keine Probleme mit der illegalen Zuwanderung mit sich bringen würden. Man weiß ja im Allgemeinen bei Visaansuchen, um wen es sich handelt. Und man kann durchaus jenen Personen längerandauernde Visa geben, bei denen man sicher ist, dass es nicht darum geht, über eine Visaerteilung illegal zuzuwandern, sondern darum, wirtschaftliche und politische Kontakte zu knüpfen, wo also die Visaerteilung auch im Interesse der Länder der Europäischen Union besteht.

Emotionale Debatte

Die Visafrage wird natürlich von beiden Seiten sehr emotional gesehen, aber so wie der französische Botschafter neben mir das auch bei der Diskussion und beim Mittagessen zum Ausdruck gebracht und der österreichische Botschafter schon am ersten Abend gemeint hat: Eine vernünftige pragmatische Lösung der Visaaustellung müsste doch möglich sein. Es würde helfen, den Grossteil der Beschwerden zurückzudrängen, und vor allem jenen in Mazedonien, die immer wieder aus politischen und wirtschaftlichen Gründen nach Europa kommen wollen, das Gefühl der Scham und Erniedrigung nehmen, die mit einem immer wieder neuerlichen Ansuchen um ein Visum verbunden sind.

Manchmal geht´s auch ohne

Was ich zum Zeitpunkt dieser Diskussion noch nicht wusste, war die Tatsache, dass wir wenige Stunden später mit der Austrian Airlines in Wien landen würden und dass wir alle, auch jene Mazedonier, die mit dieser Maschine reisten, nicht nur keine Kontrolle des Visums, sondern nicht einmal eine Passkontrolle gegeben hat. In diesem Flugzeug hätte jeder Mazedonier, der einen Platz gefunden hätte, ohne Visum nach Österreich, aber auch nach alle Schengenländer einreisen können.
Ich weiß, es lag sicherlich nur an einem österreichischen Mangel, dass es bei der Ankunft dieses Flugzeuges bei dem Teil des Flughafens, der eigentlich nicht für Außer-Schengenflüge gedacht ist, zu keiner Passkontrolle kam. Aber es war schon ein bisschen grotesk, dass ausgerechnet an diesem Tag, an dem wir über die Visafrage diskutiert und erklärt haben, warum eine völlige Aufhebung der Visaverpflichtung nicht möglich ist, wir aber doch eine schrittweise Liberalisierung befürworten, dass gerade an diesem Tag in Wien weder das Visum noch der Pass von den Ankommenden aus Skopje überprüft wurden. 
Brüssel, 11. Juli 2000