In der „Islamischen Republik Iran“

Der Iran ist ein spannendes, widerspruchsvolles Land. Bleibt zu hoffen, dass die internen Spannungen und Widersprüche konstruktiv verarbeitet werden können und sich eine Fortentwicklung in Richtung mehr Demokratie, stärkere Emanzipation und volle Anerkennung der Menschenrechte bemerkbar macht.
Es ist Mitternacht in Teheran. Eigentlich sollte ich jetzt schlafen gehen. Wir haben einen Tag anstrengender Gespräche und vor allem gefährlicher Autofahrten über die Autobahnen der iranischen Hauptstadt hinter uns. Aber in zweieinhalb Stunden geht es zum Flughafen. Fast alle Verbindungen zwischen Europa und dem Iran gehen in der Nacht.

Iranischer Lebensstil in Isfahan

Begonnen hat unsere kleine Delegation ihre Besuchstour in Isfahan. Unsere Gastgeber – das iranische Parlament – haben ausdrücklich darauf bestanden, nicht nur Teheran zu sehen, sondern auch ein kulturelles Zentrum, das die iranische Lebensweise stärker zum Ausdruck bringt. Isfahan ist in der Tat eine faszinierende Stadt mit seinen großzügigen Plätzen, den weithin sichtbaren Moscheen, den klug angelegten Parks und Palästen sowie den charakteristischen Brücken.
Mittags waren wir Gäste des Vizegouverneurs der Provinz Isfahan. Die wirtschaftliche Lage, die vielen Flüchtlinge aus Afghanistan sowie die Unterbindung des Drogenhandels, ebenfalls aus Afghanistan kommend, waren die Hauptthemen der Gespräche. Europa hat ja einerseits großes Interesse an der Hilfe Irans für den Wiederaufbau Afghanistans und andererseits an der Kooperation hinsichtlich der Bekämpfung des Drogenhandels. Bei beiden Themen hat die Zusammenarbeit des Westens mit dem Iran große Fortschritte gemacht, und die iranischen Vertreter haben viel zur Stabilisierung in dieser Region geleistet und sind sehr an der weiteren Zusammenarbeit interessiert.

Bewegte Zeiten

In Teheran führten wir in den letzten Tagen eine Vielzahl von weiteren Gesprächen – mit Vertretern der Regierung, der Gewerkschaften und auch Nichtregierungsorganisationen, mit unseren Botschaftern, aber vor allem mit Kolleginnen und Kollegen im Parlament, bis hin zum Parlamentspräsidenten. Unser Besuch im Iran fiel in eine bewegte Zeit. Denn der Wächterrat, ein nur indirekt gewähltes Gremium von 12 Personen, hat viele Kandidaten – vor allem aus dem Reformlager – von der Kandidatenliste für die Parlamentswahlen im Februar gestrichen.
Dies führte verständlicherweise zu Protesten und Sitzstreiks im Parlament, da auch viele unserer Kolleginnen und Kollegen betroffen waren, die derzeit im Parlament vertreten sind. Einige Minister haben mit ihrem Rücktritt gedroht und man munkelt, auch Präsident Khatami sei dazu bereit, falls es nicht zu einer deutlichen Revision dieses Beschlusses kommen sollte. Auch etliche unserer Gesprächspartner, so etwa der Vorsitzende des Ausschusses für Außenpolitik und Sicherheit, wurden von der Kandidatenliste gestrichen. Sie sind dem erzkonservativen Wächterrat zu offen und reformistisch.
Selbstverständlich thematisierten wir diese für uns unverständliche und inakzeptable Vorgangsweise in unseren Gesprächen, sowohl mit den fortschrittlichen als auch den konservativen Kräften.

Gesetzliches Verbot für Steinigungen

Ein anderes Thema war die iranische Nuklearpolitik. Dabei ersuchten wir, das von der Regierung bereits unterzeichnete Zusatzprotokoll der Internationalen Atomenergiebehörde bald im Parlament zu behandeln und zu ratifizieren. Denn dieses Protokoll sieht zusätzliche Inspektionen und Kontrollen vor, die die ausschließlich friedliche Nutzung der Atomenergie durch den Iran sicherstellen sollen.
Ein Thema, das ich selbst immer wieder aufbrachte, ist die Todesstrafe, insbesondere in der besonders grausamen Form der Steinigung. Zwar gibt es ein Moratorium der Steinigungen, aber ich drängte einerseits auf ein gesetzliches Verbot und andrerseits auf eine genaue Überwachung und Einhaltung des bestehenden Verbots im ganzen Land. Für einen Europäer ist dies sicherlich eine bescheidene Forderung, aber im Iran wird es bis zur Abschaffung der Todesstrafe noch lange dauern, schließlich haben wir es in den USA auch noch nicht geschafft.

Demokratisierung auch in unserem Interesse

Unsere Forderungen an den Iran kommen natürlich aus der Überzeugung, dass eine verstärkte Demokratie und Menschlichkeit sowie der Abstand von einer militärischen Nuklearpolitik dem Iran und Europa hilft. Ein friedlicher und ausgeglichener Iran ist für die Entwicklung im Nahen Osten, aber auch in der afghanisch-pakistanischen Region von tragender Bedeutung. Und da in einer globalisierten Welt auch Europa von diesen Krisenherden betroffen wäre, ist es ein legitimes Interesse unseres Kontinents bzw. der EU, das hier zum Ausdruck zu bringen. Zudem möchte der Iran mit der EU ein Handels- und Wirtschaftsabkommen schließen, und so haben wir auch Möglichkeiten, unsere Interessen in die vorbereitenden Gespräche dazu und in die Vertragsformulierungen einzubringen.
Nun heißt das nicht, dass wir fordern könnten oder sollten, dass der Iran nach europäischem Muster gestaltet werden soll. Das wäre irreal und unsinnig. Es geht beispielsweise nicht um die europäischen Werte bei den Menschenrechten, sondern um die universellen, allgemein gültigen Werte.

Wie lange gibt´s das Kopftuch noch?

In diesem Zusammenhang war zweifellos auch die Kopftuchfrage ein Gesprächsthema. Unsere Kolleginnen mussten, wie alle Frauen im Iran, zumindest ein Kopftuch tragen. Vor allem die älteren Frauen im Iran tragen dazu noch einen – schwarzen – Tschador, der die Körperformen fast ganz verhüllt, sodass weder von den Haaren noch von den Konturen des Körpers etwas zu sehen ist. Zwischen Männern und Frauen ist überdies kein Händeschütteln gestattet.
Vor allem bei den jüngeren Frauen – jedenfalls in Großstädten wie Teheran und Isfahan – sieht man kaum noch den Tschador. Das Kopftuch rückt immer mehr nach hinten und gibt die meist schönen schwarzen, glänzenden Haare frei. Das Gesicht ist auffallend, aber geschmackvoll geschminkt und man sieht fast nur Stöckelschuhe mit hohen Absätzen. Soweit es geht, werden die kleinen Freiheiten genutzt. Wie lange allerdings werden diese Bestrebungen durchzuhalten sein? Immerhin sind 60 Prozent der Studenten weiblich, also Studentinnen. Werden sich die immer besser ausgebildeten Frauen diese Bevormundung gefallen lassen bzw. wann wird es zu Gegenrevolten kommen?
Nebenbei ist es interessant, dass in den beiden Nachbarländern Türkei und Iran mit einer überwiegend islamischen Bevölkerung hinsichtlich des Kopftuches eine völlig konträre Politik herrscht – noch jedenfalls. In der „Islamischen Republik Iran“ gibt es den absoluten Kopftuchzwang – außer zu Hause. In der laizistischen Republik Türkei ist das Kopftuch in allen öffentlichen Gebäuden – Schulen, Universitäten, Ämtern etc. strikt verboten. Allerdings arbeitet die derzeit in der Türkei regierende islamisch-konservative Partei an einer Lockerung des Kopftuchverbotes, während eine Lockerung des Kopftuchzwangs im Iran nur sehr vorsichtig diskutiert wird.

Land der Widersprüche

Es bleibt als Fazit, dass der Iran ein sehr widersprüchliches Land ist. Es gibt Demokratie mit einem lebendigen Parlament. Aber die konservativen, klerikalen Kräfte versuchen durch eine Vorselektion der Kandidaten den Reformern die Mehrheit zu nehmen. Die Frauen unterliegen strengen Kleidervorschriften, aber immer mehr von ihnen erhalten eine gute Ausbildung. Ähnlich widersprüchlich ist die Außenpolitik des Irans. Hinsichtlich des Libanons und Afghanistans und derzeit auch in Bezug auf den Irak verhält sich der Iran konstruktiv. Dasselbe kann man – noch nicht – von der Politik bezüglich Israel sagen. Auch wenn mir der Parlamentspräsident versicherte, dass der Iran durchaus Einfluss auf radikale palästinensische Gruppen genommen hat, um sie auf einen Waffenstillstand einzuschwören. Aber Israel bzw. Sharon haben dabei nicht mitgespielt. Und was die arabischen Nachbarn betrifft, versucht der Iran islamische Bündnisse einzugehen, aber seine Vertreter haben uns gegenüber immer wieder betont, sie hätten zwar vor vielen Jahrhunderten die arabischen Schriftzeichen übernommen, aber seien deswegen keineswegs Araber geworden!
Der Iran ist also ein spannendes, widerspruchsvolles Land. Man kann nur hoffen, dass die internen Spannungen und Widersprüche konstruktiv verarbeitet werden können und sich eine Fortentwicklung in Richtung mehr Demokratie, stärkere Emanzipation und volle Anerkennung der Menschenrechte bemerkbar macht. Europa jedenfalls muss dem Iran helfen, diesen Weg zu gehen. Wenn wir geeint auftreten, haben wir sicherlich viele Möglichkeiten dazu.
Teheran, 22.1.2004