Im „Österreichcamp“

Das österreichische Bundesheer engagiert sich gemeinsam mit der Bevölkerung besonders dafür, den Wiederaufbau im Kosovo zu schaffen. 
Gestern Abend war ich vom österreichischen Vertreter zu seinem monatlichen Österreichabend eingeladen, an dem die Militärs, die Gendarmerie-Verantwortlichen sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von UNMIK etc. teilnahmen. Es war interessant von jenen, die wirklich vor Ort an der Basis tätig sind, zu hören, wie sie die Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft hier im Kosovo sehen.
Oberst Luif vom österreichischen Bundesheer ist ein besonders engagierter Vertreter eines Konzeptes, bei dem sich das Militär gemeinsam mit den Bewohnern dafür engagiert, den Wiederaufbau im Kosovo zu schaffen. Er schilderte, dass das österreichische Bundesheer im besonderen Ausmaß Kontakt mit den Bewohnern sucht und Verantwortliche in den einzelnen Dörfern und Gemeinschaften findet und mit diesen dann die Projekte des Wiederaufbaus begleitet bzw. auch durchführt. Wie zum Beispiel die Schaffung von Sportplätzen, um die Kinder und Jugendlichen von der Straße wegzubringen.

Gemeinschaftspolizei

Der Chef der Gendarmerie-Abteilung, ein unheimlich engagierter Vorarlberger, hat dieselbe Auffassung von Community-Police, also einer Gemeinschaftspolizei, die mit der Bevölkerung handelt, aber auch dort eingreift, wo es notwendig ist. Leider gibt es noch immer nicht genügend Gerichtsbarkeiten, sodass manche, die ohnedies selten genug, von der Polizei als Missetäter aufgegriffen werden, wieder freigelassen werden. Mancher davon hat dann noch die Frechheit, sich um einen Posten bei der örtlichen Polizei zu bewerben.

Besonders bedauert wurde, dass auf Grund von zu wenig Polizei und Gendarmerie im Lande, die Nachtstunden praktisch unbewacht bleiben und in diesen Nachtstunden passieren dann oft Attentate oder werden die dafür notwendigen „Grundlagen“, beispielsweise das Auslegen von Minen, für Attentate an den nächsten Tagen geschaffen.

Überraschendes Wiedersehen

Aber es sind nicht nur die Chefs der Militär- und Polizeieinheiten hier, es sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mit einem ungeheuren Engagement in diesem Land arbeiten und die zum Teil durchaus froh sind, dass etwas weitergeht, zum Teil aber enttäuscht sind, weil nicht genug weitergeht. Weil vielleicht auch die Mentalität der Menschen im Lande nicht genug Basis für die Zukunft und für eine aktive Mitgestaltung der Zukunft ist.
Es war jedenfalls ein interessanter Abend, den ich hier im Haus des österreichischen Vertreters Thomas Mühlmann verbracht habe. Viele interessante Informationen haben das Bild, das ich im Kosovo bekommen habe, abgerundet. Im Übrigen habe ich an diesem Abend auch jemanden wiedergetroffen, den ich seit Jahren, ja seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen habe. Michael Daxner, er ist jetzt Beauftragter für das Erziehungswesen der Quasi-Regierung der internationalen Gemeinschaft im Kosovo. Ich hatte bereits gehört, dass ein gewisser Professor Daxner Bildungsbeauftragter ist, aber nicht daran gedacht, dass ich ihn aus meiner Studentenzeit kenne, damals auch relativ viel mit ihm zusammen war – ich wusste von ihm nur, dass er Bildungsexperte ist und als Rektor auf einer deutschen Universität arbeitete. Es war für mich deshalb einfach überraschend und freudig zugleich, ihn hier in Pristina wieder zu treffen.
Er ist der Alte geblieben – lustig, spontan, bis zu einem gewissen Sinn ein Urgestein, und wie ich inzwischen von Anderen erfahren habe, leistet er sehr gute Arbeit in Pristina. Gerade auch durch seine direkte und offene Art.

Die Schlüsselfrage

Heute Früh waren wir beim Bischof Artemje, der uns gemeinsam mit seinem Mitarbeiter Pater Sava empfangen und uns den obligaten Begrüssungs-Schnaps gerreicht hat. Es ging wieder einmal um den Schutz der serbischen Minderheit, und die politischen Vertreter der Serben in den verschiedenen zentralen Organen waren bei unserem Gespräch anwesend. Sie haben unumwunden gedroht, dass, wenn es nicht zu deutlichen Verbesserungen für die serbischen Minderheiten, vor allem bei der Sicherheit, kommt, sie nicht fähig seien, an den zentralen Beratungs- und Entscheidungsgremien teilzunehmen und ihre Vertreter abgerufen würden.
In der Tat ist die Frage der Sicherheit eine sehr zentrale Frage. Wie schon gestern angeklungen, ist es notwendig, genügend Polizei zu haben, die Anti-Terrorismus-Kräfte und Experten, die es im Lande gibt, einzusetzen und rasch eine einigermaßen funktionierende Gerichtsbarkeit aufzubauen. Ohne die Sicherheitsfrage zu lösen bzw. tatsächlich Fortschritte zu erzielen, wird es für die serbische Minderheit schwer, sich kooperationswillig zu zeigen und an den gemeinsamen Organen des Staates teilzunehmen. Was immer auch die Serben und vor allem das Milosevic-Regime gemacht haben, es kann nicht darum gehen jetzt an den Serben Rache zu üben. Es muss schrittweise dazukommen, dass sie mehr Bewegungsfreiheit und Sicherheit im Lande haben. Und dabei muss sicherlich auch die europäische Gemeinschaft mithelfen, dass dies gewährleistet ist.

Die Innensicht

Gestern Abend traf ich im Haus des österreichischen Vertreters, bei der bereits erwähnten „Österreichparty“, auch eine Mitarbeiterin der UNMIK, also, wenn man so will, der Regierung des Kosovo, eingesetzt durch die UNO. Sie ist Österreicherin, war eine zeitlang in Brüssel und hat sich hier mit vollem Engagement der UNMIK zur Verfügung gestellt. Heute sah ich sie bei unserer Abschlusspressekonferenz wieder und ich nahm ihr Angebot an, mit ihr die Büroräumlichkeiten der vierten Säule, also der EU-Säule der UNMIK, zu besichtigen. Diese so genannte vierte Säule ist zuständig für den Wiederaufbau im Kosovo, den Wiederaufbau der Infrastruktur, der Häuser etc.
Es sind ganz wenige Büros, die es da gibt. Und zwar deshalb, weil es nur sehr wenige Leute gibt, die diese Aufgabe erfüllen. Für wirtschaftliche Angelegenheiten, Handel und Industrie, wie es hier heißt, und die Privatisierung ist eine einzige Person zuständig. Ich kann mir nicht vorstellen, wie das wirklich funktionieren kann. Diese junge Mitarbeiterin hat mir nicht nur die Beengtheit bzw. die geringe Anzahl von Mitarbeitern, die in diesem von der EU zu gestaltetem Bereich tätig sind, gezeigt, sondern eigentlich auch ihre Verzweiflung angesichts des Hasses, den sie in diesem Land zwischen Albanern und Serben erlebt.

Der Kosovo von heute

Sie ist nicht gekommen, um viel zu verdienen. Sie ist gekommen, weil sie die humanitäre Frage interessiert und sie möchte gerne weiter in der humanitären Aufgabe tätig sein. Aber als sie gesehen hat, wie heute noch, fast ein Jahr nach dem Ende des Krieges, eine Kollegin von ihr nicht nur nicht gerührt war vom Tod eines Serben, sondern das sogar gut geheißen, zumindest wortlos akzeptiert hat, konnte und wollte sie das nicht verstehen. Und so überlegt sie, ihre Position, die sie hier hat, wieder zu verlassen. Weil sie das Gefühl des Hasses in ihrer Umgebung nicht akzeptieren möchte.
Auch das ist der Kosovo von heute. Er besteht auf der einen Seite aus Hilfe, aus Wiederaufbau, aus gutem Willen und auf der anderen Seite aus unbändigem tiefem Hass – es ist fraglich, wann dieser Gegensatz endlich überwunden werden kann! 
Flughafen Pristina, 3.6.2000