In Odessa II

synagoge_odessaÄhnlich wie das Gespräch mit dem Gouverneur verlief auch jenes mit dem Bürgermeister von Odessa. Er hat gerade seine ersten 100 Tage im neuen Amt hinter sich gebracht. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er der Stadterneuerung bzw. der Renovierung der zum Teil extrem verfallenen Häuser und dem Tourismus. In seine Amtsräume brachte er Kunstwerke aus eigenem Besitz, also dürfte er nicht ganz arm sein. Eine seiner Lieblingsstädte ist übrigens Wien. Ich hoffe, er lernt auch für seine Kommunalpolitik von Wien.

Verbindung zu Wien

Wien hat immer schon eine kulturelle Bedeutung für Odessa gehabt. Das bekannte verbindende Symbol ist die Oper von Odessa. Schon wenige Jahre nach der Stadtgründung beharrten die Odesiten – so nennen sich die Einwohner von Odessa – beim Zaren auf eine Oper. Nach der Zerstörung durch einen Brand im Jahre 1873 wurde ein Wettbewerb für einen Neubau ausgeschrieben.

Ihn gewannen die bekannten Wiener Theaterarchitekten Ferdinand Fellner und Herman Helmer. Nach ihren Plänen wurde dann die Oper gebaut und 1887 eröffnet – ohne allerdings, dass die Architekten ihr Werk jemals in Natura gesehen haben. Nach einer sehr sorgfältigen Restaurierung in den letzten Jahren erstrahlt die Oper heute in neuem Glanz. Als ich sie besuchte, probte man gerade Tourandot.

Jüdische Geschichte

Nicht nur die Oper und andere kulturelle Einrichtungen Odessas wurden einer gründlichen Erneuerung unterzogen. Besonders die verschiedenen Gotteshäuser zeugen von aufwendigen Wiederaufbauten bzw. Renovierungen. Zum Teil wurde dies in einem neuen, sehr anspruchsvollen Stil gemacht wie bei der lutherischen Kirche St. Paul oder im traditionellen Stil wie bei der orthodoxen und katholischen Kathedrale. Auch die Synagoge strahlt in neuem Glanz und man ist hier sehr stolz auf das gute Zusammenleben der verschiedenen Kulturen und Religionen.

Das war allerdings nicht immer der Fall. Juden mussten immer wieder Einschränkungen in Kauf nehmen und waren öfters auch fürchterlichen Pogromen ausgesetzt – nicht zuletzt auf Grund eines wachsenden Nationalismus der in Odessa ansässigen Griechen, die die Konkurrenz durch die Juden fürchteten und diese daher vertreiben und vernichten wollten. Die verschiedenen Pogrome verstärkten in der Folge die zionistischen Bestrebungen und diese sind heute ein starkes Verbindungsglied zwischen Israel und Odessa.

Die „Stadt der Galgen“

Aber dazwischen gab es noch die furchtbare Zeit der deutschen bzw. rumänischen Besatzung. So kam es im Oktober 1941 zum Massaker von Odessa, bei dem tausende Juden zum Teil auf den öffentlichen Plätzen der Stadt hingerichtet wurden. Odessa wurde eine „Stadt der Galgen“. Anlass dieser Vergeltungsaktion war die Explosion eines Kommandogebäudes, wahrscheinlich durch Minen, die die Sowjets vor ihrem Rückzug angebracht haben. Aber jedenfalls wurden die Juden der Stadt dafür verantwortlich gemacht und mussten dafür büßen, nachdem sie schon vorher für den Transport in ein Ghetto selektiert worden waren.

Zu erwähnen bleibt noch, dass der oft mit Milde betrachtete rumänische „Conducator“ Marschall Antonescu mit unzweideutigen und abfälligen Worten die Vernichtung der Juden gefordert hat. Jedenfalls belegt die Geschichte, dass weder das friedliche Zusammenleben noch das gegenseitige Verfolgen und Abschlachten das „Natürliche“ sind. Gegenseitiges Verständnis, Toleranz und die Akzeptanz des jeweiligen Anderen müssen immer wieder mühsam erkämpft werden. Das ist Aufgabe der PolitikerInnen, aber auch der Zivilgesellschaft.

EU-Mission Transnistrien

Heute macht Odessa einen friedlichen und stabilen Eindruck. Aber das gilt nicht für die gesamte Region. In unmittelbarer Nähe der Stadt befindet sich ein Konfliktherd, einer der am Rande Europas „eingefrorenen Konflikte“: Transnistrien. Dieser Teil Moldawiens hat sich mit Unterstützung Russlands abgespalten. Bis heute konnte keine einvernehmliche Lösung des Konflikts gefunden werden. Was Europa dabei besonders gestört hat, war die Entwicklung dieser Enklave zu einem Herd der Kriminalität und der illegalen Einwanderung. Aus diesem Grund hat die EU in Übereinstimmung mit der Ukraine und mit Moldawien beschlossen, eine Mission zur Unterstützung der Grenzüberwachung einzurichten.

Ihr Hauptquartier liegt in Odessa, und so habe ich es zum Abschluss meines Aufenthalts besucht. Bei meinen Gesprächen bestätigte sich meine Information, dass diese zivile Mission ein großer Erfolg wurde. Die Durchlässigkeit dieser unübersichtlichen und umstritteneren Grenze für illegale Aktivitäten wurde radikal verringert. Europa hilft vor allem bei der Markierung der Grenze und bei der Ausbildung von Grenzorganen der gesamten Region. Wie mir der Leiter dieser EU-Mission sagte: „Wir müssen die Grundeinstellung der Grenzbeamten ändern. Die Grenzen müssen weder eine unüberwindliche Barriere darstellen noch einen Ort, wo man mit Geld leicht durchkommt. Es müssen klare und für alle gültige Regeln für das friedliche Passieren gelten.“ Mit dem Eindruck einer erfolgreichen EU-Mission in einem potentiellen Krisengebiet am Rande Europas verlasse ich Odessa Richtung Kiew.

Odessa, 22.2.2011