Ideen für ein europäisch-amerikanisches Bündnis

Können sich die EU und die USA einigen, dass tatsächlich eine gemeinsame Politik möglich ist, die auch die Interessen der weniger Wohlhabenden berücksichtigt?
Meine Reise geht nun zu Ende. An den vergangenen beiden Tagen hatte hier in Washington ein Treffen des Transatlantic Policy Networks stattgefunden

Wirtschafts- und Handelsfragen

Gestern standen vor allem Wirtschafts- und Handelsfragen im Mittelpunkt. Von besonderem Interesse war dabei, inwieweit die Verhandlungen der Doha-Runde gediehen sind und ob trotz der derzeit bestehenden Blockade Fortschritte erzielt werden konnten. Auch über die Konsequenzen, falls es nicht zu multilateralen, also alle Staaten umfassenden Vereinbarungen kommen sollte, wurde diskutiert. Es gab zudem ein ständiges Pro und Contra hinsichtlich individueller Verhandlungen von bilateralen Freihandelszonen.
Ich gab zu Bedenken, dass aus meiner Sicht bei bilateralen Abkommen vor allem die ärmsten Länder unter die Räder kommen. Man wird in diesem Fall voraussichtlich nur dann Abkommen mit den kleineren und schwachen Ländern treffen, wenn konkretes wirtschaftliches oder politisches Interesse besteht. Die Intention, den betroffenen Ländern wirklich zu helfen, wird dabei jedenfalls nicht im Vordergrund stehen.

Benachteiligung kleinerer Länder droht

In dieser Debatte spielte wie schon bisher die Tatsache eine große Rolle, dass es eine Reihe von Ländern gibt, die nicht als Entwicklungsländer im eigentlichen Sinn bezeichnet werden können, sondern die zumindest Schwellenländer sind und sich in einer starken Industrialisierungsphase bzw. einer Ausprägung zu einer Dienstleistungsgesellschaft befinden – China, Indien, Brasilien, Mexiko oder Südafrika werden in diesem Zusammenhang immer wieder erwähnt.
Es ist wichtig und richtig, diesen Ländern vermehrte Aufmerksamkeit zu schenken. Aber die Gefahr ist groß, dass es dadurch zu einer Benachteiligung kleinerer Länder kommt, die vom humanen Gesichtspunkt wie auch aus Sicherheitsüberlegungen nicht völlig an den Rand gedrängt werden dürften.

EU-USA-Bündnis

Heute ging es in unserer ersten Diskussionsrunde um die Frage der politischen Aufgabe, die einem EU-USA-Bündnis zukommen könnte. Vorsitzender des Panels war Jim Kolby, ein langjähriges Kongressmitglied. Er ist ein durchaus vernünftiger Republikaner, den ich schon seit längerem kenne. Das Einleitungsreferat hielt Ashraf Ghani, der Dekan der Kabul-Universität. Er fungierte unter der neuen Regierung Kasei in Afghanistan auch für zwei Jahre als Finanzminister. Heute ist Ghani einer der Kandidaten für die Nachfolge von Kofi Annan als Generalsekretär der UNO.
Ich selbst hatte die Aufgabe, das Einleitungsreferat von Ashraf Ghani zu kommentieren und einige Thesen dazu zu entwickeln – ebenso wie Mona Ericsson, Mitglied eines Think Tanks in Washington, die sich in ihrem Statement in erster Linie auf die Korruptionsbekämpfung konzentrierte.

Es muss allen gut gehen

Ausgangspunkt meines Kommentars war die These von Ashraf Ghani, dass die Sicherheit der Wohlhabenden nicht gewährleistet ist, wenn nicht auch die andere Hälfte der Welt am Wohlstand partizipiert. Mit dieser These hat Ghani absolut Recht. Es handelt sich dabei eigentlich auch um das Konzept, das hinter der Erweiterung der Europäischen Union steht und auf dem unsere Balkanpolitik aufbaut.
Es genügt nicht, dass es uns gut geht. Wir müssen auch den anderen helfen, dass es ihnen gut geht – schon in unserem eigenen Interesse. Und es ist wichtig, dass wir eine glaubwürdige Politik nach innen betreiben und unseren BürgerInnen gegenüber als eine glaubwürdige Institution auftreten.

Gemeinsamen Nenner finden

Eine zweite These von Ashraf Ghani lautete, dass die EU und die USA der Motor neuer Entwicklungen sein können. Ich stimme dem zu, und es ist absolut notwendig, das entsprechend zu verfolgen und voranzutreiben. Die Frage ist allerdings, ob wir uns derart einigen, dass wir tatsächlich eine gemeinsame Politik betreiben können, die eben auch die Interessen der weniger Wohlhabenden berücksichtigt.
Zwischen den USA und der EU gibt es genügend Streitpunkte, was ohnehin Schwierigkeiten schafft. Aber auch unsere jeweilige Perzeption der übrigen Welt macht es nicht gerade leichter. Vom Grundsatz ist die Idee aber zweifellos richtig – auch wenn sie bei uns oft kritisiert wird. Daher ist es oberstes Gebot, unsere Interessen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen und eine gemeinsame Vorgehensweise in Angriff zu nehmen. Ohne die USA wird es sehr schwierig werden. Und ohne Europa ist es auch für die USA nicht einfach, was gerade jetzt die Situation im Irak zeigt. Auch wenn die jetzige Administration das generell anders sieht, gibt es in Amerika inzwischen zumindest einige, die ähnlich denken.

Demokratiepolitische Doppelstrategie

Zum dritten kommentierte ich Ghanis These, dass wir zweifelhafte Regime nicht unterstützen sollten. Ich stimme dem vom ethischen Standpunkt her völlig zu. Wir stehen allerdings vor einem Problem, aktuell gerade im Mittleren Osten: Es gibt eine Reihe von Ländern, die zwar einerseits keineswegs eine besonders positive Entwicklung durchlaufen, andererseits aber bereit sind, auf Frieden hinzuwirken und einem bestimmten iranischen Expansionsdrang Einhalt zu gebieten.
Manchmal muss man sich in diesem Sinn auch mit Ländern verbünden, die keine lupenreinen Demokratien sind. Letztendlich muss man wahrscheinlich eine Doppelstrategie fahren. Es gilt, sich mit demokratiepolitisch eher fragwürdigen Regierungen im Interesse des Friedens zu verbünden und gleichzeitig darauf drängen, dass die Demokratie eine Chance bekommt und zumindest ein entsprechender Prozess in Gang gesetzt wird.

Schlüsselfaktor Iran

Der vierte Punkt war die Rolle der bereits erwähnten Länder wie China, Indien oder Brasilien. Ich habe in diesem Zusammenhang die Frage nach dem Iran gestellt, der ja ebenfalls eine regionale Macht ist bzw. sein will und könnte. Ghani stimmte mir zu, dass in dieser Frage vom Westen vieles falsch gesehen wird.
Erstens hat der Umsturz von 1953 gegen den damaligen Ministerpräsidenten Mossadegh mit Hilfe des Schahs, großer Erdölkonzerne und vor allem Großbritanniens und Amerikas auch heute noch ein starkes Gewicht in der iranischen Debatte – mehr als manche aktuelle Ereignisse. Zweitens sollte man berücksichtigen, dass die gesamte Region im Blickfeld des Irans liegt und es nicht nur um den Iran selbst geht. Und drittens darf man nicht vergessen, dass nach der Intervention im Irak im Iran die Angst vor einer gewaltsamen Änderung des Regimes gestiegen ist. Diese Angst hat dazu geführt, dass entsprechende Gegenmaßnahmen ergriffen worden sind.

„New consensus“

Bei einem fünften Aspekt ging es um den so genannten „Washington consensus“ der großen Institutionen, vor allem der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds im Sinne der Durchsetzung einer total liberalen Wirtschaftspolitik – zumindest in jenen Ländern, die auf Hilfe und Unterstützung angewiesen sind.
Ich forderte, einen neuen „consensus“ zu finden. Dieser muss die bereits erwähnten Schwellenländer und deren Ansätze berücksichtigen und insbesondere die soziale Frage wesentlich stärker in den Mittelpunkt rücken sowie den Ausbau der Infrastruktur vornehmen. Hier müsste eine neue Agenda formuliert werden.

Geldflüsse beobachten

Bereits gestern und auch heute stellte sich außerdem die Frage, was mit jenem Geld geschieht, das einigen Ländern insbesondere durch Erdölvorkommen zufließt. Ich habe das Spektrum der Ressourcenquellen erweitert: Es gibt auch Diamanten und andere Rohstoffe, die massive Einkommen nach sich ziehen.
Wir müssen daher daran arbeiten, dass die entsprechenden Geldflüsse transparent sind. Und wir müssen wissen, wie viel Geld die einzelnen Länder aus der Rohstoffgewinnung erzielen und wofür dieses Geld verwendet wird. Es sollte nicht nur in laufende Aufgaben, sondern vor allem auch in die Verbesserung der Infrastruktur, in den Bildungsbereich, etc. investiert werden.

Der Lauf der Globalisierung

Ein weiterer Punkt fokussierte die Globalisierung, Es ist richtig – auch wenn es schmerzhaft ist -, dass vor allem jene Länder profitieren, die in den Globalisierungszyklus involviert sind, die also ihre Produkte international absetzen können und nicht außen vor gelassen werden.
Jemand meinte einmal, es sei zwar schlimm, dass bestimmte Länder in den Globalisierungsprozess geraten. Noch schlimmer sei es allerdings, von der Globalisierung ausgeschaltet zu werden und keine Chance zu erhalten, am wirtschaftlichen Fortschritt teilzunehmen.

Für eine andere Entwicklungshilfe

Auch die Entwicklungshilfe kam zur Sprache. Hier geht es in erster Linie zweifellos darum, es den Ländern zu ermöglichen, entsprechende Einkommen aus der eigenen Wirtschaftskraft zu erzielen. Über diese These wurde schon länger diskutiert. Ich stellte in den Raum, dass es kaum eine umfassende Vorstellung über das gibt, was Entwicklung eigentlich bedeutet. Und Entwicklungshilfe kann wahrscheinlich auch nicht mit dem immer gleichen Rezept in allen Ländern gleich angewandt werden. Die jeweiligen Voraussetzungen sind dafür viel zu unterschiedlich – seien es die ökonomischen Bedingungen, die natürlichen Bodenschätze oder die soziale Familienstruktur.
Daher gilt es, in diesem Bereich wesentlich differenzierter vorzugehen. Man muss Entwicklungshilfe umfassender sehen und darf sie nicht nur auf den ökonomischen Aspekt reduzieren. Und man muss klar machen, dass in einzelnen Ländern jeweils unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund gerückt und jeweils unterschiedliche Ansatzpunkte entwickelt werden müssen. „Best practices“ können dabei als Beispiele herangezogen und entsprechende Lehren aus ihnen gezogen werden.

Fehlende Energieeffizienz

Heute Mittag fand eine Diskussion über die Energiefrage statt. Der amerikanische Botschafter in der EU hat zu diesem Thema referiert. Seine Argumentation war teilweise unterhaltsam, teilweise aber arrogant. Er hob die amerikanische Position allzu sehr hervor. Dennoch kennt sich der Botschafter gut aus, vor allem in einzelnen technologischen Fragen hinsichtlich Alternativenergien, Biokraftstoffe, etc.
Meine Fragen an ihn konzentrierten sich auf die Energieeffizienz und das Energiesparen. Er nannte daraufhin lediglich Russland als negatives Beispiel bei der Energieeffizienz, erwähnte aber mit keinem Wort, dass Europa und ganz besonders Amerika in diesem Bereich noch sehr viel zu tun haben. Der Botschafter berichtete von einigen Ansätzen in den großen Erdölkonzernen, die inzwischen bereit sind, alternative Strategien zu fördern. Ich habe genau das vor einiger Zeit auf europäischer Ebene massiv gefordert. Deshalb war ich positiv überrascht, dass sich in diesem Sektor nun offensichtlich doch einiges bewegt – auch wenn diese Bemühungen in keinerlei Verhältnis zu den steigenden Einkommen und Profiten stehen. Aber immerhin, es tut sich einiges. Und es ist zu hoffen, dass es in dieser Richtung weiter geht.

Alternative Energieformen

An der Debatte an unserem Tisch nahm auch ein amerikanischer Abgeordneter teil, der sich in seiner Region sehr gezielt auf die industrielle Entwicklung von Bioenergie und insbesondere Biokraftstoffen konzentriert und diese Strategie in seiner politischen Arbeit in seinem Wahlkreis auch entsprechend vertritt. Er hat dabei auch die Erdölkonzerne kritisiert, die früher durch ein Absenken der Preise versucht haben, diese Firmen vom Markt zu verdrängen.
Der Abgeordnete berichtete uns, dass sich diese Klein- und Mittelbetriebe hingegen heute, gerade auch angesichts der steigenden Erdöleinnahmen, der Angeboten zur Übernahme gar nicht erwähren können. Die Schlange der Interessenten, die die Firmen kaufen wollen, ist lang. Das zeigt, dass die aktuelle wirtschaftliche Situation – vor allem die hohen Eröl- und Erdgaspreise für die Entwicklung von alternativen Energieformen äußerst positiv ist – das müsste voll ausgenützt werden.

Subventionierung

Eine abschließende Idee, die der US-Botschafter in der EU vorbrachte, scheint mir durchaus interessant. Er meinte, man sollte jetzt den Treibstoff besteuern, was angesichts der hohen Treibstoffpreise ohnehin kaum ins Gewicht fallen würde und dieses Geld später bei einem Absinken der Preise zur Subventionierung von alternativen Kraftstoffen verwenden.
Eine solch interessante Idee hätte ich von einem den Republikanern doch sehr nahe stehenden US-Vertreter gar nicht erwartet. Aber gerade derart positive Ideen sollten zur Kenntnis genommen werden.

Washington, 18.7.2006