Herbstauftakt

Das "Wintersemester" startete mit der Erdölkrise und den nächsten Schritten der Erweiterung.
Ende August haben wir unsere Arbeit im Europäischen Parlament mit Erfolg wieder aufgenommen. Nach einer Brüsseler Fraktionssitzungswoche ging es zur Plenartagung nach Straßburg, danach folgte eine Ausschusswoche in Brüssel und in der kommenden Woche widmen wir uns wieder der fraktionellen Vorberatung der nächsten Plenarwoche in Straßburg.

Erdölkrise

International haben vor allem die Erdölkrise bzw. die stark steigenden Preise dieses Energierohstoffes für Schlagzeilen gesorgt. Mich ärgert dabei besonders die Tatsache, dass die Europäische Kommission nicht wirklich versucht, aus dieser krisenhaften Situation einen neuen „push“ für die Entwicklung von alternativen Energieformen und das Energiesparen zu initiieren.
Die EU-Kommission hat zwar früher und auch in der jüngsten Vergangenheit durch ihren Kommissar Piebalgs eine Reihe von Initiativen gesetzt – das will ich gar nicht leugnen. Allerdings hat sie aus der katastrophalen Situation, die sich insbesondere nach dem Hurricane Kathrina zugespitzt hat, keinen politischen Schluss gezogen und klar gemacht, dass wir eine umfassenden Energiepolitik brauchen, die die Außen-, Wirtschafts-, Sozial- und Verkehrspolitik mit einbezieht. So hätten wir den BürgerInnen klar machen können, dass dieses Europa einen anderen Weg geht als Amerika. Und dass dieses Europa darauf drängt, dass sich auch die anderen Kontinente, insbesondere Amerika, zu einer nachhaltigeren Energiepolitik bekennen und ihre schädliche, preissteigernde Energiepolitik der vergangenen Jahre und Jahrzehnte nicht kompromisslos fortsetzen.
Aus meiner Sicht ist dieses Verhalten bzw. Nicht-Verhalten der Europäischen Kommission prototypisch für ihre prinzipielle Inaktivität und die extreme Zurückhaltung, die Kommissionspräsident Barroso immer dann an den Tag legt, wenn es um generelle politische Fragen geht. Weder in dieser Frage noch im Zusammenhang mit der EU-Verfassung oder der Wirtschafts- und Sozialentwicklung gibt es besondere Initiativen – und das bedauere ich sehr.

Problemfall Türkei

Ein anderes Thema, das uns derzeit sehr beschäftigt, ist die Frage der nächsten Erweiterungsschritte. Wird begonnen, mit der Türkei zu verhandeln? Und sind Kroatien bzw. die Europäische Union endlich soweit, in Verhandlungen zu gehen?
Die Türkei ist ein überaus komplexes Problem und ich verstehe, dass Viele skeptisch sind. Trotzdem bleibe ich bei meiner Überzeugung, dass es im Fall der Türkei um ein Versprechen geht, das vor Jahrzehnten gegeben wurde und das jetzt eingehalten werden muss bzw. soll. Zudem liegt es in unserem eigenen Interesse, die Türkei noch stärker an Europa und die europäischen Werte heranzuführen. Und das geht nicht, indem man sie isoliert, sich selbst abschottet und die eigenen Versprechen nicht einhält, sondern nur, indem man dieses Land durch Verhandlungen herausfordert, sich klar zu den europäischen Werten zu bekennen – nicht nur verbal, sondern auch in der Realität. Aus diesem Grund bin ich absolut dafür, die Verhandlungen zu beginnen.

Die Zypernfrage

Verhandeln heißt dabei nicht, die Türkei, so wie sie sich heute darstellt, bedingungslos zu bejahen und beispielsweise ihr zwiespältiges Verhältnis gegenüber einem der Mitgliedsländer, nämlich Zypern, widerspruchslos hinzunehmen. Man darf aber auch nicht vergessen, dass sich die türkische Bevölkerung in Nord-Zypern immerhin für die Wiedervereinigung ausgesprochen hat und am Veto der Mehrheit der griechisch-zypriotischen Bevölkerung gescheitert ist. Es war vielleicht leichter verständlich, dass der Norden Ja und der Süden Nein sagt. Zudem ist der Annan Plan keineswegs ein idealer Plan.
Im Zuge der weiteren Entwicklung müssen wir jedenfalls penibel danach trachten, dass die Bevölkerung im Norden und auch die erst kürzlich gewählten Politiker nicht die halsstarrige Politik eines Denktasch – der türkische „Präsident“ in Nordzypern – fortsetzen. Und wir müssen dabei aus Europa entsprechende Unterstützung liefern. Aus diesem Grund glaube ich, dass es richtig ist, auf dem Rechtsstandpunkt zu beharren, dass Zypern von der Türkei voll anerkannt werden muss. Zugleich bedarf es aber politischen Fingerspitzengefühls und der Akzeptanz, dass die Türkei heute noch nicht soweit ist. Sie hat eine nicht ganz unberechtigte Angst, dass die eigene Bevölkerung – die türkischen Zyprioten im Norden des Landes – ein solches Vorgehen als totales Fallenlassen verstehen könnte. Das heutige Zypern wird als das griechische Zypern betrachtet. Das Zypern von Morgen müsste eines sein, das sich auf ein griechisches und ein türkisches Bein stützt. Wobei das griechische Bein das Festere sein muss, weil der Großteil der Bevölkerung griechische Zyprioten sind.

Die Kurdenfrage

In der Türkei gibt es außerdem nach wie vor das Problem der Kurden. Dieses scheint sich im Moment wieder zuzuspitzen. Zum einen zeigt sich die PKK aus dem irakischen Kurdistan neuerlich aktiver und bringt gewisse Störelemente in den Osten der Türkei. Zum anderen sind die gut gemeinten und auch gut vorgebrachten Worte von Premierminister Erdogan in Diyarbakir auf den Widerstand der Militärs gestoßen. Man will sich mit Erdogans Worten, das kurdische Problem sei ein politisches Problem und müsse politisch gelöst werden, nicht anfreunden.
Dennoch hoffe ich, dass es zu einer politischen Lösung kommen wird. Dazu könnte die Aufnahme von Verhandlungen am 3. Oktober einen Anstoß geben. Ebenso wie für weitere Reformen, Modernisierungen und politische Lösungen. Ein Ablehnen der Verhandlungen hingegen würde die nationalistischen Kräfte stärken und sie zur Argumentation motivieren, Europa habe die Türkei im Regen stehen gelassen und es mache gar keinen Sinn, sich nach europäischen Werten und Normen zu richten und an diesen zu orientieren.

Die Causa Gotovina

Das zweite große Problem im Zusammenhang mit der Erweiterung ist zweifellos Kroatien. Kroatien hat viel getan, um sich den europäischen Standards anzunähern und hat sich wirtschaftlich gut entwickelt. Zu wenig unternommen hat das Land aber in den vergangenen Monaten und Jahren, um den flüchtigen General Gotovina an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag auszuliefern. Leider haben wir in der Europäischen Union die Beurteilung darüber, ob Kroatien wenig, viel oder alles unternimmt, um Gotovina auszuliefern, der Generalanwältin Carla Del Ponte überlassen. Das hat uns in die schwierige Lage gebracht, Kroatien ein positives Signal zu geben. Ich glaube nach wie vor, dass wir Kroatien dieses Signal geben sollen. Zugleich können wir aber nicht auf die Bemühungen Kroatiens, Gotovina auszuliefern, verzichten.

Die unendliche Geschichte der Privatisierungen

In den vergangenen Wochen ist es außerdem zu einem unglücklichen Verhalten der Regierung Sanader hinsichtlich der Privatisierungen gekommen. Jene Privatisierungen, die noch aus der Tudjman-Ära stammen und in der Folgte unter Racan zu lösen versucht wurden, sollen jetzt einer endgültigen Lösung zugeführt werden. Zwar gibt es dazu bei der Regierung Sanader durchaus gute Ansätze, allerdings werden diese in der Öffentlichkeit sehr stümperhaften präsentiert. Auch die Kommunikation mit jenen Gemeinden, in denen die Privatisierungskorrekturen stattfinden hätten sollen, läuft völlig schief. Zudem gibt es auch zahlreiche Beschwerden österreichischer Staatsbürger bzw. österreichisch-kroatischer Doppelstaatsbürger.
Es ist eine fast unendliche Geschichte. In der Ära Tudjman wurde viel verbockt – einige Wenige haben sich die Filetstücke herausgepickt, und die Privatisierung insgesamt ist weder korrekt noch transparent gelaufen. Die Regierung Racan versuchte, einiges zu korrigieren. Allerdings hat auch sie nicht alle Auflagen, die von Gerichten gekommen sind, erfüllt. Genau das hat jetzt die Regierung Sanader in Angriff genommen, allerdings extrem ungeschickt und mit großen Problemen behaftet. Kroatien hat so gesehen noch einen weiten Weg vor sich, um in der Frage der Sicherheit, der Korrektheit und des Kampfes gegen die Korruption tatsächlich das generelle europäische Niveau zu erreichen.

Verhandlungsbeginn

Dennoch meine ich persönlich, dass sowohl mit der Türkei als auch mit Kroatien die Verhandlungen beginnen sollten. Die Frage „Verhandlungen ja oder nein?“ muss endlich vom Tisch. Die inhaltlichen Auseinandersetzungen dagegen werden uns noch viele Jahre beschäftigen.
Wien, 16.9.2005