In Kiew

P1010244Es ist durchaus zu verstehen, dass die Ukraine keine gereifte Demokratie ist. Dazu fehlt ihr eine lange demokratische Entwicklung. Aber zu vermissen ist die Anstrengung, möglichst rasch dorthin zu kommen. Die ersten Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion haben naturgemäß große Anpassungsschwierigkeiten mit sich gebracht. Und einige haben versucht, durch Tricks und Machenschaften Wahlen zu fälschen und sich im Schnellverfahren verschiedene Unternehmen anzueignen.

Gescheiterte Orangene Revolution

Dann kam die Orangene Revolution. Sie war für viele von uns eine Hoffnung. Aber leider haben sich die HauptvertreterInnen der Revolution zerstritten und sich um ihre eigene Macht gekümmert und nicht um das Wohl der BürgerInnen. Immer mehr öffnete sich die Kluft zwischen Präsident Yuschtschenko und „seiner“ Premierministerin Julia Timoschenko . Die Menschen entfremdeten sich immer mehr von den Protagonisten der Orangenen Revolution und so konnte Yanukovych zum Präsidenten gewählt werden. Und auch die Parlamentswahlen gewann die Partei der Regionen und nicht der Block Julia Timoschenko.

Demütigung

Aber einigen war der Wahlsieg nicht genug. Sie wollten Timoschenko zumindest demütigen. Und so kam es zu einem Verfahren gegen sie. Anlass war der Gasvertrag, den sie mit Präsident Putin geschlossen hat und der nach Meinung der Partei der Regionen und des Gerichts das Land finanziell schwer geschädigt hat. Nun, für mich ist Timoschenko keine Heilige und es mag sein, dass ihr Kompromiss mit Putin auch mit ihrem Wunsch zu tun hatte, finanzielle Forderungen seitens Russlands an sie persönlich vom Tisch zu bekommen. Und vielleicht hat sie nicht alle Regeln eingehalten, die sie als Regierungschefin hätte einhalten müssen. Aber es ist für mich inakzeptabel, dass sie deshalb gerichtlich verfolgt und über sie eine hohe Geld- und Gefängnisstrafe verhängt wird.

Vermittlung

Da wir aber die Ukraine an die EU heranführen wollen, weil sie ein wichtiger Nachbar ist und ein wichtiger Partner sein sollte, kann uns die Entwicklung in der Ukraine nicht egal sein. So fuhr ich auf Initiative des EU-Kommissars Stefan Füle gemeinsam mit dem CDU-Abgeordneten Elmar Brok nach Kiew. In langen Gesprächen mit den Fraktionsvorsitzenden der Regierungspartei, der Partei der Regionen und der Oppositionspartei, des Blocks Julia Timoschenko versuchten wir, die beiden Seiten zu überzeugen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Dabei hatten wir es besonders schwierig mit der Partei der Regionen. Der Hass gegen Julia Timoschenko liegt so tief, dass sie auch das Verhältnis zur EU in Frage stellen und nicht bereit sind, eine neue gesetzliche Regelung zu finden. Eine solche wäre aber notwendig, um auch das getroffene Urteil gegen Timoschenko aufzuheben.

Urteilsaufhebung

Eine derartige rückwirkende Aufhebung eines Urteils ist zwar problematisch. Wenn aber das Urteil auf einer problematischen Basis beruht, die den europäischen Standards widerspricht, ist eine solche Aufhebung durchaus zu akzeptieren. Denn das entsprechende Gesetz stammt noch aus Stalins Zeiten und ist nur unter Chruschtschow modifiziert worden. Ein solches Gesetz passt sicher nicht in die heutige Zeit, nicht einmal in der Ukraine. Es diente der Verfolgung der Gegner der Kommunistischen Partei, jedenfalls so wie dies die jeweiligen Führer interpretiert haben. Aber solche Verfolgungen wollen wir heute nicht mehr.

Kiew, 17.10.2011