Halbmond und Kreuz
Früher oder später müssen auch die Bosnier – seien es Bosniaken, Serben oder Kroaten – selbst ihr Land regieren, verwalten und unter anderem für Sicherheit sorgen.
Es waren nicht einmal zwei Stunden vergangen als ich in der bosnischen Hauptstadt jenen noch immer jungen Architekten traf, der mich als Student durch das von „Serben“ belagerte Sarajewo führte. Damals, als ich – noch im Auftrag der Stadt Wien – am 1000. Tag der Belagerung moralische, politische und finanzielle Hilfe in die schwer geprüfte Stadt brachte. Schon einmal hatte ich ihn dazwischen getroffen, genauso zufällig wie heute. Heute allerdings merkt man zumindest im Zentrum kaum etwas noch vom Krieg. In der Nähe des Flughafens und auf der Fahrt in die Stadt hinein sind allerdings sehr wohl einige Monumente des Krieges zu sehen.
Das Ruder selbst in die Hand nehmen!
Eine kleine Delegation des EU-Parlaments kam nach Bosnien-Herzegowina, um das Funktionieren der EU-Polizeitruppe in diesem Land zu überprüfen. Am 1.1.2003 hat die EU bekanntlich die Führung der bisherigen Internationalen Polizeitruppe übernommen. Diese Truppe ersetzt keineswegs die langsam im Aufbau befindliche multiethnische Polizei und die Grenz- und Zollwache. Aber sie hilft diesen bei der Organisation eines effizienten inneren Sicherheitsdienstes, sie unterstützt das Training, überwacht auch die Korrektheit der Amtsführung, etc. Noch immer kann sie über den Hohen Beauftragten auch direkt eingreifen und Missstände, beispielsweise durch die Absetzung von Polizeioffizieren, beheben. Früher oder später müssen aber auch die Bosnier – seien es Bosniaken, Serben oder Kroaten – selbst ihr Land regieren, verwalten und unter anderem für Sicherheit sorgen. Je mehr wir als Europäer das übernehmen, desto weniger sind sie bereit, in ihrem eigenen Land Verantwortung zu übernehmen. Genau das ist aber zur nachhaltigen Stabilisierung notwendig.
Soweit wir dies aufgrund unseres kurzen Besuches und der Vorgespräche, die wir in Brüssel geführt haben, beurteilen können, dürfte die Polizeitruppe gerade das richtige Ausmaß an Zurückhaltung und Interventionsbereitschaft an den Tag legen, um dem eben erwähnten Dilemma zu entgehen und eine schrittweise Übernahme der „ownership“ als des Selbstständigwerdens zu ermöglichen.
Auch die Vertreter der drei ethnischen Gruppen haben bei unserem Arbeitsessen zu signalisiert, dass sie bereit sind – langsam – am gemeinsamen Staat zu arbeiten. Sie wissen, dass nur ein Staat, der über die Minimallösung des Vertrages von Dayton hinausgeht, Chancen hat, in die EU aufgenommen zu werden oder – in den vielen Jahren dazwischen – sich einigermaßen am Weltmarkt zu behaupten. Allein der Streit um die Schaffung bzw. Besetzung des Veterinäramtes hat dem Land viele versäumte Exportchancen auf dem Landwirtschaftssektor beschert.
Neues, altes Mostar
Mostar allerdings ergibt ein etwas anderes Bild – schon äußerlich. Ein höherer Prozentsatz der Häuser ist nach wie vor zerstört und unbenutzbar. Die berühmte Brücke wird zwar derzeit wiederaufgebaut, aber auch sie sollte schon längst fertig sein. Der moslemische Bürgermeister und sein kroatischer Stellvertreter kamen zwar gemeinsam zu unserem Treffen, aber von den internationalen Vertretern hören wir, dass die Zusammenarbeit noch nicht ausreichend funktioniert. Zwar wurde eine Kommission eingesetzt, die einen Konsens über ein neues Statut der Stadt finden soll, aber nicht alle Parteien nehmen daran teil. Dennoch ist zu hoffen, dass auch in dieser äußerst romantisch gelegenen Stadt nicht nur Frieden einkehrt, sondern auch eine positive Wirtschaftsentwicklung in Gang kommt. Einige Ansätze, unter anderem eine fast ausschließlich am – erfolgreichen – Export orientierte Aluminiumfabrik, existiert bereits.
Mostar, das auf halbem Weg zwischen Sarajewo und Dubrovnik liegt, könnte sowohl ein Wirtschafts- als auch ein Tourismusstandort werden. Aber nur dann, wenn sich die fast 50:50 vorhandenen Muslime und Kroaten nicht mit Halbmond und Kreuz übertrumpfen, sondern an der notwendigerweise gemeinsamen Zukunft arbeiten wollen.
Sarajewo 9.5.2003