In Usbekistan

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Taschkent

Nach mehreren Jahrzehnten bin ich wieder in Usbekistan, konkret in Taschkent. Bei meinem letzten Besuch war Usbekistan eine Teilrepublik der Sowjetunion. Die Märkte allerdings boten hier mehr und bessere Waren als in Moskau.

Faszinierende Märkte

Anlass unserer jetzigen Reise war der Besuch der hiesigen Parlamentarier durch die Zentralasien­delegation des Europäischen Parlaments. Dabei wissen wir, dass die usbekischen Parlamentarier nicht viel zu reden haben. Dennoch wollen wir die Kontakte mit dem Land und seinen PolitikerInnen verstärken.

Ich bin einen Tag früher gekommen, um mich ein wenig in der Stadt umzusehen. Ein Mitarbeiter der Fraktion hat eine Bekannte von ihm gebeten, uns ein wenig durch die Stadt zu führen. Auch heute noch sind die Märkte faszinierend und geben ein buntes Bild ab. Die Stadt ist sicher moderner geworden und hat die Großzügigkeit ihrer Anlage bewahrt bzw. weiterentwickelt. Man fühlt sich wohl, insbesondere bei diesem schönen Herbstwetter. Allerdings bekommt man mit, wie viel Einfluss die Präsidentenfamilie hat und wie viel sie selbst investiert um zu lukrativen Geschäften zu kommen.

Menschenrechtsdialog

Dieser Nepotismus ist in Zentralasien nicht ungewöhnlich, aber dennoch nicht entschuldbar. Auch wenn dies vielleicht die „Normalbürger“, die wir auf den Märkten getroffen haben, nicht bzw. noch nicht stört, für die Entwicklung des Landes ist dies keineswegs vorteilhaft. Und das bekommen vor allem jene Journalisten zu spüren, die diese Dinge aufgreifen. Einige von ihnen landeten im Gefängnis und manche berichteten nach ihrer Entlassung von Folter. Für den Menschenrechtsdialog, den wir seitens der EU mit diesem Land und den verantwortlichen Politikern führen wollen, bleibt also noch viel zu tun.

Wir wissen natürlich um die Probleme, die Usbekistan in der Nähe von Afghanistan hat. Mit Recht wehrt es sich gegen den Einfluss fundamentalistischer Strömungen und Gruppen. Aber es nicht nur humaner, sondern auch nachhaltiger dies mit demokratischen Mittel zu tun. Das jedenfalls wollen wir hier vermitteln – immer wieder von Neuem.

Bedrückende Enge

Die junge Frau, die einen Mitarbeiter der Fraktion und mich durch Taschkent geführt hat, war eine jener gut ausgebildeten Frauen, die auch eine Auslandserfahrung sowohl während des Studiums als danach beruflich und zwar konkret in Dubai hinter sich hatte. Sie spürte in besonderem die Enge und das Bedrückende im Lande. Sie und auch ihre Schwester berichteten einvernehmlich, dass viele junge Menschen gerne ins Ausland gehen wollen, aber die Beziehung zur Familie, die in Usbekistan einen hohen Stellenwert hat ,hielten sie zurück.

Natürlich empfindet das die Mehrheit der Usbe­kInnen, die keine Chance der Auslandserfahrung bzw. keine entsprechenden Sprachkenntnisse hat, anders. Was sie allerdings erleben ist, dass sie das Gehalt oft erst später bekommen, dass es manchmal nicht möglich ist, Benzin an der Tankstelle zu bekommen und wenn sie ein kleines Unternehmen gründen, dass sie mit Schikanen zu rechnen haben, wenn es jemand von „oben“ so will bzw. wenn sie nicht „zahlen“.

Arbeitstreffen

Am ersten Arbeitstag hatten wir zuerst Gespräche mit den Botschaftern der verschiedenen EU-Länder, die hier vertreten sind und dann mit den Vertretern der Menschenrechtsorganisationen. Das Bild, das sie von diesem Lande zeichneten, war sehr unterschiedlich. Auch wenn die Botschafter die Menschenrechtslage als unbefriedigend bezeichneten, so warnten sie uns davor, dies allzu deutlich in den Gesprächen mit unseren KollegInnen vom usbekischen Parlament zum Ausdruck zu bringen.

Nun, Menschenrechtsfragen sind sicherlich nicht die einzigen bestimmenden Faktoren, die die Beziehungen zu Usbekistan bestimmen sollen. Und sicherlich sollten wir diese Dinge so zur Sprache bringen, dass ein Dialog möglich ist und nicht von vorhinein verunmöglicht wird. Ich war in der Folge auserkoren worden, die Diskussion darüber einzuleiten – nach einer Darstellung der Lage durch einen erfahrenen usbekischen Kollegen. Ich machte klar, dass wir hier nicht als Lehrer auftreten wollen, die alles besser wissen. Zweck sei vielmehr, einen Dialog in Gang zu setzen, der Usbekistan hilft, die bestehenden Entwicklungshemmnisse zu überwinden. Dabei gibt es auch positive Entscheidungen zu erwähnen: die Abschaffung der Todesstrafe und die Unterzeichnung mehrerer internationaler Konventionen zum Schutze der Menschen- und insbesondere der Kinderrechte.

 

Offensichtliche Mängel

Aber leider ist Usbekistan in der Umsetzung dieser Rechte säumig. Etliche Journalisten wurden aufgrund unbotmäßiger Recherchen und Berichterstattung ins Gefängnis gebracht. Die Folter ist überdies aus diesen Gefängnissen noch nicht verschwunden. Für Nicht-Regierungsorganisationen ist die Beobachtung der Gerichtsverfahren in diesen Angelegenheiten nicht möglich. Und Kinder werden in den Kampagnen zur Baumwollernte in vielen Regionen eingesetzt. Da werden dann über längere Zeit die Schulen geschlossen und die Kinder, aber auch meist deren Eltern, auf die Baumwollfelder abkommandiert.

Interessant und für viele erfahrene Usbekistan-Kenner überraschend war, dass die usbekischen Abgeordneten sehr ruhig und konkret auf meine Vorhaltungen reagierten. Sie gaben auch einige Mängel zu und hofften auf die Unterstützung der EU bei verschiedenen Reformen des Justizsektors, insbesondere auch bei der Bekämpfung von Folter in den Gefängnissen.

Konkretes Diskussionsklima

Grundsätzlich waren die Diskussionen im Allgemeinen sehr konkret und fern von in diesen Ländern oft üblichen floskelhaften Auslassungen. Das betraf vor allem auch die Umweltsituation. Da sind die Usbeken ja besonders leidgeprüft. Einerseits durch die Austrocknung des Aralsees und anderseits durch den beabsichtigten Bau eines Wasserkraftwerks mit einem Riesenstausee in einer Erdbebenzone im benachbarten Tadschikistan. Beides sind Erben der Sowjetunion.

Die Austrocknung des Aralsees hat sicher seine primäre Ursache in der Forcierung der Baumwollproduktion mit den entsprechenden Bewässerungsnotwendigkeiten und dem massiven Einsatz von Pestiziden. Das bei Rogun im Nachbarland geplante Kraftwerk geht auch auf sowjetische Planung zurück. Es wurde allerdings auf Grund von Expertengutachten nach ersten Baumaßnahmen eingestellt. Nun soll es trotz seiner Lage in einer tektonischen Zone aufgebaut werden, wobei die Auffüllung des Staubeckens angeblich acht Jahre benötigen würde!

Prekäre Sicherheitslage

Sowohl mit den Parlamentariern als auch mit dem Außenminister Vladimir Norov, der sich viel Zeit für uns nahm, diskutierten wir die prekäre Sicherheitslage als unmittelbarer Nachbar zu Afghanistan. Dabei wurde klar, dass Usbekistan ein großes Interesse am Frieden in Afghanistan, aber auch generell an der Stabilität ganz Zentralasiens hat. Vor allem wünscht es keinen allzu starken Einfluss Russlands in den Nachbarstaaten.

 

Es hat lange genug gebraucht, um von Russland faire Preise für die Energieressourcen, vor allem Gas zu bekommen. Und auch China, von dem es viele Waren bezieht, soll keinen dominierenden Einfluss erzielen. All das ist aber nur möglich, wenn die EU ein Gegengewicht gegen die einseitigen Abhängigkeiten von Russland und China bildet.

Interessensbalance finden

Natürlich darf man ob solch strategischer Überlegungen nicht das Interesse an einer Verbesserung der Menschenrechtslage verlieren. Und auch das Interesse an Gaslieferungen darf nicht das Interesse an der Demokratisierung des Landes ersetzen. Nein, es geht um eine vernünftige Balance der verschiedenen Interessen und um eine Verbesserung unserer Beziehungen mit Usbekistan, die wir dann auch im Sinne der Verbesserung der Menschenrechtssituation verwenden. Das scheint mir prinzipiell der richtige Ansatz zu sein und insbesondere im Falle Usbekistan.

Ich habe mich sehr für die Sanktionen gegen Usbekistan nach der blutigen Niederschlagung der „Revolte“ in Andijan im Süd-Osten des Landes ausgesprochen. Aber nun, nach dem die Regierung in dieser Region anders, das heißt mit Sensibilität auftritt und ein Interesse an einer Annäherung an die EU hat, trete ich eindeutig für eine Intensivierung der Beziehungen zwischen der EU und Usbekistan ein – im Wissen, dass noch viel zu tun ist, um das Land auf einen Weg der Demokratisierung zu führen.

Angst vor islamistischen Tendenzen

Dabei spielt auch die Angst vor islamistischen Tendenzen, ausgehend von Afghanistan, eine Rolle. In einem vor allem islamischen Land ist eine solche Angst verständlich. Dennoch macht es keinen Sinn, mit Repressionen zu reagieren. Man muss vielmehr die Demokratie ausbauen und die Bevölkerung gegen die Versuchungen des islamischen Fundamentalismus „impfen“. Wie ein hochrangiger Vertreter des Landes meinte: „Meine Großmutter hat 1920 den Schleier abgelegt, warum soll ihn nun meine Frau und/oder meine Tochter anlegen.“

Gerade diese pragmatische Haltung zum Islam in einem islamischen Land macht den Dialog mit diesem Land besonders interessant. So meinte ich zum Außenminister: „In Europa haben wir derzeit zwei gefährliche Einstellungen: eine kleine Gruppe von Fundamentalisten und eine größer Gruppe, die den Islam mit dem Fundamentalismus gleichsetzt, um damit ihr politisches Geschäft zu betreiben.“ Wir sollten, um diesem Nicht-Dialog zu begegnen einen intensiven Dialog mit Ländern wie Usbekistan führen. Durch diesen Dialog können wir beiden Seiten zeigen, dass es möglich und vernünftig ist, einen moderaten Islam zu leben, ohne Verrat an dieser Religion einerseits oder am Laizismus bzw. an der Gleichheit der Geschlechter anderseits zu üben. (Wenngleich aus der Tradition heraus hier Frauen nur zu Hause beten und nicht in den Moscheen, also so ganz ist die Gleichheit nicht umgesetzt.)

Viele Widersprüche

Es gibt also viele Widersprüche in diesem Land, Öffnungen und Modernisierungen einerseits, aber auch alte Traditionen anderseits. Und zwar nicht nur auf dem Gebiet der Religion. Aus Gesprächen mit europäischen Investoren erfuhren wir von den vielen fleißigen und gut ausgebildeten, vor allem jungen ArbeitnehmerInnen. Aber ebenso berichteten sie von einer ungeheuer hemmenden Bürokratie, die so gar nicht zum offiziellen Wunsch nach mehr europäischen Investitionen passt. Und im Verwaltungsapparat selbst verhindern die älteren, noch vielfach im sowjetischen System „geschulten“ Kräfte das Aufkommen der jüngeren, oft im Ausland geschulten MitarbeiterInnen.

Man könnte nun seitens der EU warten, bis diese Widersprüche aufgelöst sind. China und Russland, aber auch Korea würden sich freuen und ihre Investitionen verstärken. Für die Entwicklung der Demokratie und der Menschenrechte würden sie allerdings nicht viel beitragen. Wir könnten uns aber auch mehr engagieren: in einem Dialog bezüglich der Menschenrechte, in einem Sicherheitsdialog und auch durch vermehrte Investitionen. Immer mit dem Ziel, dem Land auch in der demokratischen Entwicklung zu helfen. Nicht als Lehrer, die alles besser wissen und können. Aber als Partner mit Lehren, die wir aus besonders schmerzliche Erfahrungen in der Vergangenheit gezogen haben. Ich meine, wir sollten diesen Weg gehen und im eigenen Interesse diesem größten der zentralasiatischen Länder in seiner Entwicklung helfen.

 Taschkent, 27.10.2010