Im geteilten Land

Auf Mazedonien lasten die Folgen der politischen Krise von 2001 nach wie vor schwer.
Wieder einmal befinde ich mich in Mazedonien. Offiziell trägt dieses Land noch immer den Namen FYROM, nach der englischen Abkürzung von „Former Yugoslav Republic of Macedonia“. Denn noch immer weigert sich Griechenland, den Namen Mazedonien zu akzeptieren, weil eine griechische Provinz ebenfalls so heißt und einige nationalistische Heißsporne in FYROM von einem Großmazedonien träumen.

Nachfolgewirkungen

Viel schwerer als diese Probleme lasten allerdings die Folgen der politischen Krise von 2001 auf dem Land. Die unzureichende Anerkennung der großen albanischen Minderheit (ca. 30% der Bevölkerung) wurde von, zum Teil über den Kosovo eingeschleusten, Freiheitskämpfern bzw. Terroristen zu Kämpfen gegen die mazedonische Polizei und Armee genützt. Das hatte auch entsprechende Auswirkungen auf die Wirtschaft. Wuchs das mazedonische Sozialprodukt im Jahr 2000 noch um 4,6 %, so sank es 2001 um 4,1 % – im Jahr 2002 stagnierte es schließlich mehr oder weniger. Die Arbeitslosenrate verblieb bei etwa 30 %.
Durch das Abkommen von Ohrid, das unter Druck der EU und der Amerikaner geschlossen wurde, hat sich zumindest die politische Lage stabilisiert. Nach den letzten Wahlen, an denen ich als Wahlbeobachter teilgenommen habe, hat sich eine Regierung aus der sozialdemokratischen Partei und den ehemaligen Kämpfern für die albanische Minderheit (DUI) gebildet.

Sinneswandlung

Die Sozialdemokraten, die eine Zeitlang sehr nationalistisch waren, haben sich gewandelt und sind bereit, das Abkommen von Ohrid auch umzusetzen. Sie haben mit diesem Argument auch ihren Wahlkampf geführt. Bei unseren Gesprächen mit Ministerpräsident Branko Crvenkovski und seiner Stellvertreterin und Europaministerin Radmila Sekerinska kam dies klar zum Ausdruck. Nichts anderes war von ihnen zu erwarten. Aber auch Außenministerin Ilinka Mitreva, die ich schon seit langem kenne, hat diesmal sehr versöhnlich und zukunftsorientiert gewirkt.
Dennoch sind noch nicht alle Probleme gelöst. Vor allem gilt es, unzählige Details zu regeln, die im Rahmenabkommen von Ohrid nicht bzw. nicht deutlich genug geregelt wurden. Insbesondere der Wahlverlierer, die konservative VMRO-DPMNE, hat einige Zeit das Parlament boykottiert, da deren Vertreter die Regierung als zu Albanien-freundlich ansahen. Inzwischen ist die Partei jedoch ins Parlament zurückgekehrt und hat auch an unseren Treffen mit den ParlamentarierInnen aus Mazedonien teilgenommen.

Zuerst Ohrid umsetzen

Bei all diesen Gesprächen kam klar zum Ausdruck, dass Mazedonien sich in Richtung EU verändern und bewegen möchte. Einige möchten so schnell wie möglich dem Beispiel Kroatiens folgen, das in den kommenden Wochen einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen wird. Andere sind etwas vorsichtiger. Wir haben unsererseits jedenfalls zur Vorsicht gemahnt und vor allzu großer Eile gewarnt. Einerseits sollte Mazedonien den Gipfel von Saloniki im Juni abwarten, bei dem die Staats- und Regierungschefs der EU mit jenen aus der Balkanregion die zukünftigen Beziehungen beraten wollen.
Andererseits muss in erster Linie das Abkommen von Ohrid erfüllt werden – und das dauert noch, vor allem bis alle Gesetze, etwa jenes der Dezentralisierung, durch sind. So muss die Volkszählung ausgewertet werden, um feststellen zu können, wo welche Minderheiten wie stark sind. Davon hängen in der Folge die Minderheitenrechte (Verwendung der Sprache, Besetzung von Posten, etc.) ab.

Des einen Freud, des anderen Leid

Außerhalb des Protokolls trafen wir am Abend die beiden Führer der stärksten Albanerparteien – und zwar jeweils getrennt, da sie zueinander in großer Konkurrenz stehen. Zuerst kamen wir mit Ali Ahmeti, dem Vorsitzenden der Demokratischen Union für Integration (DUI), zusammen. Wie schon erwähnt wurde die Partei von den ehemaligen Rebellen bzw. Terroristen gebildet und stellt jetzt mit den Sozialdemokraten die Koalitionsregierung. Ahmeti ist ein scheuer und zurückhaltender Mann, der keineswegs dem Bild eines Rebellenführers entspricht. Bisher hat er auch Wort gehalten und ist konstruktiv am Aufbau eines gemeinsamen Staates Mazedonien beteiligt. Auf meine Frage hin meinte er, dass das Interesse an gemeinsamen Institutionen und einer gemeinsamen Gesellschaft auch in weiten Teilen der albanisch-stämmigen Bevölkerung Zug um Zug wachsen würde.
Arben Xhaferi, der schwerkranke Führer der zweitstärksten Albanerpartei, war der Wahlverlierer auf albanischer Seite. Aus seiner Sicht hat sich die Situation insgesamt verschlechtert. Die Regierung kümmert sich, so sagt er, nicht um die Sicherheit und die Chancen der Albaner. Man spürt bei diesem schwerkranken Mann die Verbitterung darüber, dass Ahmeti, der Rebell, ihn, der versucht hatte, das Wohl der Albaner friedlich zu erringen, letztendlich in den Hintergrund gedrängt hat.
Skopje, 28.1.2003